Päpstliches Lehramt
Feinde innerhalb der Kirche – die Modernisten
Aus dem Rundschreiben Pius` X. „Pascendi gregis“ v. 8. September 1907
Die Aufgabe, die Uns von Gott übertragen wurde, die Herde des Herrn zu weiden, erhielt vor allem von Christus als erste Pflicht zugewiesen, daß sie mit größter Sorgfalt den überlieferten Glaubensschatz behüte und gegen alle profanen Neuerungen sowie gegen die Widerreden der sogenannten Wissenschaft beschütze.
Zu allen Zeiten ist diese Wachsamkeit des obersten Hirten dem katholischen Volk notwendig gewesen; denn infolge der Tätigkeit des Feindes aller Menschen hat es niemals an Männern gefehlt, die Verkehrtes reden (Apg. 20,30), die durch eitles Reden andere verführen (Tit. 1,10), die selbst im Irrtum befangen andere in Irrtum führen (2. Tim. 3,13).
Daß die Feinde des Kreuzes Christi in dieser letzten Zeit an Zahl sehr zugenommen haben, muss man eingestehen. Mit ganz neuen und hinterlistigen Kunstgriffen versuchen sie die Lebenskraft der Kirche lahmzulegen und, wenn sie es nur vermöchten, das Reich Christi selbst vollständig zu zerstören.
Deshalb dürfen Wir nicht länger schweigen, damit Wir Uns nicht den Anschein geben unserer heiligsten Aufgabe untreu zu werden, und die Milde, welche Wir bisher, in der Hoffnung, man werde zu besserer Einsicht gelangen, walten ließen, Uns nicht als Pflichtvergessenheit ausgelegt werde.
Der Grund, weshalb Wir nicht mehr länger zögern dürfen, ist vor allem, daß die Verfechter jener Irrtümer nicht mehr ausschließlich unter den offenen Feinden sich befinden; sondern, zu Unserm größten Schmerz und Bedauern sei es gesagt, im Schoße der Kirche selbst sind sie versteckt und sind um so gefährlicher, je weniger man sie kennt.
Wir sprechen, Ehrwürdige Brüder, von vielen aus der Zahl der katholischen Laien und sogar, was noch viel mehr zu bedauern ist, aus den Reihen des Klerus, die unter dem Schein der Liebe zur Kirche, ohne das Fundament einer soliden Philosophie und Theologie, ja, angesteckt von dem Gift der Lehren, die von den Feinden der Kirche vorgetragen werden, mit Verachtung jeder Bescheidenheit des Geistes sich zu Reformatoren der Kirche aufwerfen.
In kühn geschlossenen Reihen greifen sie das Heiligste im Werk Christi an, schonen nicht einmal die Person des göttlichen Erlösers, den sie in gotteslästerlicher Kühnheit zu einem einfachen armseligen Menschen herabdrücken.
Mögen diese Männer sich wundern, daß Wir sie unter die Feinde der Kirche rechnen; niemand wird sich aber mit gutem Grunde wundern, der ihre Lehren, ihre Rede- und Handlungsweise genau kennt, abgesehen ganz von ihrer inneren Absicht, die Gott allein richtet. Jener geht von der Wahrheit nicht ab, der sie zu den gefährlichsten Gegnern der Kirche rechnet.
Weil sie nicht außerhalb der Kirche, sondern, wie gesagt, innerhalb derselben ihre Pläne zum Verderben der Kirche schmieden; die Gefahr ist in den Adern, im tiefsten Inneren der Kirche verborgen und der Schaden ist um so sicherer, je genauer sie die Kirche kennen. Ferner setzen sie die Axt nicht an die Äste und Zweige, sondern an die Wurzel selbst, an den Glauben nämlich und an dessen Fasern.
Ist aber einmal diese Wurzel des Lebens getroffen, dann suchen sie das Gift durch den ganzen Baum so zu verbreiten, daß kein Teil der katholischen Wahrheit von ihrer Hand unberührt, von ihrer zerstörenden Tätigkeit verschont bleibt.
Während sie tausenderlei Art und Weisen anwenden, zu schaden, sind sie äußerst schlau und hinterlistig; bald sind sie Rationalist, bald wieder Katholik und zwar mit solcher Verstellung, daß sie mit Leichtigkeit jeden Unvorsichtigen in ihren Irrtum ziehen.
Mit größter Verwegenheit fürchten sie auch keinerlei schlimme Folgerungen; mit größter Hartnäckigkeit und Sicherheit stellen sie dieselben auf.
Zudem entfalten sie ein äußerst tätiges Leben, einen großen Eifer in gelehrten Arbeiten jeder Art, eine große Sittenstrenge, wodurch sie das öffentliche Anerkennen suchen, und dies alles ist dazu geeignet, die Geister über sie hinwegzutäuschen.
Was endlich fast alle Hoffnung auf Besserung nimmt, ist, daß sie infolge ihrer besonderen Studien keine Autorität mehr anerkennen, keine Einschränkung sich gefallen lassen; sie haben sich selbst ein falsches Gewissen gebildet und nennen das Wahrheitsliebe, was tatsächlich nur Stolz und Hartnäckigkeit ist.
Wir haben freilich gehofft, diese Männer doch noch zu besseren Gesinnungen zu bringen und deshalb haben Wir sie erst wie Söhne mit Milde behandelt, dann haben Wir Strenge gebraucht und endlich mussten Wir, ungern allerdings, öffentlich gegen sie auftreten. Ihr wißt, Ehrwürdige Brüder, wie vergeblich alle diese Versuche gewesen: einen Augenblick beugten sie ihren Nacken, um ihn dann mit größerem Stolze zu erheben.
Handelte es sich nur um jene, so könnten Wir vielleicht die Sache gehen lassen; allein der katholische Glaube ist gefährdet. Deshalb muss das Schweigen, das von jetzt an Sünde wäre, gebrochen werden; Wir müssen ihnen die Maske abnehmen, die sie nur schlecht verhüllt, der ganzen Kirche zeigen, wie sie tatsächlich aussehen.
Modernisten nennt man sie allgemein und mit Recht.
aus: J.B. Lemius Obl. M. J., Der Modernismus Sr. H. Papst Pius X. Pascendi dominici gregis, 1908 S. 1-5