Apokalypse – Der Ansturm der antichristlichen Mächte
Die himmlische Frau und der Drache. Kap. 12 Vers 1 – 2. Wer ist die Frau mit dem Sternenkranz?
Über die Leiden der Kampfzeit hinweg hat der Seher den Blick auf die Siegesfeier und das ewige, friedvolle Beisammensein Gottes und seiner Getreuen im Himmel gelenkt. Nun wird im zweiten Akt des Dramas der Entscheidungskampf geschildert.Aber warum muss überhaupt der furchtbare Kampf durchgefochten werden? Wer stört ständig den Frieden und bringt so viel Leid in die Schöpfung, die doch nach Gottes eigenem Urteil im Anfang gut war? Die beiden wichtigen Kapitel 12 und 13 geben die Antwort: Weil dem Gottesreich des Guten eine gewaltige Feindesmacht gegenüber steht, das Teufelsreich des Bösen. Schon im Zwischenspiel ist es kurz in Erscheinung getreten (11, 7). Nun läßt der Feind gleichsam das Visier fallen und gibt sich in seiner Satansnatur zu erkennen. Aber auch das Gottesreich erscheint in überirdischer Hoheit und Herrlichkeit. Die Bilder, die sich da enthüllen, gehören zum Wuchtigsten, was je in menschlicher Sprache geschrieben wurde. Auch inhaltlich zählen diese Kapitel zu den aufschlussreichsten der Offenbarung. Die Frage nach dem Ursprung des Bösen, nach dem Grund der gestörten Weltordnung findet hier eine visionäre Antwort. Zeiten optimistischen Glaubens an steten Kulturfortschritt wußten darum nie etwas Rechtes mit diesen Texten anzufangen.
Für das Verständnis des 12. Kapitels, das im Angelpunkt der ganzen Apokalypse steht, ist es wichtig, auf die Eigenart der prophetischen Vision zu achten. Wenn die Prophetie in der Regel Zukünftiges betrifft, so doch nicht ausschließlich. Es geht dem Propheten nicht so sehr um Auskunft über das zeitliche Nacheinander der Dinge als um Aufdeckung der inneren Zusammenhänge, um den Hinweis auf die treibenden Kräfte der Entwicklung; nicht um das Vordergründige, sondern um das Hintergründige. So fließen in dieser Vision der beiden Zeichen am Himmel Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einem der gewaltigsten Bilder der Apokalypse zusammen. Die Geburt des Messias, der Kampf Satans gegen ihn und seine Entrückung bei der Himmelfahrt, also geschichtliche Ereignisse, sind zusammen geschaut mit künftigen Verfolgungen der Kirche und ihrer Rettung in einer Vision, in der es sich um die Vorbereitung zum Endkampf handelt, um die Existenz und letzte Vollendung des Messiasreiches. Die Kampffronten heben sich ab. Dem Himmelsweib stellt sich der Höllendrache gegenüber (1-6). Michael stürzt als Heerführer der guten Engel den Drachen mit seinem Anhang gefallener Geister, und der Himmel feiert jubelnd den Sieg (7-12). Aber der Drache verlegt den Kampfplatz auf die Erde und führt dort den Krieg gegen die Frau und ihre Nachkommen weiter (13-17).
Der Standort des Sehers ist wieder die Erde. Was er schaut, spielt sich nicht im Himmel, sondern am Himmel und auf der Erde ab. Zweimal sieht er ein „Zeichen“, ein sēmeion, ein eigentliches, aber geheimnisvolles Wahrzeichen von symbolischer Bedeutung. In beiden Fällen ist es kein bloß gegenständliches Zeichen wie etwa „das Zeichen des Menschensohnes“ beim Erscheinen des Weltenrichters (Matth. 24, 30), wenn damit das Kreuz Christi und nicht der Richter auf den Wolken selbst gemeint ist. Johannes schaut zwei Gestalten, eine Frau und den Satan als Drachen. So schauderhaft das zweite, so herrliche ist das erste Zeichen. Alle Lichtfülle ist über diese himmlische Frauengestalt ausgegossen. Sie ist in einen Glanz getaucht, als habe sie die Sonne wie einen Mantel um die Schultern gelegt. Unter ihren Füßen leuchtet wie in dienender Stellung der Mond. Um ihr Haupt funkelt als Diadem ein Lichtkranz von zwölf Sternen. Eine wahrhaft königliche Erscheinung, die Himmelskönigin!
Aber nicht um ihrer selbst willen ist sie so herrlich ausgestattet. Neues Leben will aus ihrem Schoß hervor gehen, und auch sie steht unter dem Schicksalsspruch, den der Schöpfer nach dem Sündenfall über alle Mütter getan hat: „Viele Beschwerden will ich dir auferlegen, wenn du Mutter wirst; mit Schmerzen sollst du Kinder gebären (1. Mos. 3, 16). Diese Wehen gelten in der Bibel als Inbegriff der größten Schmerzen (Mich. 4, 9-10; Os. 13, 12-13; Is. 26, 17; 66, 7ff; Joh. 16, 21; Gal. 4, 19). Namentlich symbolisieren die Schmerzen der Gebärenden in dem Werden neuen Lebens den Anbruch einer Zeitenwende, die Geburtswehen einer neuen Ziet, die Verwirklichung großer Heilspläne Gottes. Wen Gott zum Werkzeug seiner Vorsehung macht, der hat kein leichtes Dasein. Leid und Schmerz gleich den Wehen einer Mutter sind sein Anteil. Bei der Frau, die Johannes am Himmel sieht, sind die Schmerzen so groß, daß ihr Notschrei das All durchdringt und von dem Seher auf Erden vernommen wird. Es muss sich also bei ihr und ihrem Kind um Außerordentliches handeln.
