Apokalypse – Der Ansturm der antichristlichen Mächte
Die himmlische Frau und der Drache. Kap. 12 Vers 7 – 9. Der Erzengel Michael besiegt den Drachen
Das geschichtliche Werk der Erlösung, kurz umrissen in der Erwähnung der Geburt und Himmelfahrt des Messias, hat der Höllendrache nicht zu verhindern vermocht. Das wußten die Christen. Sie wußten aber auch, daß trotz der Erlösung die Macht des Teufels noch nicht ganz gebrochen war, so daß er auf Erden noch viel Unheil anrichten und die Menschen quälen konnte. Dennoch bedeutete die Erlösung einen eigentlichen Sturz Satans, wenn auch noch nicht seine Fesselung (20, 1-6) und endgültige Überwindung (20, 10). Das schaut der Seher im Bild des Kampfes im Himmel. Diese Vision ist also eine apokalyptische Darstellung dessen, was Jesus seinen Jüngern mit den Worten verkündete: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“ (Luk. 10, 18). die Verbindung zwischen dem Erlösungstod und dem Sturz des Drachen hat Christus in der Leidenswoche auf dem Tempelplatz angedeutet, als er sprach: „Nun wird der Fürst dieser Welt hinaus geworfen werden“ (Joh. 12, 31). Am Vorabend des Leidens kam er auf den gleichen Gedanken zurück. Das geschah wie Luk. 10, 18 und Offb. 12, 9 in der Zeitform der Vergangenheit: „Der Fürst dieser Welt ist gerichtet“ (Joh. 16, 11). In prophetischer Schau ist die Zukunft so sicher und unabänderlich, als gehörte sie bereits der Geschichte an. Das zu beachten ist wichtig, weil die Vision 12, 7-9 nicht selten aufgefaßt wird als eine Schilderung des Abfalls Luzifers mit seinen Engeln und ihres Sturzes, ihrer Verwandlung aus guten Geistern in Teufel. Darum geht es hier nicht. Das wird vielmehr von Johannes voraus gesetzt und durch die Ausdrucksweise dem Leser in die Erinnerung gerufen. Die Drachennatur ist ja dem Gegner beim Ausbruch des Kampfes schon eigen.
Wie kommt aber der Drache mit seinen Engeln in den Himmel wenn es sich nicht um ihren ersten Sturz handelt? Zunächst ließe sich der Text so deuten, daß der Kampfplatz nicht im Himmel zu suchen wäre, sondern am Himmel, wo vorhin Johannes die beiden Wahrzeichen erblickte. Die Ortsangabe ist jedesmal dieselbe (12, 1 u. 3 u. 7 u. 8). Daß die bösen Geister „in den Himmelshöhen“ ihren sitz haben, wird auch von Paulus angenommen (Eph. 6, 12). Die Alten unterschieden mehrere Himmelsregionen und glaubten, in der untersten hielten sich die Dämomengeister auf. Als ihre gewöhnliche Wohnstätte nimmt die Apokalypse den Abgrund an (9, 2-11; 11, 7 u. ö.), aber das Ringen um die Macht spielt sich nicht drunten ab. Die Entscheidung fällt im Himmel oder am Himmel. Der folgende Hymnus (10-12) geht überdies von der biblischen Vorstellung aus, es sei dem Satan erlaubt, vor Gott im Himmel die Menschen zu verklagen und sein Recht auf sie geltend zu machen, da sie sich ja in der Sünde tatsächlich zu seinen Hörigen erniedrigt haben (Job 1, 66f; Zach. 3, 1; 1. Chron. 21, 1; Luk. 22, 31). Diese Vorstellung ist ein Versuch, den unleugbaren Einfluss des Teufels mit der göttlichen Vorsehung und Gerechtigkeit in Einklang zu bringen.
