Schuld und Elend des Heidentums

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Der Römerbrief Kap. 1 Vers 18-20

Schuld und sittliches Elend des Heidentums

Paulus hatte im Eingang des Briefes in den Satz ausklingen lassen: Das Evangelium ist eine Gotteskraft zum Heil für jeden, der glaubt. Den Christen zu Rom war dessen Wahrheit bereits aufgeleuchtet, seitdem sie die Heilsbotschaft gläubig angenommen hatten und durch die Taufe in Christus eingegliedert waren. Doch auch die größten Wunder der Gnade – zu diesen gehört die Rechtfertigung und die Erhebung zur Gotteskindschaft – laufen Gefahr, an Hochschätzung einzubüßen, wenn ihr unvergleichlicher Wert nicht immer wieder der Seele vorgestellt wird. Darum will der Apostel im dogmatischen Teil seines Schreibens (1, 18- 8, 39) die Erhabenheit der Rechtfertigungs-Gnade und damit des ganzen Erlösungswerkes Christi schildern, um die Römern in ihrer Glaubensfreudigkeit zu festigen. Die Bedeutung dieser Gnade wird aus ihrer Heilsnotwendigkeit, aus ihrem inneren Reichtum und aus der Leichtigkeit ihres Erwerbes erkannt. Die Heilsnotwendigkeit ergibt sich aus der Unfähigkeit aller Menschen, sich aus eigener Kraft, auf selbst gebahnten Wegen vor dem ewigen Verderben zu bewahren. Im ersten Abschnitt (1, 18 bis 3, 20) zeigt deshalb Paulus, dass Heidentum und Judentum durch eigene Schuld in Sünde verstrickt und dem göttlichen Zorn unentrinnbar verfallen sind. Zunächst wendet er sich der Schuld und dem sittlichen Elend der Heidenwelt zu, aus der die Mehrzahl der römischen Christen zur Kirche gekommen war.

Es ist ein erschütterndes Bild, das selbst die heidnischen Schriftsteller von dem Zustand der damaligen Welt entwerfen. Alle sind darüber einig, dass die Sittenlosigkeit einen Tiefstand erreicht habe, aus dem weder menschliche Kraft noch menschliche Weisheit heraus zu führen vermögen. „Uns sind die Laster, aber auch die Heilmittel unerträglich geworden“, gesteht Livius im Eingang seiner römischen Geschichte. In der Schrift „Über den Zorn“ bemerkt Seneca, ein Zeitgenosse des Apostels: „alles ist voll von verbrechen und Lastern; es wird mehr begangen, als durch Gewaltmittel geheilt werden könnte. Ein ungeheuerlicher Wettstreit der Verkommenheit wird ausgefochten. Von Tag zu Tag wächst die Lust zur Sünde und sinkt die Scham. Die Achtung vor allem Edlen und Heiligen verwerfend, stürzt sich die Lust, wohin es auch immer sei. Das Laster verbirgt sich nicht mehr, sondern tritt vor die Augen aller. Die Verworfenheit ist so allgemein geworden und ist so sehr in allen Gemütern aufgelodert, dass die Unschuld nicht nur selten geworden, sondern ganz verschwunden ist.“

