Der 1. Brief des heiligen Apostels Paulus an Timotheus 2. Kapitel
Ermahnungen für Männer und Frauen im Gottesdienst
Paulus wendet sich nunmehr den Betern selbst zu, den Männern zuerst und dann den Frauen. Jeder, der vor Gott hintreten will, soll es nur in einer würdigen Verfassung tun. Dem Allheiligen darf sich nur nahen, wer sich frei von Schmutz des Lasters, in dessen Herzen das heilige Feuer reiner Gottesliebe und nicht die schwüle Flamme der Leidenschaft brennt. Die erhobenen Hände sind der Ausdruck einer himmlisch gesinnten Seele, ein Zeichen, dass wir unser Verlangen zu besseren, ewigen Gütern erheben wollen. Bei dieser allgemeinen Forderung aber bleibt der Apostel nicht stehen. Er beobachtet in jeder Gemeinde das Leben, wie es sich wirklich abspielt, mit seinen besonderen Licht- und Schattenseiten, und wendet die sittlichen Grundsätze darauf an. Darum ist seine Seelsorge-Praxis alles andere als blassen Theorie, sie greift umgestaltend ins Leben ein, ist Frucht tragend.
Der Mann soll reine Hände zu Gott erheben. Er soll seine Begehrlichkeit, sein Triebleben beherrschen, damit er nicht, während er nach außen hin dem Gottesdienst beiwohnt, im Inneren dem Götzen des Fleisches huldigt. Er soll zu Gott kommen ohne Regungen der Feindschaft gegen den Nächsten. Der Ort des Gottesdienstes ist nicht dazu da, in Streit und Zank irdische Händel auszutragen. Auch der Vorraum des Gottesdienstes ist keine Thingstätte. Im Frieden der Wohnung des Allerhöchsten muss alles Menschliche, Kleinliche, Engherzige zum aschweigen kommen. Das Ewige soll den Menschen umfangen und ihn über sich selbst hinaus zu heben. Sooft er hierher kommt, soll er immer wieder inne werden, dass er und seine Brüder in Christus lebendige und auserwählte Steine eines geistigen Gottestempels sind, gewaltig groß an Schönheit und Majestät.
In auffallender Eindringlichkeit wendet sich Paulus an die Frauen. Die Eigenart der weiblichen Seele, ihre Neigung zur Putzsucht, ihre Sucht, anderen zu gefallen, machte sich bei den gottesdienstlichen Zusammenkünften in unziemlicher Weise bemerkbar. Sie trugen ohne Bedenken eine Kleidung, die sie mehr entehrte als schmückte. Chrysostomus legt im Anschluss an diese Stelle der Frau die Frage vor: „Bist du (in die Kirche) gekommen, um zu tanzen? Um Hochzeit zu feiern, um dich protzenhaft zur Schau zu stellen?… Zum Beten und Bitten bist du gekommen, flehentlich sollst du wegen deiner Sünden und Beleidigungen den Herrn bestürmen, dass er sich dir gnädig erweise“ (zu 1. Tim. 2, 9: Homilie 8, 1). Wahrlich, eine Frau, die in aufdringlicher und sinnlich aufreizender Weise das Haus Gottes betritt, verdient den bissigen Spott des Thomas Morus gegen ein putzsüchtiges Mädchen: „Wenn dir Gott für so viel Arbeit die Hölle nicht gibt, so tut er dir in der Tat großes Unrecht.“ Die christliche Frau weiß, dass Gottes Auge nur auf dem Reichtum und auf dem Schmuck der Seele ruht, die in einem Leben praktischer Gottes- und Nächstenliebe bestehen. Und gerade die vornehme und sozial gut gestellte Frau hätte hier Gelegenheit, durch Einfachheit und edle Gestaltung der Kleidung ein zeitwichtiges Apostolat auszuüben. Tertullian gibt den schönen Rat: „Kleidet euch in den Seidenstoff der Rechtschaffenheit, in das Linnen der Heiligkeit und in den Purpur der Keuschheit. So angetan, werdet ihr Gott zum Liebhaber haben“ (Über den weiblichen Putz 2, 13).
In 1. Kor. 11,5 erfahren wir, dass dort gotterleuchtete Frauen beim Gottesdienst das Wort ergriffen. Anscheinend ergaben sich daraus Unzuträglichkeiten, die den Apostel veranlaßten, das Auftreten der Frau als prophetische Sprecherin im Gemeinde-Gottesdienst zu verbieten (1. Kor. 14, 34 bis 36). An unserer Stelle schärft Paulus dieses Verbot für Ephesus ein. Die eingerissenen Missstände scheinen in Vers 11 und in Vers 15 angedeutet zu sein, nämlich: herrschsüchtige Überheblichkeit und Vernachlässigung der Hausfrauen- und Mutterpflichten.
