Hl. Johannes, Apostel und Evangelist

 Der erste Brief des heiligen Apostels und Evangelisten Johannes Das 4. Kapitel

Glaubt nicht jedem Lehrer und auch nicht jeder Lehre

Geliebte, glaubt nicht jedem Lehrer. Nur solche, welche bekennen, dass der Sohn Gottes in Jesu Christo als wirklicher Mensch erschienen sei, sind wahre Lehrer: die es leugnen, sprechen in der Gesinnung des Antichrists, der jetzt schon in der Welt ist. Da ihr Kinder Gottes seid, vermögen diese Weltkinder nichts über euch; denn wer aus Gott geboren ist, erkennt Gott, und hört auf die apostolische Lehre. Mit dieser Erkenntnis Gottes ist auch immer die Liebe verbunden; denn wer nicht liebt, kennt Gott nicht, da Gott die Liebe ist, wie er durch die Sendung seines Sohnes gezeigt, den er, ohne dass wir ihn vorher geliebt, für unsere Sünden dahin gegeben hat. Weil uns Gott so sehr geliebt, müssen wir ihn, den Unsichtbaren, in seinen sichtbaren Ebenbildern lieben, damit wir mit ihm verbunden bleiben, und in der Liebe zu ihm selbst vollkommen werden. Das Merkmal seiner Vereinigung mit uns ist sein Geist, der sich einerseits in dem Bekenntnis äußert, dass Jesus der Sohn Gottes sei, anderseits in der Liebe, welche uns, ohne Strafe zu fürchten, das Vertrauen einflößt, einst vor Gottes Gericht zu bestehen. Unsere Liebe zu Gott folgt also notwendig aus der Liebe, die wir von Gott erfahren haben; sie ist aber unzertrennlich von der Nächstenliebe, wie auch das Gebot der Liebe deutlich aussagt.

1. Geliebteste, glaubt nicht jedem Geist (1), sondern prüft die Geister (2), ob sie aus Gott sind (3); denn es sind viele falsche Propheten in die Welt ausgegangen.
2. Daran wird der Geist Gottes erkannt (4): Jeder Geist, der bekennt, dass Jesus Christus im Fleisch gekommen sei, ist aus Gott (5).
3. Und jeder Geist, der Jesum aufhebt (6), ist nicht aus Gott, und dieser (7) ist der Widerchrist (8), von dem ihr gehört habt, dass er kommt, und er ist schon jetzt in der Welt.
4. Ihr seid aus Gott (9), Kindlein, und habt ihn überwunden (10); denn der in euch ist, ist mächtiger, als der in der Welt ist (11).
5. Jene sind von der Welt (12), darum reden sie von der Welt, und die Welt hört auf sie.
6. Wir sind aus Gott (13). Wer Gott kennt, hört auf uns; wer nicht aus Gott ist, hört nicht auf uns: daraus erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist des Irrtums (14).
7. Geliebteste, lasset uns einander lieben! (15) denn die Liebe ist aus Gott (16): und Jeder, der liebt, ist aus Gott geboren, und kennt Gott.
8. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.
9. Dadurch hat sich Gottes Liebe gegen uns geoffenbart, dass Gott seinen eingebornen Sohn in die Welt gesandt, damit wir durch ihn leben. Joh. 3, 16.
10. Darin besteht diese Liebe; nicht dass wir Gott geliebt, sondern dass er uns zuvor geliebt und seinen Sohn gesandt hat zur Versöhnung für unsere Sünden. Ob. 2, 2.
11. Geliebteste, da Gott uns so geliebt, so müssen wir uns auch einander lieben.
12. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir aber einander leiben, so bleibt in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen (17).
13. Daran erkennen wir, daß wir in ihm wohnen, und er in uns, dass er uns von seinem Geist gegeben hat (18).
14. Und wir haben es gesehen, und bezeugen es, dass der Vater seinen Sohn als Heiland der Welt gesendet hat.
15. Wer da bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott und er in Gott (19).
16. Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat (20). Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott in ihm.
17. Dadurch ist die Liebe Gottes vollkommen bei uns, wenn wir, wie er ist, ebenso in dieser Welt sind (21), so dass wir Vertrauen auf den Tag des Gerichtes haben können (22).
18. Furcht ist nicht in der Liebe (23), sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht hat Pein (24): wer aber Furcht hat, der ist nicht vollkommen in der Liebe.
19. Lasset uns also Gott lieben, weil uns Gott zuerst geliebt hat (25).
20. Wenn Jemand sagt: „Ich liebe Gott“, und hasst doch seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder, den er sieht, nicht liebt, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? (26)
21. Auch haben wir dieses Gebot von Gott, dass, wer Gott liebt, auch seinen Bruder liebe. Joh. 13, 34; 15, 12; Eph. 5, 2.

