Altes Testament

Das Gericht über Juda und die Welt (Isaias Kap. 24)

1. Siehe (1), der Herr wird verwüsten und entblößen das Land (2), betrüben was darauf ist (3) und seine Einwohner zerstreuen (4).
2. Wie dem Volk wird’s dem Priester gehen, wie dem Knecht, so seinem Herrn, wie der Magd, so ihrer Frau, wie dem Käufer, so dem Verkäufer, wie dem Verleiher, so dem Entlehner, wie dem Gläubiger, so dem Schuldner. Osee 4, 9.
3. Es wird verheert und verwüstet das Land, beraubt und geplündert; denn der Herr hat gesprochen dies Wort (5).
4. Das Land wird traurig sein, welk und matt: welk der Erdkreis, matt die Herrlichkeit des Volkes im Lande. (6)
5. Das Land ist vergiftet (7) von seinen Einwohnern; denn sie übertraten die Gesetze, änderten das Recht, brachen den ewigen Bund.
6. Darum wird der Fluch das Land fressen, und sein Einwohner die Schuld tragen: darum werden unsinnig tun (8)seine Bebauer, und der Menschen Wenige übrig bleiben.
7. Dann trauert die Weinlese (9), der Weinstock ist saftlos: Alle seufzen, die fröhlichen Herzens waren.
8. Es feiert die Freude der Pauken, das Getümmel der Fröhlichen hat ein Ende, es schweigt der Harfe süßer Klang. (10)
9. Man trinkt nicht mehr Wein bei Gesang: bitter ist den Zechern der Trank.
10. In Trümmern liegt die eitle (11) Stadt; jedes Haus ist geschlossen, und Niemand geht hinein.
11. Man klagt über den Wein (12) auf den Straßen, alle Freude ist entflohen, weg geführt die Fröhlichkeit des Landes.
12. Verwüstung ist übrig in der Stadt, und Unglück überwältigt die Tore (13).
13. Denn so wird es sein im Land, in der Mitte der Völker: so wie wenn wenige Oliven zurück bleiben nach dem Schütteln des Ölbaums, und wenige Trauben nach der Weinlese (14).
14. Die (15) werden ihre Stimme erheben, und lobsingen, um der Herrlichkeit des Herrn willen vom Meer her jubeln (16).
15. Darum verherrlicht den Herrn in der Lehre (17), auf den Inseln des Meeres den Namen des Herrn, des Gottes Israels.
16. Von den Enden der Erde hören wir Lobgesang, Lob auf den Gerechten (18). Ich aber sage (19): Ich muss schweigen, ich muss schweigen (20), weh mir! Die Frevler freveln, ja schwer freveln sie, die Frevler (21)!
17. Schrecken, und Grube und Schlinge über dich, Bewohner des Landes (22)!
18. Wer vor dem Schrecken flieht, wird in die Grube fallen, und wer der Grube entklimmt, wird von der Schlinge gefangen (23): denn die Schleusen in der Höh tun sich auf (24), es beben die Gründe der Erde. Jer. 48, 44.
19. Zertrümmert wird die Erde, zerschmettert wird die Erde, erschüttert wird die Erde (25).
20. Es wankt die Erde wie ein Trunkener, und wird von ihrem Ort bewegt wie eine Nachthütte (26): schwer liegt auf ihr ihre Missetat, sie fällt, und steht nicht wieder auf.
21. An jenem Tag wird der Herr heimsuchen das Heer des Himmels in der Höh, und die Könige der Erde, so auf Erden sind (27):
22. man wird sie zusammen in einen Büschel binden zur Grube, und dort in dem Kerker verschließen, und nach vielen Tagen heimsuchen (28).
23. Und der Mond wird sich schämen, und die Sonne zu Schanden werden, wenn der Herr der Heerscharen herrscht auf dem Berg Sion und zu Jerusalem, und von seinen Ältesten verherrlicht werden (29).