Damit erhebt sich von selbst die Frage: Wer ist diese Frau? Wen stellt sie als himmlisches Wahrzeichen dar? Wir brauchen uns nicht auseinander zu setzen mit der Ansicht, es handle sich in dieser Vision lediglich astrologisch um das Sternbild der Jungfrau im Tierkreis des Himmels und um jenes der Hydra, das darunter steht, mythologisch weiter entwickelt im ägyptischen Mythus von Isis, Horus und Typhon. Man müsste dem Text und Zusammenhang Gewalt antun, um diesen Sinn darin zu finden, ganz abgesehen vom zweck der Apokalypse überhaupt. Mögen zeitgenössische Motive der hellenistischen Umwelt den aufgeschlossenen Sinn des Sehers angeregt und seine Phantasie befruchtet haben, so ist von diesen äußeren Formelementen doch nichts in den Inhalt seiner Vision eingedrungen.
Viele Exegeten haben in der apokalyptischen Frauengestalt am Himmel Maria, die Mutter des Erlösers, gesehen und diese Deutung als eigentlichen Wortsinn des Textes aufgefaßt. Die lateinische Lesart von 1. Mos. 3, 15 regte dazu an. Vom frühen Mittelalter her sind christliche Künstler, darunter ganz große, wie Dürer und Murillo, nicht müde geworden, das Bild der „Himmelskönigin“ oder der „Unbefleckt Empfangenen“ so zu zeichnen, wieJohannes das große Zeichen am Himmel schaute. Auf steiler Höhe ragt über Trier die „Mariensäule“ empor als ein Wahrzeichen der ältesten Stadt Deutschlands. Die Marienstatue, die sie krönt, ist ebenfalls die Madonna mit dem Sternenkranz um das Haupt und dem Mond zu Füßen. Wenn dann die Sonne am westlichen Himmel steht und das Marienbild ganz in ein goldenes Strahlenkleid hüllt, ist es, als erneuere sich die apokalyptische Vision. Den Malern und Bildhauern schließen sich die Dichter in der Verherrlichung des großen Zeichens am Himmel an. Auch die Liturgie preist Maria mit denWorten des ersten Verses unseres Kapitels im sechsten Responsorium der Metten am Fest der Unbefleckten Empfängnis und am Rosenkranzfest, an letzterem auch in der fünften Antiphon der Laudes. Am Fest der Erscheinung der Unbefleckten Jungfrau zu Lourdes (11. Februar) wird derselbe Vers als zweite Antiphon in den Vespern und Laudes heran gezogen und aus Offb. 11, 19; 12, 1 u. 10 die Epistellesung gebildet. So ist eine schöne Verknüpfung der im Himmel sichtbar gewordenen Bundeslade mit der Frau am Himmel, der „Arche des Bundes“, hergestellt. Als 1904 der fünfzigste Jahrestag der feierlichen Verkündigung des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis Mariä begangen wurde, führte Pius X. in seinem Rundschreiben „Ad diem illum“ auch Offb. 12, 1 an und fügte hinzu: „Jeder weiß, daß jene Frau die Jungfrau Maria bedeutet, die unversehrt unser Haupt (Christus) geboren hat.“ In der Tat bietet der Text mehr als einen Anhaltspunkt zur Beziehung auf Maria. In ihr durfte Johannes, dem der sterbende Erlöser die Mutter anvertraut hatte, das Idealbild der Frau überhaupt erblicken. Wie keine andere ist sie voll der Gnade, eine Lichtgestalt ohne Schatten. Gott selber hat sie zum Kampfzeichen bestimmt, als er zwischen dem Weib, ihrem Kind und der höllischen Schlange Feindschaft setzte (1. Mos. 3, 15). Auf sie hat Isaias den zagenden König Achaz hingewiesen, als er ihn vergeblich aufforderte, „von Gott ein Zeichen in der Tiefe drunten oder in der Höhe droben zu verlangen“ (Is. 7 10ff).
Trotzdem muss betont werden, daß die Beziehung des großen Wahrzeichens am Himmel auf Maria nicht dem Wortsinn des Textes entspricht, so sehr sie auch im übertragenen oder angewandten Sinne berechtigt ist. Nicht bloß die Lichtgestalt in ihrer makellosen Reinheit, sondern auch die Not der Gebärenden gehört zu Wesen dieser Vision. Maria aber hat ihr Kind ohne Schmerzen geboren. Zudem spielt sich der Inhalt der Vision in aller Öffentlichkeit ab. Der Schmerzensschrei der Kreißenden durchdringt das All. Das hat der Gestalter des Offiziums vom 11. Februar beachtet und darum den zweiten Vers aus der Epistel fortgelassen. Ginge aber der Wortsinn des Textes auf Maria, so wäre es unstatthaft, einen wesentlichen Bestandteil daraus zu streichen. M. Scheeben bemerkt vom Standpunkt des Dogmatikers: „Das große Zeichen am Himmel bezieht sich zwar direkt auf die Kirche, aber so, daß die Züge des Bildes von Maria entlehnt und Maria selbst nicht bloß irgendwie als Vorbild, genauer Urbild der Kirche, sondern als ein mit der Kirche organisch verbundenes, wurzelhaft dieselbe in sich befassendes und repräsentierendes, sowie in derselben und durch dieselbe wirkendes Urbild gedacht ist“ (Dogmatik III 460) –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 173 – S. 176
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