Anmerkungen

(1) jedem Lehrer, jeder Lehre
(2) nach der Lehre, die euch gepredigt worden (Vers 6). Das Wort Gottes, wie es in der Kirche überliefert und bewahrt wird, ist der Prüfstein jeder Lehre.
(3) Ob sie ihren Ursprung aus der Wahrheit haben, ob sie Wahres mitteilen.
(4) Daran erkennt man, ob Jemand aus dem Geist Gottes, aus der Wahrheit spreche, wenn er bekennt, dass etc.
(5) der bekennt, dass der Sohn Gottes (Matth. 26, 63), die menschliche Natur angenommen, und in Jesum von Nazareth auf Erden erscheinen sei, ist ein wahrer, von Gott gesandter Lehrer. Johannes hat Irrlehrer im Auge, welche die wahre menschliche Natur Christi leugneten, oder die Geschichte Jesu in Zweifel setzten.
(6) Entweder seine menschliche Natur und Erscheinung oder seine göttliche Würde oder überhaupt die Notwendigkeit seines Erlösungswerkes leugnet. Andere geben: der Jesum teil, d. i. welcher leugnet, dass Jesus von Nazareth der verheißene göttliche Messias sei (ob. 2, 22). Im Griech. Und jeder Geist, der nicht bekennt, daß Jesus Christus im Fleisch gekommen sei, ist nicht aus Gott. Diese Lesart findet sich bei einigen Vätern, insbesondere bei dem heiligen Polykarp, einem Schüler des heiligen Johannes.
(7) Geist
(8) nicht in Person, aber dem Geist nach in seinen Vorläufern.
(9) Siehe 3, 1.
(10) den Widerchrist, nämlich jene Lehrer, die als seine Vorläufer in seiner Gesinnung auftreten. Im Griech. Habt sie überwunden.
(11) Denn der Geist Gottes, der euch beseelt, gibt euch Kraft, wenn ihr anders ihm treu bleibt, den Geist des Widerchrists, seine falschen Lehren und Grundsätze zu überwinden, und in ihrer Nichtigkeit zu erkennen.
(12) Werden von dem Geist der Sinnlichkeit, Selbstsucht getrieben.
(13) Wir Apostel sind göttlicher Gesinnung.
(14) Wer göttlicher Gesinnung, die wahre Erkenntnis von Gott hat, hört auf die apostolische Lehre: wer weltliche Gesinnung hat, will unsere Lehre nicht hören. An diesem Hören oder Nichthören erkennen wir, wer von dem Geist der Wahrheit, und wer von dem Geist des Irrtums getrieben wird.
(15) Der Apostel geht auf die Liebe über, weil der wahrhaft Wiedergeborene nicht nur die wahre Erkenntnis hat, sondern auch darnach handelt, d. i. liebt; denn die Liebe ist die Seele des Handelns, und in ihr vereinigen sich alle Tugenden.
(16) Denn die Liebe ist eine Frucht der Wiedergeburt, der Kindschaft Gottes.
(17) Dem unsichtbaren Gott können wir unmittelbar seine Liebe nicht sichtbar vergelten: wenn wir uns aber untereinander lieben, so lieben wir ihn mittelbar in seinen Ebenbildern, wir bleiben in Gemeinschaft mit ihm, und unsere Liebe zu ihm selbst erreicht so ihre Vollkommenheit.
(18) Dass er uns die wahre Erkenntnis (Glauben) und die wahre Liebe gegeben hat, wie die folgenden Verse erläutern, von denen Vers 14 u. 15 die Vereinigung mit Gott von der Erkenntnis abhängig machen, Vers 16 von der Liebe.
(19) Der Glaube an Jesum, den Sohn Gottes, steht für den ganzen christlichen Glauben; denn in Jesu läßt sich nichts trennen, und der glaubt an ihn nicht wahrhaft, der nicht Alles glaubt, was er gelehrt und was seine Stellvertreter die Apostel und Bischöfe als seine Lehre überliefert haben.
(20) Siehe oben Vers 9 u. 10.
(21) ebenso den Nächsten lieben, wie er uns geliebt hat; wenn wir lieben, wie er liebt.
(22) Ohne uns vor Strafe fürchten zu müssen.
(23) Nämlich die knechtliche Furcht vor der Strafe, weil der Liebende kein schwerer Sünder ist, und also auch keine Strafe zu fürchten hat. Dagegen verträgt sich mit der Liebe vollkommen die kindliche Furcht, den geliebten Gegenstand zu beleidigen, ja sie ist selbst diese Furcht.
(24) Denn die Furcht ist ein ängstliches Gefühl von der Strafe; da diese nicht dem Liebenden gedroht ist, so kann bei der Liebe auch keine solche Furcht sein.
(25) Und diese Liebe beweisen in der Nächstenliebe.
(26) Denn wenn Jemand seinen Bruder, der ein Kind Gottes, Gottes Ebenbild ist, in dem Gott also gleichsam sichtbar geworden ist, nicht liebt, wie kann man von einem solchen glauben, dass er den unsichtbaren Gott liebe? Er täuscht sich selbst, und täuscht auch Andere, wenn er es behauptet, er ist ein Lügner. –
aus: Joseph Franz Allioli, Die Heilige Schrift des alten und neuen Testamentes. Aus der Vulgata, 6. Bd. 1838, S. 417 – S. 419