F. X. Weninger SJ: Katholizismus, Protestantismus und Unglaube
Zweiter Abschnitt
Logische Folgerungen des Protestantismus und seiner Lehre
Der Protestantismus in seinen Grundlehren und logischen Konsequenzen betrachtet führt denjenigen, welchem es mit der göttlichen Wahrheit und dem Heil seiner Seele Ernst ist, zur Trostlosigkeit, ja zur Verzweiflung. Die Wahrheit dieser Behauptung erhellt zum Teil schon aus dem Gesagten und Bewiesenen, und soll nun noch bestimmter nachgewiesen werden. Oder, was anders als eine Stimmung der Verzweiflung kann der protestantische Lehrsatz über den völligen Mangel an wahrhaft freiem Willen für das Gute und über die gänzliche Unfähigkeit etwas anderes zu tun, als zu sündigen, in der Seele seiner Bekenner erzeugen.
Dieselbe Stimmung der Verzweiflung ist auch die notwendige Folge der Hauptlehre, dass jeder sich selbst den Glauben aus der Bibel herauszulesen habe. Was soll vor allem der tun, der gar nicht lesen kann? Was andere ihm von dem Inhalt der heiligen Schrift sagen, ist und bleibt bloßes Menschenwort und die Privatmeinung dieses oder jenes. Und wenn er auch die heilige Schrift selbst liest, wo ist der, der dieselbe in der Ursprache zu lesen imstande ist?
Und wo ist überhaupt derjenige, welcher mit voller Gewissheit sagen könnte, er habe die heilige Schrift durchweg verstanden? Die meisten im Gegenteil sind in ihren Fähigkeiten so beschränkt, dass sie, sich selbst überlassen, durchaus nicht imstande sind, ihren Glauben aus der heiligen Schrift selbst herauszusuchen, und wer versichert selbst diejenigen, die so etwas zu tun sich unterfingen, dass sie sich dabei nicht geirrt? Umsonst beruft man sich auf ein gewisses inneres Gefühl der besonderen Erleuchtung des heiligen Geistes. Ist diese besondere Erleuchtung nicht wieder derselben Täuschung unterworfen?
Und wie dann, wenn ein Mensch eben dieses Gefühl nicht hat, und sich dasselbe auch nicht geben kann? Was bleibt für ihn anders übrig, als dass er in einem solchen Fall an der Wahrheit und seinem Heil verzweifelt?
Die protestantische Auffassung der Prädestination
Doch, damit begnügte sich der Protestantismus nicht. Er ging auf die absolute Prädestinationslehre ein, die konsequent ein jeder Protestant bekennen muss, die aber bei den Calvinern sich am deutlichsten und schärfsten ausprägt, indem sie geradezu behaupten: Gott habe einige zum voraus zur Seligkeit und andere zur Verdammnis vorbestimmt. –
Hören wir die Worte Calvins. Er sagt: „Wir nennen die Prädestination den ewigen Beschluss Gottes, durch welchen Er bei sich festgesetzt, was Er mit jedem Menschen machen wolle. Denn alle werden nicht gleichmäßig erschaffen, sondern den einen wird das ewige Leben, den anderen die ewige Verdammnis vorherbestimmt. Darum nennen wir ihn, je nachdem Er zu dem einen oder dem anderen Ziel erschaffen ist, entweder für das ewige Leben oder für die Verdammnis prädestiniert.“ (Inst. Lib. III. c. 21. n. 5)
Ja, Calvin geht in seiner Lästerung so weit, dass er behauptet, Gott lasse die zur Verdammnis Vorherbestimmten nur deshalb im Leben etwas Gutes tun, um sie desto unentschuldbarer zu machen und dafür in der Ewigkeit noch mehr zu bestrafen. (Inst. Lib. III. c. 2. n. 11)
Ich sagte, konsequent muss übrigens jeder orthodoxe Protestant in diese verzweiflungsvolle Ansicht eingehen, als habe Gott einige geradezu wie zur Seligkeit, so zur Verdammung vorherbestimmt. Denn, da Luther und seine orthodoxen Anhänger die gänzliche Vernichtung unserer Freiheit zum Guten nach dem Fall Adams behaupteten, so ergibt sich von selbst die Folgerung, dass die Seligkeit oder Verdammnis ohne Rücksicht auf die freie Wahl des Menschen, von Gott vorbestimmt sei, da es nach der ursprünglichen protestantischen Lehre keine freie Mitwirkung bei der Rechtfertigung des Menschen gibt. –
Dasselbe folgt aus der Ansicht über den allein rechtfertigenden Glauben, den aber der Mensch sich selbst nicht geben kann. –
Melanchthon nahm keinen Anstand, diese absolute Prädestination auszusprechen. Er sagt: „Da alles was geschieht, notwendig nach göttlicher Vorbestimmung geschieht, so hat unser Wille keine Freiheit.“ (Loc. Theol. ed. Aug. 1821) Darum hat auch das Consilium von Trient gegen diese Richtung des Protestantismus im Allgemeinen den Canon ausgesprochen: „Wenn jemand sagt, dass die Gnade der Rechtfertigung nur den Prädestinierten zuteil werde, und dass die übrigen, die berufen werden, weil durch göttliche Macht zum Bösen bestimmt, keine Gnade erlangen, der sei von der Kirche ausgeschlossen.“ (Sess. VI. c. XVII)
Anmerkung: Siehe dagegen die katholische Lehre von der Prädestination
Fernere Folgerungen
Die soeben gerügte logische Folgerung ist leider noch nicht die letzte. Ich habe noch andere Anschuldigungen gegen den Protestantismus ins einen Grundlehren und in seiner logischen Konsequenz vorzubringen.
