1. Brief des hl. Johannes Kap. 2 Vers 15-17
Liebt nicht die Welt noch das, was in der Welt ist
Jetzt endlich, nachdem ihr ganzes Christenbewusstsein aufgerüttelt ist, kann er den Satz aussprechen, der wie ein wuchtiger Schwerthieb hernieder saust: „Liebet nicht die Welt, noch das, was in der Welt ist.“ Natürlich meint hier der heilige Johannes nicht die gesamte Welt als Schöpfung Gottes, von der es sogar heißt: „Gott sah, dass es gut war“ (vgl. Gen. 1), auch nicht die Menschenwelt, sondern „die Welt“ in dem Sinne, wie er es in Vers 16 selber erläutert. Wenn jemand diese Welt liebt, dann „ist die Liebe des Vaters nicht in ihm“. Man möchte hier auf den ersten Blick „des Vaters“ als genetivus objectivus auffassen, also „die Liebe zum Vater“: ein solcher liebt den Vater nicht!
Ohne Zweifel aber ist der Ausdruck aufzufassen entsprechend Joh. 17, 26: die Liebe des Vaters zu ihm, dem Menschen: einen solchen Liebhaber der Welt kann der Vater nicht lieben und in dem kann er seine Liebe sich nicht auswirken lassen wie in einem ihm Angehörigen. Denn ein solcher Mensch gehört gar nicht dem Vater, sondern der Welt. „Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches und die Begierde der Augen und das protzenhafte Wesen stammt nicht vom Vater her, sondern kommt aus der Welt.“ Die Begierde des Fleisches, das ist das Sterben nach allem, was dem Fleisch so wohltut. Dazu gehören nicht nur die intensivsten Lüste des Fleisches, d. h. die der sexuellen Betätigung, sondern ebenso sehr die Lüste des Gaumens und all die trägen Bequemlichkeiten des Daseins.
Wer sich eine konkrete Vorstellung machen will von der Raffiniertheit der damaligen Reichen sowohl in den Genüssen des Gaumens als auch in denen der Bequemlichkeit, der lese die Klassiker jener Zeit, oder auch die Schilderungen von Sienkiewicz in seinem Roman „Quo vadis“. Ebenso ist unter der Begierde der Augen nicht nur die sinnliche Augenlust im engeren Sinn zu verstehen, sondern alles, was das Auge fesselt, besonders die mannigfache Schönheit, die Natur wie Kunst dem menschlichen Körper und seinen Darstellungen verliehen haben. In dem „protzenhaften Wesen“ endlich – wörtlich heißt es: „die Prahlerei des Lebens“ -, mit dem die Reichen und die, die den Schein des Reichtums erwecken wollen, ihre Lebenshaltung umgeben, kommt der ganze Weltsinn zum Ausdruck. Das alles „stammt nicht vom Vater her, sondern kommt aus der Welt heraus“.
Der heilige Johannes macht hier keinen Unterschied zwischen erlaubten und unerlaubten irdischen Genüssen. Nicht, als ob er im Ernst alle und jede irdische Kultur für gottfeindlich erklären wollte. Aber einmal war in der heidnischen Kultur seiner Zeit die Grenze zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem so ziemlich verwischt. Und ferner ist es eben allen, auch den erlaubten irdischen Genüssen von Natur aus eigen, dass sie den Menschen, der sich rückhaltlos ihnen hingibt, auch ganz ergreifen und restlos ins Irdische hinein ziehen wollen. Und mit welcher Naturgewalt der „Kult der Schönheit“ nicht nur abzieht von Gott, sondern auch hinab zieht in die Tiefen der Sünde, das beweist nicht nur das antike Heidentum, sondern ebenso sehr die Zeit der Renaissance, wo mit dem neu erwachten Trieb nach der Schönheit auch der entartete Geschlechtstrieb Arm in Arm ging. Gewiss kommt es wie in allem, so auch hier auf die innere Haltung an, die der Mensch gegenüber den Gütern der Kultur und der Schönheit einnimmt.
Weil aber der Glanz der Welt und all ihrer Schönheit bei uns nicht mehr in ein paradiesisch reines, sondern in ein durch die Sünde beflecktes Herz fällt, in dem die böse Begierde wie ein Raubtier auf ihre Beute lauert, deshalb vermögen wir jene richtige innere Haltung nicht zu bewahren ohne Enthaltsamkeit. Nicht eine absolute Enthaltsamkeit, die die Schönheit dieser Welt stolz verachtet. Das wäre unnatürlich und würde wie alle Unnatur die Gefahr in sich bergen, dass die vergewaltigte Natur eines Tages sich aller Fesseln entledigt. Aber eine Enthaltsamkeit, die nie sich ganz hingibt, sondern stets ihre schritte zügelte, um nicht, ohne es zu wollen und zu merken, aus der Hand „des Vaters“ hinüber zu gleiten in die Arme der Welt.
Der Christ, der in dieser Weise mit aufgeschlossenen Augen durch die Schönheit der Welt wandert, hört das Seufzen der Schöpfung nach Erlösung, von dem der heilige Paulus schreibt (Röm. 8, 22). „Und die Welt vergeht und ihre Lust. Wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit.“ Diesen Vers, besonders der erste Satz desselben, hatte für die ersten Leser des Briefes einen viel wuchtigeren Klang. War es doch die allgemeine bestimmte Erwartung der Urchristenheit, dass das Ende der Welt nahe bevor stehe. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XIII, 1941, S. 483 – S. 485