Der Judasbrief

Briefschluss mit einer Doxologie (Vers 22-23): Wer zuletzt lacht, der lacht am besten

Mit einer Doxologie, der feierlichsten im neuen Testament, noch reicher ausgestaltet als jene im Römerbrief (16, 25-27), schließt das Schreiben. Aber auch im Lobpreis Gottes vergißt Judas die Leser und das Hauptanliegen seines Briefes nicht. Um sie zu warnen vor den Umtrieben der Irrlehrer und dadurch ihr Heil zu sichern, hat er sich an sie gewandt. Nun läßt er seine bange Hirtensorge im Gebet ausklingen. „Die feierliche, eindrucksvolle, alle Momente und Motive so schön zusammen fassende Doxologie war meines Erachtens der psychologisch einzig richtige Briefschluss; ein mehr familiäres Postskript hätte dem ernsten Charakter des Ganzen weniger entsprochen, vielleicht gar die unmittelbare, nachhaltige Wirkung des eindringlichen Briefes und des voll tönenden Briefschlusses nur abgeschwächt“ (Friedr. Maier). Menschliche Schwachheit ist ständig in Gefahr, abzuirren und verloren zu gehen. Nur der allmächtige Gott vermag uns vor jedem Fehltritt zu bewahren. Darum wurde auf dem Konzil von Trient jeder aus der Kirche ausgeschlossen, der behauptet, „der Mensch könne im ganzen Leben alle Sünden, auch die läßlichen meiden, außer auf Grund eines besonderen Privilegs Gottes, wie es die Kirche von der Allerseligsten Jungfrau annimmt“ (sess. VI, can. 23, Denzinger 833). Wer aber die ihm dargebotene Gnade treu benutzt, wird dereinst untadelig vor dem Angesicht des göttlichen Richters stehen dürfen, wenn dieser in seiner Herrlichkeit sich offenbart. Dann wird Frohlocken alle Guten erfüllen, während die Bösen zitternd und bebend gestehen müssen: „Also sind wir in die Irre gegangen“ (Weish. 5, 6). Niemals bewahrheitet sich das Volkswort so offensichtlich wie in jener entscheidenden Stunde: „Wer zuletzt lacht, der lacht am besten“, auch wenn er sich hienieden oft hat auslachen lassen müssen.

Der diese Macht hat, uns sündenrein durchs Leben zu führen, ist der „alleinige Gott“ (Joh. 5, 44; 17, 3; Eph. 4, 6); neben ihm sind die Götter der Heiden nur „Nichtse“ oder Dämonen (Ps. 96 [95], 5; 106 [105], 37; Bar. 4, 7; 1. Kor. 10, 20f; Offb. 9, 20). Darum kann auch nur von ihm das Heil, die Erlösung kommen. Kein Mensch vermag sich selbst zu erlösen, sowenig er sich selbst das natürliche Leben schenken kann. Alles ist Gnade (Eph. 2, 5 u. 8). Gott hat die Menschheit erlöst durch seinen Sohn, der, nachdem er „eine ewige Erlösung erlangt hat“ (Hebr. 9, 12), zum Vater im Himmel zurück gekehrt ist und dort als „unser Herr“ thront. Auch Israel hatte von keinem andern das Heil zu erwarten. Nicht durch das Gesetz hat Gott ihm Erlösung verheißen, sondern durch Christus. Das sollen alle Judenchristen bedenken, wenn die Irrlehrer „unsern alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen“ (Vers 4).

„Dem alleinigen Gott gebührt“ und ist unverlierbar eine vierfache Auszeichnung zu eigen, die keinem Geschöpf zusteht: Herrlichkeit und Majestät, Kraft und Herrschaft. Die Herrlichkeit ist die göttliche Wesensart voll unendlicher Pracht, die sich dem menschlichen Auge als reinster Lichtglanz offenbart. Nichts kommt der Majestät oder Erhabenheit Gottes gleich. Seiner Kraft vermag niemand zu widerstehen; ihm gehört der Endsieg über alle seine Feinde; darum ist alles seiner Herrschaft unterworfen. All das besaß Gott bereits „vor aller Zeit“, ehe die Welt war und ehe es ein nacheinander geschaffener Dinge gab, das wir Zeit nennen. Weil all das gar nicht von uns abhängt, will Judas in dem Satz keinen Wunsch aussprechen, sondern das feierliche Bekenntnis ablegen, dass es von jeher so gewesen ist, in der Gegenwart so fortbesteht und in alle Ewigkeit so bleiben wird. Es ist also nicht zu übersetzen: „ihm sei Herrlichkeit…“, sondern: „ihm gebührt Herrlichkeit…“ oder: „ihm ist zu eigen Herrlichkeit…“

Einen tiefen Sinn hätte es, wenn die Worte „durch Jesus Christus unsern Herrn“ nicht mit dem Vorhergehenden, sondern mit dem nachfolgenden verbunden würden: „ihm gebührt durch Jesus Christus, unsern Herrn, Herrlichkeit…“ Durch Jesus Christus hat Gottes Herrlichkeit, Majestät, Kraft und Herrschaft ihre höchste Offenbarung gefunden. Den Vater auf Erden zu verherrlichen, war letztes Ziel der Menschwerdung. Indes weckt der Zusatz „vor aller Zeit“ Bedenken gegen diese Verbindung. Uns Menschen liegt es ob, durch unser Wort und Werk die Herrlichkeit des alleinigen Gottes zu preisen, seine höchste Majestät anzuerkennen, auf seine Kraft zu vertrauen und seiner Herrschaft willig zu dienen. Tun wir das, so sprechen wir nicht nur mit dem Mund, sondern auch durch die Tat freudig unser Amen zu allem Erhabenen, was der Brief enthält. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI/1, 1950, S. 353 – S. 354