Amerikaner, ich weiß wohl, dass, wenn ihr das Folgende lesen werdet, Tausende aus euch, weil mit dem Wesen des ursprünglichen Protestantismus nicht bekannt, in Entrüstung geraten werden. Doch dies gibt keinem aus euch das Recht, mein Buch ungelesen von sich zu werfen. Erst hört und prüft, und dann urteilt, wenn ihr euch zur Zahl der wahrheitsliebenden Amerikaner rechnet, die ich durch dieses mein Buch anrede.
Luther behauptete, Christus habe die zehn Gebote und das Sittengesetz aufgehoben
Ich sage: Die Dogmen und Grundlehren der protestantischen Bekenntnisschriften führen mit logischer Notwendigkeit zu Folgerungen, welche mit dem christlichen und natürlichen Sittengesetz in Widerspruch stehen und, falls sie aufs Leben angewendet würden, nur die traurigsten moralischen Folgen haben können. Von dieser furchtbaren Konsequenz bebten auch manche der Vorkämpfer des Neuen Evangeliums nicht zurück. Luther selbst behauptete, und seine ersten Genossen mit ihm: Christus habe die zehn Gebote und überhaupt das Sittengesetz aufgehoben, das Sittengesetz sei nur als eine äußere Polizeimaßnahme anzusehen, durch welche die menschliche Gesellschaft zusammengehalten wird; der wahrhaft Gläubige sei von dem Gesetz entbunden.“
Die meisten aus euch, die nur deshalb Protestanten sind, weil sie so geboren wurden, und die nie die Lehre des Protestantismus selbst geprüft und studiert haben, die vielmehr als Menschen ohne religiöse Überzeugung, gewohnt sind, nach den Aussprüchen ihres Gewissens, wie das Naturgesetz dasselbe anregt, zu urteilen, werden ohne Zweifel bei sich denken: Wo ist der Beweis für eine so ungeheure Anschuldigung? –
Hier ist er. – Schlagt auf die Auslegung Luthers über den Brief an die Galater, da heißt es Wort für Wort: „Darum sagen wir, dass die zehn Gebote kein Recht haben, das Gewissen, darinnen Christus durch seine Gnade regiert, zu verklagen, noch zu schrecken, sintemal Christus solch Recht des Gesetzes aufgehoben hat.“
Luther behauptet deshalb auch in der genannten Auslegung: „Christus sei überhaupt nicht gekommen, um als Lehrer die Menschheit zu belehren. Dies habe er nur zufällig getan. Sein Amt sei nur gewesen, die Sünden der Menschen zu bedecken.“
In diesem Sinne verstanden und predigten mit Luther Melanchthon und die übrigen Reformatoren die evangelische Freiheit, dass nämlich das Sittengesetz das Gewissen der Gläubigen nicht mehr zu beunruhigen imstande sei, da ja der Glaube auf Christum hinweise, der durch sein Verdienst jede Verletzung des Sittengesetzes bedecke. Deshalb, sagten sie, werde auch der heilige Geist von Christus vorzugsweise „der Tröster“ genannt, weil er nämlich das beruhigte Gewissen der Gläubigen dadurch tröste, dass er in denselben den Glauben belebe, der jede Gewissensverletzung schadlos mache. (Solid. Decl. V. de lege et evang.)
Luther nennt die katholischen Theologen – Toren, die nicht wissen, was sie behaupten, wenn sie sagen: Christus habe nur die Zeremonien des Alten Testamentes und nicht die zehn Gebote selbst aufgehoben. Er vergleicht an einer anderen Stelle dieser Auslegung des Briefes an die Galater den sündhaften fleischlichen Menschen mit dem Esel, den Abraham im Tal zurückgelassen, während er mit Isaak den Berg Moria bestiegen habe. „Der Esel des Fleisches möge unten tun, was ihm gelüstet. Das Gemüt des Gläubigen dürfe dabei doch ungestört auf dem Berg im Licht des Glaubens sich sonnen und sich wenig darum kümmern, was der Esel tue.“
Freunde! Wenn die Erfüllung des Sittengesetzes oder der zehn Gebote Gottes, die ebenso viele Aussprüche des Gesetzes der Natur sind, nicht notwendig ist zur Seligkeit, wo soll da noch von Sittlichkeit die Rede sein?
