Apokalypse – Der Ansturm der antichristlichen Mächte

 Die himmlische Frau und der Drache. Kap. 12 Vers 2. Die Frau als Symbol der Kirche

Dass in dem Kind der Messias zu sehen ist, unterliegt keinem Zweifel und wird sogar von denen zugegeben, die in der Vision nur eine freie Gestaltung der weit verbreiteten Erlöser-Mythen bis hinaus zur vierten Ekloge Vergils erblicken. Die Anwendung des Christkönigs-Psalms (2, 9) auf das Kind (`Vers 5) ist eindeutig. Die Geburt des Messias aus Maria wird als geschichtliches Ereignis voraus gesetzt und so in die Vision einbezogen. Die Mutter als himmlisches Wahrzeichen in ihrer Herrlichkeit, aber auch in ihren Wehen ist keine historische Einzelperson, sondern eine allegorische Gestalt, das Symbol des Gottesvolkes, aus dem der Messias geboren wurde, also zunächst „Israel dem Fleische nach“. Seine eigentliche Bestimmung war es, der Menschheit den Erlöser zu schenken, und dieser Beruf hat ihm Leid und Not gebracht, so groß wie die Wehen einer Mutter. Gott hat dieses Volk in das Sonnenlicht seiner Offenbarung hinein gestellt wie kein anderes, es mit unverdienter Ehre und Herrlichkeit geschmückt. Der Sternenkranz um das Haupt der Erscheinung läßt sich ungezwungen als Symbol der zwölf Stämme Israels verstehen. Das Volk oder Jerusalem als dessen Metropole in der Gestalt einer Frau darzustellen, entspricht durchaus der biblischen Bildersprache. Besonders deutlich ist das Pauluswort: „Das Jerusalem aber, da droben ist, ist frei; das ist unsere Mutter“ (Gal. 4, 26).

Wie aber im vorigen Kapitel Jerusalem und der Tempel nicht bloß das alt-testamentliche Israel abbildeten, sondern vor allem das neu-testamentliche Gottesvolk, so ist die Frau am Himmel nicht nur als Erscheinung Israels, sondern auch als Symbol der Kirche, der Rechtsnachfolgerin Israels, zu betrachten. Gewiß wird die Kirche in neuer Anwendung des Frauensymbols später als die Braut des Lammes, also Christi, dargestellt (19, 7; 21, 2 u 9; 22, 17). Dem widerspricht es aber keineswegs, daß die Kirche hier als Mutter des Messias geschaut wird. Auch Christus erscheint bald als der Menschensohn, bald als das Lamm, bald als Reiter auf weißem Roß. In der alt-testamentlichen Allegorie ist Israels Verhältnis zu Jahwe nicht nur als Rechtsbund und Ehebund, sondern auch als Sohnschaft aufgefaßt… Zudem geht es im 12. Kapitel um das alt- und neu-testamentliche Gottesvolk im Zustand der Bedrängnis, um das hoffende Israel und die streitende Kirche, später aber beim Brautsymbol um die triumphierende Kirche in ihrer jenseitigen Vollendung.

Um den Symbolismus der Frauengestalt am Himmel richtig zu verstehen, „gilt es, auf die Zusammengehörigkeit der heiligen Gemeinde in den vor-messianischen Epochen und in den messianischen Zeiten zu achten: Es gibt nur eine einzige Kirche durch alle Zeitalter hindurch“ (A. Gelin, Apocalypse: La Sainte Bible Bd. XII (Paris 1938) 629). Als werdende Mutter stellt die himmlische Frau Israel dar, als Fliehende und Verfolgte das Gottesvolk des Neuen Bundes. Wenn darum auch die Geburt des Messias aus der Verborgenheit von Bethlehem heraus gehoben und in ihre übergeschichtliche Öffentlichkeit hinein gestellt ist, so ist sie dennoch als geschichtliche Tatsache, als Beginn der Endzeit unterstellt und nicht als Ereignis aufzufassen, das erst am Zeitenende sich vollzieht. Von einer „eschatologischen Geburt“ des Messias weiß die Apokalypse nichts. Es braucht auch nicht eine fortdauernde, bloß geistige Geburt Christi aus der Kirche angenommen zu werden, wie Beda Venerabilis es tut, noch weniger eine mystische Geburt der Christen in der Taufe. Diese spiritualisierende Erklärung verrät am besten, wie wenig Beda und die die früheren Ausleger daran dachten, die himmlische Frau ohne weiteres als Erscheinung der Gottesmutter Maria aufzufassen. Darum hat auch die alte Kunst die von der Sonne umkleidete und vom Teufel bedrohte Frau, sie später zu einem Hauptmotiv aus der Apokalypse geworden ist, noch nicht als Maria dargestellt. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 176 – S. 177
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