Es ist keine willkürliche Zurücksetzung und Versklavung der Frau, wenn der Apostel fordert, dass sie sich im Gottesdienst still zurückhalte und dem Mann unterordne. Es entspricht dies der von Gott selbst gewollten und bei der Erschaffung des ersten Menschenpaares eingehaltenen Ordnung. Die Aufrechterhaltung dieser Ordnung ist kein Werturteil, wie überhaupt die Ordnungen und Rangfolgen auf Erden noch lange kein Gradmesser des Wertes sein müssen. Die Frau kann deswegen doch nach ihren von Gott verliehenen natürlichen Gaben wie nach der durch die Gnade Gottes ermöglichten übernatürlichen Lebensgestaltung dem Wert nach dem Mann gleich stehen, ihn vielleicht gar übertreffen. Im Christentum wurde dem Weib von Gott ein heiliger Schutzengel beigegeben, der treu und gewissenhaft zu allen Zeiten über ihre Ehre und würde wachte und selbst dann noch für diese hohen Lebensgüter eintrat, wenn das Weib selbst im Begriff stand, sie um schnöden Preis zu verkaufen.
Paulus gibt noch einen Grund dafür an, dass die Frau sich dem Manne unterordnen möge. Es ist der ausdrückliche Strafwille Gottes. Das Weib nämlich ließ sich zuerst zur Übertretung des heiligen Gottesgebotes verführen und zog dann seinerseits den Mann ins Verderben hinein (1. Mos. 3).
Aber wenn die Frau auch im öffentlichen Leben und vor allem in der liturgischen und hierarchischen Ordnung zurück tritt, so hat doch Gott auch ihr einen Bezirk gegeben, in dem sie eine heilige Aufgabe und einen hohen Lebenszweck zu erfüllen hat. Ihr Beruf ist, Mutter zu sein. In ihrem Schoß soll der göttliche Schöpferwille: „Es werde“, bis zum Ende der Tage immer wieder seine Erfüllung finden. An ihrer Hand soll das junge Menschenkind und das neue Glied am Leibe Christi seinen Gott gewollten Platz im Menschheitsleben und im ewigen Reich Gottes zu erreichen streben. Diese Aufgabe ist der Frau vom Schöpfergott zugewiesen und darum ihr wesens- und naturgemäß. Gewiß gibt es Frauen, deren Lebenslauf im Dienst der Jugenderziehung und der Nächstenliebe sie freiwillig eine in heiliger Gottesliebe geweihte Jungfräulichkeit erwählen ließ. Es gibt auch Frauen, denen das Lebensschicksal, das zuletzt auf Gottes weiser Vorsehung sich gründet, das sehnlich gewünschte Mutter- und Familienglück verwehrte. Sie werden in ihrer Gottverbundenheit früher oder später den besonderen Willen Gottes erkennen und tapfer genug sein, ihren einsamen Lebensweg segensreich zu gestalten. Aber es mag auch Frauen geben, die sich bewußt und einzig aus unedlen, weil egoistischen, Gründen dem Mutterberuf entziehen. Durch diese ihre Gesinnung entsprechen sie wohl kaum der Ordnung Gottes, die ihnen eine in mehrfacher Beziehung hohe Aufgabe und ein wahres zeitliches und ewiges Glücklichsein zudachte.
Der Mutterberuf ist etwas Gott Gewolltes. Er ist deshalb auch nach seiner menschlich-natürlichen Seite hin etwas Erhabenes, die wahre und edle natürliche Liebe voraus gesetzt. Immerhin ist er in seinem Werden der durch die Erbsünde verderbten Naturordnung eng verhaftet. Da bedarf es eines innerlichen Glaubenslebens, der auch das Mensch-Natürliche über die Sphäre des Niedrigen erhebt und es von der hohen Warte des Ewig-Göttlichen her betrachten lehrt. Die Ausübung des Mutterberufes ist mit vielen Schmerzen und Beschwerden, Opfern und Entsagungen verknüpft. Darum senkte Gott einen mächtigen Strahl seiner unendlichen Schöpferliebe in das Mutterherz. Es ist ein heiliges Feuer. Die Sorge der Frau ist es, dieses Feuer rein und heilig zu hüten, auf dass es nicht durch den Brand natürlicher Leidenschaft entweiht werde. Immerwährendes Streben nach christlicher Vervollkommnung muss das Leben der Frau begleiten in dem freudigen Bewusstsein: auch sie ist ein heiliges Glied am lebendigen Leib Christi, auch ihr Beruf hat eine bedeutungsvolle Aufgabe in diesem Organismus zu erfüllen. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XV, 1937, S. 333 – S. 336