In seiner Wut über den mißlungenen Anschlag gegen das Messiaskind unternimmt nun der Drache einen Ansturm gegen den Himmel selbst. Sein ganzer Tross is aufgeboten. Im Himmel soll erreicht werden, was draußen fehlschlug. Gottes Pläne sollen um jeden Preis durchkreuzt und vereitelt werden. Hier ist mit dem Glauben an die Wirklichkeit der satanischen Macht, geführt von einem persönlichen Erbfeind Gottes, voller Ernst gemacht. Da kämpfen nicht bloße Ideen oder „Weltanschauungen“, sondern die dahinter stehenden persönlichen Geister miteinander. Es ist ein eigentlicher Krieg, ein polemos, ein Kampf der Geister von gigantischem Ausmaß. Es geht um letzte Entscheidungen, um Sein oder Nichtsein des Reiches Gottes. Heerführer der guten Engel ist Michael. Sein name ist eine Parole gegen die Himmelsstürmer, die Gott gleich sein wollen; er bedeutet: „Wer ist wie Gott?“ Der Schutzgeist Israels (Dan. 10, 13 u. 21; 12, 1), ist zum Schirmer der Kirche geworden. Die Szene hat in der abendländischen Geschichte ihre spuren hinterlassen. „Konstantin ließ nach Anschluss der Kämpfe an der Ostgrenze des Reiches eine Michaelstatue in Konstantinopel setzen. Seit der Schlacht auf dem Lechfeld (955), in der deutsche Heere das Abendland gegen den Ansturm aus dem Osten retteten, wehte sein Bild in den Bannern der deutschen Heere“ (H. Lilje 159). Verteidiger des christlichen Glaubens zu sein, galt Jahrhunderte lang den deutschen Kriegern als höchste Ehre. Beachtenswert ist, daß der zu seinem Thron entrückte Messias (Vers 5) nicht persönlich in den Kampf eingreift. Was sich in dem Ringen der guten Engel mit dem Drachen und seinem Anhang abspielt, ist ja nur die visionäre Darstellung des Sieges, den der Erlöser am Kreuz bereits errungen hat.
Darum kann der Ausgang des Kampfes nicht zweifelhaft sein, und der Seher verzichtet auf eine nähere Schilderung der Himmelsschlacht. Ihm genügt der Hinweis, daß die Gottesfeinde nichts ausrichteten und endgültig Stellung im Himmel räumen mussten. In diesem kurzen Kriegsbericht: „Aber sie vermochten nicht (stand zu halten)“, liegt mehr Ermutigung zum unentwegten Durchhalten für die auf Erden ringenden Gottesstreiter als in langen Ermahnungen. Wir sind berufen, als „Überwinder“ einst den Platz der gestürzten Engel im Himmel einzunehmen.
Aus den Versen 7 und 8 formt die Liturgie das erste Responsorium, das Capitulum der Non und die Antiphon zum Benedictus am Fest des heiligen Erzengels Michael.
Kräftig betont der 9. Vers die Größe des Sieges Michaels und der hoffnungslosen Niederlage Satans. Dreimal steht darin das wuchtige Ergebnis: „Es wurde gestürzt“, eigentlich: „Es wurde geworfen.“ Das war kein bloßes Fallen, noch weniger ein ehrenvolles Unterliegen gegenüber dem Stärkeren. Gottesfeinde fallen nicht in heldischem Kampf; sie werden von der angemaßten Höhe hinab geworfen, sobald die Geduld Gottes erschöpft ist und er seine Heerscharen aufbietet. Nicht minder geht die Bedeutung des beendeten Kampfes aus den gehäuften Titeln hervor, mit denen der große Drache charakterisiert wird. Er hat als „die alte Schlange“ alles Unheil über die Menschen gebracht durch die Verführung der Stammeltern im Paradies (1. Mos. 3, 1ff; Weish. 2, 24; 2. Kor. 11, 3). Teufel ist sein gewöhnlicher Name (vgl. die Erklärung zu 9, 11). Nichts ist ihm so zuwider wie Ordnung und Eintracht, da er den Zwiespalt des Apostaten im eigenen Wesen trägt. Das hebräische Wort „satan“ oder aramäisch „satanas“ ist in der griechischen Bibel mit „diabolos“ übersetzt; „Widersacher, Verleumder“, eigentlich „Durcheinanderwerfer“ ist, wie schon gesagt, der Wortsinn. Der Satan ist Gottes Gegenspieler, sucht um jeden Preis Gottes Heilsabsichten zu vereiteln. Indem er den freien Willen des Menschen in die verkehrte Richtung lockt, wird er zum Verführer der ganzen Welt, bis zuletzt seine Macht völlig ausgeschaltet wird (20, 10). Die sich von ihm irre führen ließen, werden dann zu spät erkennen, wo der Weg endet (Weish. 2, 1ff). –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 180 – S. 183
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