Erläuterungen:

(1) die Kapitel 24 bis 27 bilden eine zusammen hängende Weissagung. Sie beginnt mit der Schilderung einer zerstörten Stadt, aus der nur Wenige sich retten; diese loben Gott, der von Sion aus herrscht (K. 24). Für diese Rettung dankt der Prophet; denn nun wird Jerusalem ein Sammelplatz für alle Völker, und alle Feinde des Volkes Gottes gehen unter (a. 25). Es dankt auch das gerettete Volk (26); denn zu der Zeit fällt das große Tier, und Israel lebt nach bestandener Strafe wieder auf (27). Diese Weissagung geht im buchstäblichen und nächsten Sinn auf die Zerstörung Jerusalems (24, 10 bis 13), die Abführung der Einwohner des verwüsteten Landes Juda (24, 1 bis 3) durch die Babylonier, die Verwüstung Babylons und seiner Königreiche (24, 16 bis 21) durch die Perser, die Rückkehr der Juden nach dem Sturz Babylons (25, 2. 8: 27, 12. 13) und das Wiederaufblühen des jüdischen Staates (26, 12 bis 16). Da diese Ereignisse die Vorbilder der tiefer in der Zukunft liegenden messianischen und letzten Zeit sind, so haben die Ausleger mit Recht diese letzten Zeiten als unter dem Buchstaben der Weissagung liegend betrachtet, und zugleich mit verstanden. Dabei ist nur noch zu bemerken, dass der Prophet die Schicksale des irdischen, sinnlichen Jerusalems, die er zunächst verkünden wollte, zuweilen verläßt und zu jenen letzten Zeiten übergeht, um diese nicht nur im Bild, sondern buchstäblich anzukünden, wo dann die Begegnisse des irdischen Jerusalems zurück, jene des geistigen und himmlischen, der Kirche hervor treten: so die allgemeine Weltreligion (25, 6. 7), das Weltende (24, 4. 19), die Auferstehung (26, 14. 19), das Weltgericht (24, 21. 22), und die Auflösung der Kirche ins himmlische Jerusalem (24, 23). Auf dieselbe Weise hat auch der Heiland (Matth. 24) an die Verkündung der Verwüstung Jerusalems durch die Römer die Schilderung des Weltendes geknüpft.
(2) Machen menschenleer das Land.
(3) Im Hebr. Umkehren, was darauf ist (Bild von einer Flasche hergenommen, die man umkehrt, wenn man sie leeren will).
(4) So bei der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier (4. Kön. 24); so bei der durch Christus eintretenden Scheidung (Matth. 10, 35); so am Weltende (Matth. 24).
(5) hat es so geschehen lassen.
(6) And. geben: matt die Höchsten des Volkes auf Erden.
(7) And geben: entheiligt.
(8) Im Hebr. welk werden, traurig sein.
(9) Im Hebr. der Most.
(10) Im Hebr. der Harfe (Cither) Freude.
(11) And. die verödete.
(12) über die von dem Feind verheerten Weinberge.
(13) Bestimmter im Hebr.: in Trümmer werden geschlagen die Tore.
(14) Nur wenige werden im Verhältnis zu den Umkommenden in dieser (Land, Welt, Erde) Katastrophe (der Einnahme Jerusalems, der Gründung der Kirche, des letzten Gerichtes) gerettet werden.
(15) wenigen Auserwählten.
(16) Unter dem Meer ist eigentlich das von Palästina westlich gelegene Küsten- und Insel-Land verstanden (Vers 15), dann uneigentlich die weit entlegenen Länder überhaupt, so daß der Sinn ist: Die wenigen Geretteten werden in weiter Ferne die Gerichte Gottes preisen.
(17) Der Prophet muntert die Lobsingenden auf: Verkündet die Lehre des Heils (siehe Matth. 3; Apostelg. 28, 28; Hebr. 6, 2ff). Im Hebr. Darum preiset den Herrn im Licht, eigentlich in der Flamme, nach dem arabischen Sprachgebrauch. Die West- (Vers 14) und Nordländer der Erde haben den Segen des Christentums vorzugsweise angenommen. Siehe 1. Mos. 9, 27; Ps. 106; And. Geben: preiset den Herrn im Osten. And. In den Gründen. And and.
