1. Brief des hl. Johannes Kap. 1 Vers 5-10
Der Wandel im Licht Gottes
Das erste, was die Apostel von Christus vernommen haben und an die Gläubigen weiter geben, ist die große Lehre, „dass Gott Licht ist“. Zwar steht nirgendwo in den Evangelien, dass Christus sich so über Gott ausgedrückt hat. Aber er hat sich selbst das Licht der Welt genannt (Joh. 8, 12). Und da dieses Licht vom Vater kommt, so ist es ganz in seinem Sinn, auch Gott mit diesem Namen zu bezeichnen. Ist es doch ebenso wie „Leben“ eine treffende Bezeichnung, um das in Verstandesbegriffe nicht zu fassende Wesen der Gottheit bildlich zu beschreiben. Deshalb wechseln auch in der hellenistischen Religionssprache diese beiden Ausdrücke als Wesensbezeichnung der Gottheit. „Gott ist Licht, und es gibt keinerlei Finsternis in ihm.“ Er ist eben ganz anders als wir, die wir aus der Nacht des Nichts herkommen und durch dieses an Schatten so reiche irdische Leben zurückwandern in die Nacht. In ihm ist lauteres unendliches Sein, ohne einen Schatten des Mangels oder Nichtseins. Darum ist sein ganzes Wesen auch lautere Freude und Seligkeit und hell strahlendes Glück. Besonders aber versteht der heilige Johannes den Ausdruck „Licht“ in ethischem Sinn: Gott ist die fleckenlose und schattenlose Heiligkeit selbst. Daraus folgt allerdings mit Notwendigkeit, dass nur der volle Gemeinschaft mit Gott haben kann, der selber auch „im Licht wandelt“, d. h. ein fleckenloses Leben der Heiligkeit führt.
Der Apostel drückt das zuerst negativ aus: „Wenn wir behaupten, mit ihm Gemeinschaft zu haben und in der Finsternis wandeln, so lügen wir.“ Das letztere ist ein scharfer Ausdruck. Man hätte auch schreiben können: „So irren wir“. Denn es ist doch nicht immer gerade bewusste Lüge. Aber der heilige Johannes liebt die scharfen Formulierungen. Im ganzen Brief kennt und nennt er nur immer die äußersten Extreme. Das ist charakteristisch für ihn, dieses Entweder-ohne. Er ist keineswegs der zarte und weiche Mystiker, für den man ihn halten möchte und als welchen ihn die Kunst darstellt, weil das Wort „Liebe“ solch eine Rolle spielt in seinem Brief.
Viel eher könnte man ihn, den Lieblingsjünger des Herrn, einen Aszeten nennen von einer furchtbaren Konsequenz und einer geradezu erschreckenden sittlichen Energie. Wir hätten erwartet, dass er nun weiter führe: „Und wir sagen oder haben die Wahrheit nicht.“ Aber das ist wieder ganz bezeichnend für seinen Stil, dass er die zu erwartenden Ausdrücke abbiegt, sei es zur Weiterführung, sei es zur Vertiefung des Gedankens. „Wir tun die Wahrheit nicht.“ Die Wahrheit – die von Christus gebrachte Glaubenswahrheit oder Gotteserkenntnis ist hier gemeint – ist für sein niemals bloß theoretisches oder mystisches, sondern stets ungemein energisches praktisches Denken nicht etwas, was in unserem Verstand ein ruhiges Dasein führt, sondern eine Kraft, die zum entsprechenden Handeln treibt und deren Vorhandensein daher auch im Handeln sich zu erkennen geben muss.
„Wenn wir aber im Licht wandeln, wie er selber im Licht ist.“ Auch diese Umbiegung des Gedankens – vorhin hat es geheißen: „Gott ist Licht“, jetzt: „er ist im Licht“ – hat ihren Sinn: Gott gehört infolge seiner Lichtnatur einer ganz anderen Welt an, der – allerdings von ihm ausgehenden – Lichtwelt, der Welt der Übernatur. Wer also mit Gott in Gemeinschaft leben will, muss ebenfalls dieser anderen Welt angehören, der Welt der Erlösten, die Christus auf Erden gegründet hat inmitten dieser Welt der Finsternis, in der die Unerlösten leben. Wenn wir in dieser Welt leben, theologisch ausgedrückt: wenn wir ein übernatürliches Leben führen aus dem Glauben heraus und mit den von Gott uns geschenkten übernatürlichen Gnadenkräften, dann – „haben wir Gemeinschaft mit Gott“. So hätten wir es erwartet.
Wiederum aber biegt der Apostel den Gedanken ab: „dann haben wir Gemeinschaft miteinander“. Nur dann nämlich gehören wir wirklich und innerlich zu der Gemeinschaft der Erlösten, zur Kirche, durch die die Gemeinschaft mit Gott vermittelt wird (vgl. Vers 3). Und in dieser Gemeinschaft allein ist auch das Erlöserblut Christi wirksam: „Und das Blut Jesu, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“ Denn Sünde ist immer noch vorhanden, auch bei dem, der sich redlich bestrebt, aus dem Glauben zu leben (vgl. Joh. 15, 2). „Wenn wir behaupten, wir hätten keine Sünde, dann täuschen wir uns, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ Freilich sind wir nicht imstande, aus eigener Kraft die Sünde zu tilgen. Unsere Fähigkeit beschränkt sich darauf, die Sünde zu erkennen und zu bekennen. Das aber ist auch notwendiges Erfordernis.
Denn erst dann, dann aber auch gewiss, setzt Gottes Tätigkeit ein, die uns die Sünden nachläßt, und zwar nicht nur die Schuld vor Gott vergibt, sondern uns auch tatsächlich von der uns selber anhaftenden Ungerechtigkeit reinigt. Der Grund dazu aber sind Gottes Treue und Gerechtigkeit. Seine Treue gegenüber den schon im Alten Bund in so großer Zahl gegebenen Verheißungen des Sündenerlasses. Seine Gerechtigkeit, die einen Unterschied macht zwischen denen, die ihre Sünden bekennen, und denen, die dieses Bekenntnis verweigern. Gerade deshalb aber, weil Gott so oft die Vergebung der Sünden in Aussicht gestellt hat, ja weil sozusagen das ganze Wort Gottes darauf hinaus läuft, deshalb ist die Leugnung der eigenen Sündhaftigkeit nicht nur eine persönliche Täuschung, sondern sie stellt Gott geradezu als Lügner hin. Dass in einem solchen Menschen das Wort Gottes, das uns ja „die Wahrheit“ gebracht hat, nicht gewohnt, ist einzusehen.
Es wäre aber ein arger Irrtum, wollte man aus dem Gesagten den Schluss ziehen, dass der Christ also ruhig drauflos sündigen darf, damit das Blut Christi so recht seine Wirksamkeit entfalten und Gott seine Verheißungstreue beweisen könne. Ein Irrtum, der ja nahe lag (vgl. Röm. 6, 1). Und vielleicht haben auch die Irrlehrer, die der heilige Johannes im weiteren Verlauf seines Briefes bekämpft, schon ähnliche Behauptungen aufgestellt wie viele der späteren sogenannten Gnostiker. Auf alle Fälle verwahrt sich der heilige Johannes gegen eine solche Missdeutung. Denn wenn es auch Tatsache ist, dass selbst der ernstlich aus dem Glauben lebende Christ sich nicht frei zu halten vermag von Sünde, so ist doch das Ziel, dem der „im Licht Wandelnde“ mit aller Energie entgegen streben muss, die Sündlosigkeit. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XIII, 1941, S. 476 – S. 478