P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
IV. Von der Übertretung der Gebote oder von der Sünde
§ 2. Von den verschiedenen Gattungen der Sünde
2. Von den sünden wider den Heiligen Geist
Die Sünde an der Gnade Gottes zu verzweifeln
Durch Vermessenheit mißbraucht der Mensch die göttliche Barmherzigkeit, indem er, auf sie gestützt, sich der Sünde hingibt, und darin verharrt; durch Verzweiflung mißkennt er die Barmherzigkeit Gottes und stößt sie von sich, indem er alle Hoffnung aufgibt, Verzeihung der Sünden und das ewige Heil zu erlangen. Auch diese ist demnach eine Sünde wider den Hl. Geist, und zwar eine sehr schlimme, wie schon nachgewiesen wurde. – Einer solchen Sünde machte sich Kain schuldig, indem er sprach: „Meine Missetat ist zu groß, als daß ich Verzeihung erhalten könnte.“ (1. Mos. 4, 13) Desgleichen Judas, der Verräter unsers Herrn: nachdem er die Folgen seines gottesräuberischen Frevels vor Augen sah, ging er voll Verzweiflung hin und erhängte sich. (Matth. 27).
Nicht selten geraten eben diejenigen, welche in ihrem Leben vermessentlich auf Gottes Barmherzigkeit gesündigt haben, nach göttlicher Zulassung auf dem Sterbebett in Verzweiflung. P. Cattaneo erzählt in seinen Predigten vom guten Tode, ein junger Wolllüstling, dem man öfters zuredete, er möchte doch sein Leben ändern, habe regelmäßig geantwortet: „Eine Heilige, die allmächtig ist, nimmt sich meiner an; diese Heilige ist die Barmherzigkeit Gottes.“ Mit dieser Redensart wies er jeden Hinweis auf die göttlichen Strafgerichte spöttelnd zurück. Von einer tödlichen Krankheit befallen, ließ er jedoch einen Beichtvater herbei rufen; allein während er sich zur Beichte vorbereitete, traten ihm die Sünden seines ganzen Lebens in solcher Unzahl und Abscheulichkeit vor die Seele, daß er voll Entsetzen ausrief: „O des endlosen Sündenregisters!“ Er starb in der Verzweiflung, bevor es ihm vergönnt war, sich mit Gott auszusöhnen. (Hl. Liguori, Predigt 52).
Quelle: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 360; S. 552