(18) Die aus der Belagerung Jerusalems Geretteten werden in den entfernten Ländern, wo sie sich befinden, Gottes Gericht preisen. Die durch Christus Geretteten werden Ihn, den Gerechten, durch den sie Alle gerecht wurden, loben.
(19) Der Prophet lenkt seinen Blick auf etwas Anderes.
(20) Ich kann nicht zu Wort kommen vor dem Schrecklichen, das ich sehe (Hier.) And. geben das Hebr.: Ich vergehe, ich vergehe. And and. Der Prophet beschreibt die schrecklichen Strafgerichte, welche die Babylonier selbst treffen.
(21) Die Babylonier sind große Sünder (aber eben so groß ist auch ihre Strafe, wie nun folgt).
(22) Über dich, Babylonier (Chaldäaer)!
(23) Wer einer Gefahr entgehen will, wird in die andere stürzen.
(24) Denn der Himmel selbst streitet wider sie, wie zur Zeit der Sündflut.
(25) Der Prophet bezeichnet zunächst die Verwüstung Chaldäas durch die Perser, wählt aber dafür Ausdrücke, aus denen hervor geht, dass er das jener Verwüstung als Untersinn unterliegende Weltende und Weltgericht vorzüglich im Auge habe.
(26) Im Hebr. Und schwankt wie ein Hängebett (dergleichen man im Orient auf Reisen wegen der wilden Tiere gebraucht zwischen zwei Bäumen).
(27) Der Prophet geht nun auf die Beschreibung des Weltgerichts über, wobei die Verwüstung des babylonischen Reiches zurück tritt, und nur bildlich noch verstanden werden kann. – Am letzten Gericht werden die bösen Engel zur Rechenschaft gezogen (1. Kor. 6, 3; Apok. 20, 9), und auch keine irdische Herrlichkeit wird verschont bleiben.
(28) Einige geben den Sinn: Man wird sie in die Hölle verschließen, und viele Tage nach einander, d. i. ewig strafen. Andere verstehen es so: in die Hölle verschließen, und nach vielen Tagen, d. i. nach tausend Jahren wieder loslassen, und zum allgemeinen Gericht vorrufen, nach welchem sie ewig in der Hölle begraben werden. Diese Meinung beruht auf Apok. 19, 9 bis 20. Nach dieser Stelle wird in der Zeit des Christentums das heidnische Weltreich mit seinen Königen von Christus besiegt, und mit dem Satan in die Hölle gestürzt. Hierauf herrscht die Kirche Christi tausend Jahre (d. i. eine längere Zeit) siegreich auf Erden; darnach aber wird der Satan noch einmal zur Verführung der Völker losgelassen. Nachdem er gänzlich mit seinem Anhang besiegt ist, erfolgt das letzte allgemeine Gericht, wobei die mit dem Widerchrist gefallenen Könige (Apok. 19, 19ff) wieder vorgerufen (Apok. 20, 12), mit Satan gerichtet und auf ewig in die Hölle geworfen werden.
(29) Der Prophet läßt in der Darstellung seines Gesichts nun wieder den nächsten Sinn in Bezug auf das irdische Jerusalem vorwalten, und die entferntere Zukunft zurück treten. Dann (wenn das chaldäische Reich gestürzt) wird Gott auf Sion in solchem Glanz (mit so herrlichen Wirkungen) herrschen, dass Sonne und Mond dabei verschwinden. Zugleich: Dann (wenn das Gericht der Welt vollendet ist) wird Gott im himmlischen Sion vor den Bewohnern des Himmels in einer Herrlichkeit herrschen, die alle irdische Größe übertrifft. –
aus: Joseph Franz Allioli, Die Heilige Schrift des alten und neuen Testamentes. Aus der Vulgata, 4. Bd. 1838, S. 67 – S. 70