1. Brief des hl. Johannes Kap. 4 Vers 1-6
Das Kennzeichen des Geistes Gottes
Der Apostel hat sich soeben auf den seinen Lesern von Gott geschenkten Geist als den stärksten Zeugen ihrer Gottesgemeinschaft berufen. Diese Berufung ist zunächst sehr einleuchtend. Denn die Wirkungen dieses Geistes sind Gegenstand der unmittelbaren persönlichen inneren Erfahrung. Nichts aber ist eindrucksvoller und überzeugender für einen Menschen als seine eigene innere Erfahrung. Aber als innere Erfahrung ist es eben doch etwas Subjektives, und damit der Täuschung Ausgesetztes. Haben doch schon die Propheten des Alten Bundes sich Mühe gegeben, die von Gott in sie gelegten Worte von ihren eigenen Gedanken zu unterscheiden.
Und das war und ist ja das Verhängnisvolle bei allen Irrlehrern in der Kirchengeschichte, den großen wie den kleinen, dass sie die Eingebungen ihres eigenen Geistes für solche des Geistes Gottes hielten. Es muss darum auch einen objektiven Maßstab geben für die Beurteilung „der Geister“, um eigene Täuschungen oder auch solche, die den Teufel als Urheber haben, von den Wirkungen des Geistes Gottes zu unterschieden. Das weiß auch der heilige Johannes.
Und er hält eine solche „Prüfung der Geister“ für um so notwendiger, als ja bereits falsche Propheten an der Arbeit sind. Die alle können sehr „begeistert“ reden und bilden sich deshalb nicht nur selten ein, „aus dem Geist“ zu sprechen, sondern einfältige Gemüter lassen sich gerade durch ihre Art imponieren und in die Irre führen. Gegenüber diesen falschen Propheten zur Zeit des Apostels (vgl. 2, 18ff) gibt es nun aber ein sehr einfaches Erkennungs-Zeichen des wahren Geistes. Besteht doch ihr Grundirrtum in der Leugnung der völligen Gleichheit zwischen Jesus und dem Christus. Also: „Jeder Geist, der Jesus als den im Fleisch gekommenen, d. h. Fleisch gewordenen Messias, und Sohn Gottes bekennt, ist aus Gott.“
Der Geist selber bekennt ja nicht, weil er keinen Mund zum Reden hat. Aber er treibt den, in dem er lebt, zu diesem Bekenntnis an und tut sich selber also dadurch kund. „Und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt“, nämlich nicht in dieser eben definierten Weise, „ist nicht aus Gott“. Das ist vielmehr gerade jener Geist des Antichrist, von dem der Apostel schon gesprochen hat und der bereits aus seinen verschiedenen Vorläufern und Vertretern spricht. Die Gläubigen brauchen sich jedoch vor ihm keineswegs zu fürchten. Sie „sind ja aus Gott“, und deshalb haben sie die falschen Propheten bereits besiegt.
Nicht als ob diese ihr Unwesen nicht weiter treiben könnten in der Welt. Aber persönlich und in ihrem Kreis haben sie dieselben besiegt und werden sie auch weiterhin besiegen. Das liegt in dem griechischen Perfekt. Denn weil sie „aus Gott sind“, wirkt in ihnen ein anderer, nämlich Christus. Und der ist stärker als „der in der Welt“, nämlich „der Herrscher dieser Welt“ (Joh. 12, 31; 14, 30; 16, 11), der Satan, dessen Werke zu zerstören Christus ja gekommen ist (3, 8), Christus, der seine Abschiedsrede mit dem stolzen Wort geschlossen hat: „Habt Mut, ich habe die Welt besiegt.“
„Ihr habt sie besiegt.“ Dieses zuversichtliche Wort ist immer wieder wahr geworden in der Geschichte der Kirche. Auch in den dunkelsten Zeiten, wenn es manchmal schien, als habe „der, der in der Welt ist“, gesiegt. Die Kirche wird sie auch weiterhin besiegen. Denn „der, der in ihr ist, ist größer als der in der Welt“. Aber es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, wollte man diesen Kampf und Sieg Christus allein überlassen und sich, wenn’s darauf ankommt, träge und feig in den Winkel verkriechen.
Denn Christus siegt nur in denen, in denen er ist. Und er bleibt nur in denen, „die in ihm bleiben“. Gewiss, die Kirche wird nicht untergehen. Es wird also bis ans Ende der Welt einen Kreis von solchen geben, die zu Christus gehören. Aber nirgends ist gesagt, wie groß dieser Kreis sein wird und welche Länder er umfasst. Manche haben in früheren Zeiten dazu gehört, die jetzt außerhalb liegen. Und nach allen Prophezeiungen über die Endzeit scheint dieser Kreis einmal recht klein zu sein, wenn der letzte und eigentliche Antichrist am Werk ist.
„Sie sind aus der Welt“, fährt der Apostel fort (vgl. 2, 19). „Deshalb reden sie aus der Welt“. Und da „die Welt das Ihre liebt“ (Joh. 15, 19), so „hört die Welt auf sie“. Denn die Menschen hören immer gern das, was nach ihrem Sinn ist, und wenn es sich um religiös-moralische Fragen handelt, bevorzugen sie den, der ihre Leidenschaften schont und das moralisch Minderwertige oder Gemeine mit der Maske der Tugend auszustaffieren versteht. „Wir“ – nämlich wir Apostel und Verkündiger des Evangeliums – „sind aus Gott“. Daraus ergibt sich ganz von selbst: „Wer Gott kennt, hört auf uns.“
Denn wer Gott kennt, ist ja ebenfalls aus Gott. Also hört er auf die Apostel und deren Nachfolger, weil er in deren Lehre den Geist findet, der mit dem seinigen verwandt ist. „Wer nicht aus Gott ist, hört nicht auf uns.“
Damit also ist der objektive Maßstab gewonnen zur Beurteilung der Geister: „Daraus erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist des Truges.“ Es ist das katholische Glaubensprinzip, das der Apostel Johannes hier aufstellt, das er freilich nicht erst erfunden, sondern von seinem Meister selber übernommen hat: „Wer euch hört, der hört mich. Wer euch verachtet, der verachtet mich. Wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat.“
Wer sich in Übereinstimmung weiß mit der Lehre der Kirche, der weiß auch, dass er den Geist Gottes hat. Und der mag und soll sich ruhig führen lassen von diesem Geist“ (vgl. Gal. 5, 18). Wohl mag der Geist ihn manchmal Wege führen, die anderen ungewohnt erscheinen. Und es mag dabei auch vorkommen, dass unvermerkt sein eigener Geist die Zügel ergreift und ihn auf Irrwege führen möchte.
Er muss nur jederzeit das Unterscheidungs-Merkmal zur Hand haben: die Lehre der Kirche. Und weil schließlich der einzelne auch im Gebrauch dieses Unterscheidungs-Merkmales sich täuschen kann, so wird er das letzte Urteil denen überlassen, denen Christus die Leitung seiner Kirche anvertraut hat. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XIII, 1941, S. 503 – S. 505
siehe auch die Beiträge von Bonifaz Wöhrmüller OSB:
Siehe den Beitrag auf katholischglauben.info: