Kennzeichen der Kirche
Die Kirche lehrt und bekennt denselben Glauben
Warum ist die römisch-katholische Kirche offenbar einig?
Weil sie allezeit und überall denselben Glauben lehrt und bekennt.
Auch heutzutage noch gelten von der römisch-katholischen Kirche die schönen Worte, womit der hl. Irenäus (Adv. Haeres. L. 1. c. 10, n. 2) die Glaubenseinheit derselben darstellte: „Obgleich durch die ganze Welt zerstreut, bewahrt doch die Kirche treulich die verkündete Heilslehre, als bewohne sie ein Haus, glaubt überall dasselbe, als hätte sie nur eine Seele, lehrt allenthalben übereinstimmend, als hätte sie nur einen Mund. Obschon die Sprachen verschieden sind, so ist doch der Inbegriff der überlieferten Lehre ein und derselbe. Weder die in Deutschland gegründeten Kirchen glauben und lehren anders, noch die in Irland oder Frankreich oder im Orient oder in Ägypten oder in Libyen oder am Ende der Erde, sondern wie die Sonne in der ganzen Welt ein und dieselbe ist, so strahlt auch das Licht (die Predigt) der Wahrheit überall und erleuchtet alle Menschen, die zur Erkenntnis der Wahrheit kommen wollen.“ Die Kirche hat zwar ihrem Glaubensbekenntnis im Laufe der Zeit eine bestimmtere Fassung und größere Entwicklung gegeben, aber darum ihre Glaubenslehre nicht im mindesten geändert, wenn er denselben in einer längeren Rede genauer bestimmt und entfaltet. Nie hat man nachweisen können, daß sie einen Glaubenssatz verworfen, den sie früher angenommen, oder einen angenommen, den sie zuvor verworfen hatte. Allerdings gestattet die Kirche Verschiedenheit der Meinungen in Sachen, über welche eine bestimmte Glaubenslehre nicht vorliegt, niemals aber duldet sie einen Widerspruch gegen das, was sie als von Gott geoffenbart zu glauben vorstellt. Darum hat das Vatikanische Konzil (Sitz. 3, Kan. 3 zu Kap. 4) den Bann über jeden ausgesprochen, „der sagt, es könne der Fall eintreten, daß zufolge des wissenschaftlichen Fortschrittes den Sätzen, welche die Kirche zu glauben vorstellt, dereinst ein anderer Sinn müsste beigelegt werden als der, in welchem die Kirche sie verstanden hat und versteht.“ Wer immer also in Sachen des Glaubens etwas anderes lehrt oder bekennt als das eine Lehramt der katholischen Kirche, der wird aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen. (S. 499 – S. 500)
In der katholischen Kirche galt immer und gilt noch als Hauptregel: Keine neue Lehre ist zu dulden, sondern das ist zu glauben, „was überall, was allezeit, was von allen rechtgläubigen Christen geglaubt worden ist; denn das ist wahrhaft katholisch oder allgemein.“
Diese Regel sagt jedoch nicht, daß allein sei wahrhaft katholisch, als müsste jede Lehre, die nicht allezeit von allen geglaubt wurde, als falsch und nicht-katholisch verworfen werden. Denn es konnte immerhin sich ereignen, daß eine von den Aposteln überlieferte Glaubenslehre nicht allezeit von allen geglaubt wurde, weil man über die Frage, ob dieselbe wirklich von den Aposteln herstamme, noch nicht allgemein einig war. (S. 51)
Wie verhält es sich nun aber in der katholischen Kirche? Welch ein unverkennbarer Unterschied ist zwischen ihr und den Sekten! Ist ihre Glaubenslehre nicht überall und allezeit ein und die dieselbe? Oder lehrt sie etwa anders in Spanien als in Deutschland, anders in Frankreich als in Rom? Man gehe hin und forsche nach, wenn man etwa an der Einheit ihrer Lehre zweifelt. Hat sodann die katholische Kirche ihre Glaubenslehre je geändert? Wo? Wann? Durch wen? Lehrt sie heute vielleicht das Gegenteil von dem, was vor dreihundert Jahren das Konzil von Trient lehrte, oder lehrte dieses nicht ebenso wie die früheren Konzilien? Konnte man sie je eines Widerspruchs überwiesen? Und hat sie nicht zu allen Zeiten den Bannfluch über alle Neuerer ausgesprochen? Hat sie ihnen nicht stets zugerufen: Nein, keine Neuerung, nie, nie? So hat sie stets mit der gewissenhaftesten Treue beobachtet, was der hl. Paulus dem Bischof Timotheus, und in seiner Person der ganzen Kirche gelobt: „Bewahre die (reine) Lehre, welche dir anvertraut ist, hüte dich vor unheiligen Neuerungen.“ –
Nichts ist ungereimter als die Beschuldigung, das Vatikanische Konzil habe durch seine Entscheidung in Betreff der Unfehlbarkeit des Papstes eine neue Glaubenslehre aufgestellt. Nein, das Konzil hat nichts Neues zu glauben befohlen, im Gegenteil verhütet, daß die alte, von Gott geoffenbarte, in der Schrift und Überlieferung begründete Lehre nicht durch eine vom Evangelium sowohl als von den Aussprüchen der hl. Väter und der Konzilien abweichende Irrlehre verdrängt wurde; zur Bewahrung der alten katholischen Lehre hat das Konzil das Dekret über die päpstliche Unfehlbarkeit erlassen. (S. 77 – S. 78)
aus: Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 1, 1911