Solche sittliche Verkommenheit ist keine Einzelerscheinung des griechisch-römischen Heidentums im apostolischen und nach-apostolischen Zeitalter. Sie begegnet uns in allen Jahrhunderten bis in die Gegenwart, und in allen Teilen der Welt gibt es Völker und Staaten, auf welche die Klage eines Seneca Anwendung findet. Die gleichen Erscheinungen gehen überall auf die gleichen Ursachen, wie sie Paulus in seinem Brief aufgedeckt hat, zurück. Sie sind einerseits in der „Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen“ und anderseits in den Auswirkungen des gerechten göttlichen Zornes zu suchen. Auf jeden Menschen wirken zwei entgegen gesetzte Kräfte ein. Die eine Kraft in ihm selbst, vergleichbar mit der Schwerkraft eines Körpers, zieht erdwärts; es ist die Macht der bösen Begierlichkeit, das „Gesetz der Sünde“ (Röm. 7, 23). Die andere, mit der Triebkraft vergleichbar, die ein Flugzeug trotz seines zur Erde drängenden Eigengewichts schwindelnde Höhen erreichen läßt, will ihn gottwärts aufsteigen lassen; es ist die Macht der übernatürlichen Gnade, die nicht naturhaft mit dem Menschendasein verknüpft ist, sondern ihm von Gott aus reiner Liebe geschenkt wird. Es liegt nun im freien Willen des Einzelnen, ob er mit der Gnade die Schwerkraft seiner Sinnlichkeit überwinden und sich zu Gott erheben, oder ob er dem Zug seiner durch die Erbschuld verderbten Natur sich überlassen will, so dass er notwendig in immer größere Tiefen seelischer Not hinab gleiten muss. Die Gnade vergewaltigt die Natur nicht. Ihre Wirkkraft setzt bei dem Menschen den Willen zum Glauben an den Spender der Gabe und zum Gehorsam unter sein Gesetz voraus. Wer sich in schuldbarer Weise von Gott abwendet, wer Gott-los wird, wer die göttlichen Forderungen an den Menschen ablehnt, den Einfluss der göttlichen Wahrheit auf sein Leben gewaltsam nieder hält, hat damit selbst auf die Gnade verzichtet, die ihn vor dem Sturz in die Tiefe bewahren will. Es ist darum nur gerecht, wenn auch Gott sich los löst von einem solchen Menschen, ihn zur Strafe für die begangene Ungerechtigkeit seiner Ohnmacht und seiner Sinnlichkeit überläßt. So wird die wachsende Sittenverderbnis zu einer Enthüllung des göttlichen Zornes, d. i. der in der Strafe sich auswirkenden göttlichen Gerechtigkeit, ein vom Himmel her von dem ewigen Richter ausgesprochenes Verdammungsurteil. Das Schicksal der Heidenwelt ist eine ernste Warnung für die Menschen aller Zeiten und Völker.

Die Gottlosigkeit kann sich nie und nimmer mit Unkenntnis der Wahrheit entschuldigen. Zwar wohnt der Herr in unzugänglichem Licht; sein Wesen ist unschaubar für das menschliche Auge und unbegreifbar für den menschlichen Verstand. Aber als Schöpfer des Weltalls hat er sich, auch der Heidenwelt gegenüber, nicht unbezeugt gelassen. Was der Mensch mit seinen natürlichen Geisteskräften von Gott erkennen kann, blieb auch ihr nicht verschlossen. Er verlieh ja allen Menschen „die Erkenntnisfähigkeit, erfüllte ihr Herz mit Einsicht; er setzte seiN Auge (d. h. das Licht der Vernunft) auf ihr Herz, um ihnen die Größe seiner Werke zu zeigen, damit sie seinen heiligen Namen priesen, sich seiner Wundertaten rühmten und erzählten von der Größe seiner Werke“ (Sir. 17, 8ff).

Gott, was an ihm unschaubar ist, sein innerstes Wesen, seit Erschaffung der Welt für jeden denkenden Menschen erkennbar gemacht; es kann von dem Verstand geistig „geschaut“, aus den Werken erschlossen werden. Denn wie die Sonne sich in Millionen Tautropfen widerspiegelt, so strahlt die ganze sichtbare Welt des Schöpfers Allmacht und Göttlichkeit, die Größe und Majestät seines Wesens, seine Geistigkeit und Überweltlichkeit wider. Diese Offenbarung ist so überwältigend und so überzeugend, dass nur böser Wille und Verblendung sich ihr verschließen kann. Mit Recht sagt darum schon der Weise im Alten Bund: „Töricht sind von Natur alle Menschen, denen die Erkenntnis Gottes fehlt, und die aus den sichtbaren Vollkommenheiten den Seienden nicht zu erkennen vermochten und bei der Betrachtung seiner Werke den Werkmeister nicht fanden… Aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe wird durch richtige Schlussfolgerung deren Schöpfer erkannt“ (Weish. 13, 1 u. 5). Deshalb, so fährt der Weise fort, sind die Gottesleugner nicht zu entschuldigen: „Reichten ihre geistigen Fähigkeiten hin, die Welt zu erforschen, wie kommt es, dass sie nicht eher deren Herrn fanden?“ (13, 9) Die Schuld wächst mit der gesteigerten Einsicht in die wunderbare Gesetzmäßigkeit und Harmonie, die in allen Reichen der Schöpfung herrscht und ohne Annahme einer persönlichen überweltlichen Macht und Weisheit ein unlösbares Rätsel bleibt. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XIV, 1937, S. 14 – S. 17

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