Gottvater, ein Engel mit dem Flammenschwert zu Eva gewandt, ein anderer Engel mit einem Zweig zu Maria gewandt

P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
IV. Von der Übertretung der Gebote oder von der Sünde
§ 1. Von der Sünde überhaupt

Woraus erkennen wir die Bosheit der Todsünde?

1. Aus der schweren Strafe der bösen Engel und unserer Stammeltern; 2. aus der ewigen Strafe der Hölle, welche jede Todsünde verdient; 3. aus dem bitteren Leiden und Sterben, welches der Sohn Gottes unserer Sünden wegen erduldet hat.

Wie schrecklich Gott die Sünde der bösen Engel und unserer Stammeltern bestrafte, ist schon früher (Bd. 1, S. 206 u. 243 ff) dargetan worden. Desgleichen wurde beim zwölften Glaubensartikel bewiesen, daß Gott jede Todsünde, in welcher der Mensch aus diesem Leben scheidet, mit der ewigen Höllenstrafe züchtigt, und beim vierten Glaubensartikel (S. 383 u. 386), daß der ewige Vater seinen eingebornen Sohn um unserer Sünden willen zum peinvollen Kreuzestode verurteilte, da selbst die strengste Buße aller Menschen unzureichend gewesen wäre, auch nur für eine schwere Sünde vollgültige Genugtuung zu leisten.
Diese Strafurteile des allgerechten Gottes stehen als geoffenbarte Glaubens-Wahrheiten unerschütterlich fest. Dessen ungeachtet gibt es namentlich in unsern aufgeklärten Zeiten nicht wenige, die es wagen, die schwersten Sünden, die schändlichsten Laster als leicht verzeihliche Schwachheiten hinzustellen und sich und andere zu bereden, der Allgütige werde nicht so viel daraus machen, als die Prediger und Beichtväter es tun. Wahrlich, dieser Leichtsinn grenzt ans Unglaubliche! Wird man von einem Missetäter, der auf Befehl eines weisen und gerechten Fürsten zum Schafott geführt wird, wohl denken, er habe sich eine kleine Schwachheit zu Schulden kommen lassen? Wer möchte so unverständig erscheinen? Was sollen wir aber erst denken, wenn wir den unendlich weisen, gerechten und barmherzigen Gott um der Sünde willen über seine edelsten Geschöpfe, ja über seinen eingeborenen Sohn die furchtbarsten Strafen verhängen sehen? Soll es ein geringfügiger Fehler gewesen sein, um dessentwillen Gott Hunderttausende der erhabensten Geister aus den Wonnen des Himmels in den Abgrund namenloser Qual hinab schleuderte und ihnen auch nicht einen Strahl der Hoffnung auf Erlösung mehr übrig ließ für die ganze Ewigkeit? Soll es eine verzeihliche Schwachheit gewesen sein, um derentwillen unsere Stammeltern aus dem Paradiese verwiesen und samt ihrer ganzen Nachkommenschaft zahllosen Mühen und Leiden, dem zeitlichen und ewigen Tode unterworfen wurden? Soll Gott den Menschen, welchen er als liebender Vater mit Wohltaten überhäuft, durch hingebung seines eingeborenen Sohnes erlöst und zum Erben seines Reiches eingesetzt hatte, soll er diesen seinen Liebling um eines geringen Fehltrittes willen auf ewig von sich verstoßen? Wären die Sünden der Menschen bloß leicht verzeihliche Schwachheiten, hätte wohl der himmlische Vater von seinem eingeborenen Sohne dafür so strenge Genugtuung gefordert? Hätte er ihn den so überaus bitteren Leidenskelch trinken lassen bis auf die Hefe? Nein, meine Christen, die Sünde ist keine Kleinigkeit, sie ist, nach den Strafurteilen Gottes zu schließen, ein Ungeheuer von Bosheit, ein nie genug zu verabscheuender Frevel.

Leider machen die göttlichen Strafgerichte über die Sünde auf viele Menschen nur geringen Eindruck, teils weil sie dieselben nicht gehörig beherzigen, teils aber auch, weil sie selbst noch keine handgreifliche Strafe für ihre Sünden erfahren haben. Ja, es geschieht sogar nicht selten, daß große Sünder nach anbetungswürdiger Zulassung Gottes lange Zeit Überfluß an allen zeitlichen Gütern, Glück und Gelingen bei allen ihren Unternehmungen haben und daher in ihrem Übermut so weit gehen, bei sich zu denken oder auch auszusprechen: „Ich habe wohl gesündigt, aber was ist mir Leides widerfahren?“ (Sir. 5,4) Die Unglückseligen bedenken nicht, daß jede Sünde die verderblichsten Folgen für ihre unsterbliche Seele nach sich zieht, Folgen, die sie zwar nicht unmittelbar fühlen, die aber unvergleichlich beklagenswerter sind als jedes nur denkbare zeitliche Unglück oder Mißgeschick. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Sünde niemals fühlbare zeitliche Strafen im Gefolge habe: die Wasser der Sündflut, der Feuerregen über Sodoma und Gomorrha, die ägyptischen lagen, die Mißgeschicke und Niederlagen des sündigen Volkes Israel beweisen genugsam das Gegenteil. Ebenso lehrt die Erfahrung, wie die Sünde den Frieden des Herzens und der Familie stört; wie sie Glücksgüter, Gesundheit, Ehre und guten Namen auf einmal raubt oder allmählich entzieht. Wir beschränken uns jedoch hier auf die Erklärung jener Folgen, welche die Todsünde hinsichtlich der übernatürlichen Güter nach sich zieht. Da diese dem leiblichen Auge entgehen und nur durch den Glauben wahrgenommen werden, so bedürfen sie ganz besonders der Erklärung und Veranschaulichung.

Quelle: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 338-339