Moraltheologie

Gehorsam gegenüber der staatlichen Obrigkeit

Aus dem ersten Brief des Apostels Petrus:

Seid daher untertan jeder (von Gott gesetzten) menschlichen Gewalt, um Gotteswillen (*), sei es dem König, als dem Höchsten, oder den Statthaltern, als solchen, welche, von ihm abgeordnet sind zur Bestrafung der Übeltäter und zur Belohnung der Rechtschaffenen.

(*) Im Griech. um des Herrn willen: weil der Herr, Gott, haben will, daß man denen gehorche, denen er die Gewalt auf Erden gegeben hat. Siehe Röm. 13, 1ff.

Kommentar von P. Leonhard Goffine aus der Katholischen Handpostille, 1885:

Damit verwirft der Apostel jede Empörung gegen bestehende rechtmäßige Obrigkeiten selbst für den Fall, daß sie die wichtigsten Interessen, die religiösen Rechte, antasten und verletzen würden. Wohl nie wurden die Christen mehr in ihren Rechten beeinträchtigt als in den ersten Jahrhunderten. Sie empörten sich jedoch nicht, aber sie wurden einmütiger; blieben zwar standhaft in dem Bekenntnis ihres Glaubens, erfüllten aber die Pflichten gegen den Staat um so genauer; harrten aus und flehten unablässig zum Herrn. Daß diene zum Beispiel besonders in unsern Tagen. (S. 278 – S. 279)

Aus dem Brief des hl. Paulus an die Römer:

Jedermann unterwerfe sich der obrigkeitlichen Gewalt: denn es gibt keine Gewalt außer von Gott, und die, welche besteht, ist von Gott angeordnet. (1) (Weish. 6,4; 1. Petr. 2, 13) Wer demnach sich der (obrigkeitlichen) Gewalt widersetzt, der widersetzt sich der Anordnung Gottes: und die sich (dieser) widersetzen, ziehen sich selbst Verdammnis zu. Denn (2) die Obrigkeiten sind nicht den guten Werken, sondern den bösen furchtbar. (3) Willst du aber die (obrigkeitliche) Gewalt nicht fürchten, so tue Gutes, und du wirst von ihr Lob erhalten: Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zum Besten. Wenn du aber Böses tust, so fürchte dich: denn nicht umsonst trägt sie das Schwert (4); denn sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Bestrafung für den, der das Böse tut. (5) Darum ist es eure Pflicht, untertan zu sein, nicht nur um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens willen. (6)

Anmerkung von Allioli:

(1) Die Juden waren um diese Zeit sehr zum Aufruhr geneigt, weil sie es als Volk Gottes für empörend hielten, einer heidnischen Obrigkeit, den Römern zu gehorchen. Öfter versuchten sie auch, ihr Joch abzuschütteln, und nicht lange vor Abfassung dieses Briefes, unter dem Kaiser Claudius, wurden sie deshalb aus Rom vertrieben. Damit diese Gesinnung nicht auch unter den Christen um sich greife, scheint der Apostel eine nachdrückliche Einschärfung des Gehorsams gegen die Obrigkeit für besonders notwendig erachtet zu haben. Er lehrt in den obigen Worten, daß die obrigkeitliche Gewalt nicht nur an und für sich, sondern jede, welche einmal besteht, von Gott eingesetzt sei, und dass darum Jedermann sich ihr unterwerfen müsse. Daraus folgt, daß der wahre Christ, auch im Falle die bestehende Obrigkeit ihre Rechte missbraucht, und ihre Untertanen auf irgend eine Weise beschädigt, nicht das Schwert ergreift, um sich wider sie zu erheben, sondern im Kreise der Ausübung seiner Pflichten untertänig bleibt und duldet, Alles Gott anheim gebend und überzeugt, dass er in seiner unendlichen Allmacht und Weisheit Mittel und Wege genug habe, einen andern Zustand herbei zu führen, wenn es sein Wille ist. Gebet und Tränen, sagt in Übereinstimmung hiermit der heilige Augustin, sind die Waffen der Kirche.
(2) Das „denn“ im ersten Vers gab den ersten Grund, warum man sich der Obrigkeit unterwerfen müsse – weil sie von Gott ist: dieses „denn“ fügt noch einen aus der Beschaffenheit des obrigkeitlichen Amtes hinzu: weil der Zweck der Obrigkeit nur dahin geht, den Ausbruch des Bösen zu verhüten, der Gute also nichts zu fürchten hat.
(3) Jede, auch die schlechteste Obrigkeit, muss den Zweck haben, das Böse zu unterdrücken und dem Guten aufzuhelfen, wenn sie auch in einzelnen Fällen dagegen handelt; denn sonst würde sie sich selbst aufheben. Der Gute hat also im Ganzen nur Schutz zu erwarten; einzelne Gewalttätigkeiten, denen er nicht ausweichen kann, erträgt er um so mehr mit Geduld, als gerade die Geduld in den Widerwärtigkeiten ihm zu jenem Gut verhilft, wonach all sein Sinnen und Trachten geht.
(4) Das Richtschwert, das Abzeichen der Gewalt über Leben und Tod.
(5) Aber wenn die Obrigkeit in irgend einem Fall etwas Böses geböte oder die Ausübung von irgend etwas von Gott Gebotenem verböte? Dann müsste man zwar Gott mehr gehorchen als den menschen, und man dürfte so wenig jenes Böses tun, als dieses Gute unterlassen, aber Auflehnen gegen die Obrigkeit wäre darum nicht erlaubt, vielmehr bliebe auch hier des Christen Grundsatz, Alles zu dulden, was die Erfüllung der von Gott gebotenen Pflicht zur Folge haben könnte.
(6) weil es eine von Gott auferlegte Pflicht ist. –
aus: Joseph Franz Allioli, Die Heilige Schrift des alten und neuen Testamentes. Aus der Vulgata, 6. Bd. 1838, S. 66 – S. 67

siehe auch den Beitrag: Das gerechte Gesetz verpflichtet im Gewissen