Die praktischen Folgen dieser protestantischen Lehre
Die praktischen Folgen dieser Ansicht und Lehre ließen auch wirklich nicht lange auf sich warten. Das beweisen die unzähligen bitteren Klagen der Reformatoren selbst über die, mit der sogenannten Verkündigung des neuen Evangeliums einreißende Sittenlosigkeit. (1)
(1) Zahllose Belege hierfür siehe in Döllingers „Die Reformation ihre innere Entwicklung und ihre Wirkungen“. B. 1. Wer die hunderte der hier abgedruckten Stellen aus den Schriften der Reformatoren und ihrer Zeitgenossen liest, der wird, wie groß auch seine Voreingenommenheit sein mag, sich überzeugen, dass die Reformation nicht eine Verbesserung, sondern eine furchtbare Verschlechterung der Sitten zur Folge und dass diese Erscheinung ihren Hauptgrund in der Lehre vom alleinseligmachen Glauben und der Nutzlosigkeit der guten Werke hatte.
Ein Ausspruch Luthers mag als Beispiel hundert ähnlicher dienen: „Unsere Evangelischen, schreibt er Ausleg. d. V. Buches Mosis (Walch. Ausg. III., 2727), werden siebenmal ärger werden, denn sie zuvor gewesen. Denn nachdem wir das Evangelium (er meint nämlich sein Evangelium, dass der Glaube allein ohne die Werke selig mache) gelernt haben, stehlen, lügen, trügen, fressen und saufen wir, und treiben allerlei Laster. Da ein Teufel ist bei uns ausgetrieben worden, sind ihrer nun sieben ärgere wieder in uns gefahren, wie das jetzt an Fürsten, Herren, Edelleuten, Bürgern und Bauern zu sehen.“
In Wittenberg, der Geburtsstätte der neuen Lehre, war endlich das Verderben so groß geworden, dass der Reformator es dort nicht mehr ertragen konnte. „Nur weg aus diesem Sodoma! schrieb er 1545 nicht lang vor seinem Tod an seine Frau, ich will umherschweifen und eher das Bettelbrot essen, ehe ich meine armen, alten, letzten Tage mit dem unartigen Wesen zu Wittenberg martern und verunruhigen will.“ Luthers Briefe, gesammelt von de Witte V. 753.
Ja, so sehr war der Protestantismus für diese Art evangelischer Freiheit eingenommen, das er diese Ansicht auch über das Meer nach England verpflanzte. Hat doch die General-Konferenz der Methodisten unter Wesley im Jahr 1770 offen anerkannt, die Ursache der so schrecklichen allgemeinen Sittenlosigkeit liebe eben in der so weit verbreiteten Ansicht: „Christus habe das Sittengesetz abgeschafft, und die evangelische Freiheit enthebe den Menschen der Beobachtung der Gebote Gottes.“ –
Allerdings sagte sich eine große Anzahl der Abkömmlinge der ersten Protestanten von einer so empörenden Ansicht praktisch los, und wohl ist vielleicht unter euch Amerikanern auch nicht einer, der dieser verderblichen Lehre beipflichtete. Allein als Protestanten stammt ihr von den Männern ab, die so gelehrt, und ihr ehrt dieselben noch immer als eure Führer. Ich bin überzeugt, dass ihr, wenn man nachweisen könnte, dass es katholische Lehrer gegeben, die so etwas gelehrt, dass nämlich der Mensch an kein Sittengesetz gebunden sei, dass die zehn Gebote nicht notwendig seien zur Seligkeit, ihr euch nicht genug über eine solche Lehre entrüsten könntet, ja laut erklären würdet, eine solche Religion sei nicht zu dulden.
Der Protestantismus führt zu Revolution und Despotismus
Der Protestantismus in seiner logischen Konsequenz führt ferner in praktischer Beziehung einerseits zu Revolution, anderseits zu Despotismus.
Gewiss, wenn das Naturgesetz selbst keine bindende Kraft hat, wie sollten positive Menschengesetze unantastbar sein? Wer das Recht hat zu sagen: Ich bin meine eigene leitende Autorität in göttlichen Dingen und bin mein eigener höchster Richter in Dingen der Religion, der muss auch den Mut haben zu sagen: Ich bin auch mein eigener Souverän und Regent und lasse mich durch keine Staatsgesetze binden. Man braucht gerade kein Ludwig XIV., sondern nur ein konsequenter Denker zu sein, um, wenn man einmal gesagt: l`eglise, c`est moi (die Kirche bin ich), auch zu sagen: l`etat c`est moi (der Staat bin ich).
Wo aber diese Ansicht herrscht, da ist auch die Revolution vor der Türe, und wenn sie nicht erfolgt, so ist dies nur Folge der Inkonsequenz. –
Ihr seid bessere Menschen als Logiker. Thomas Münzer, Melchior Ring und Justus Menius, samt der ganzen Sekte der Wiedertäufer in Deutschland, waren bessere Logiker, aber deshalb auch Rebellen und schlechtere Bürger.
Erasmus hatte ganz recht, wenn er an Luther in Hinsicht auf die rebellischen Bauern schrieb: „Wir ernten jetzt die Frucht deines Geistes. Du erkennst die Aufrührer nicht an, aber sie erkennen dich an. – Du hast zwar in deinem höchst grimmigen Büchlein diesen Verdacht von dir gewiesen, aber du widerlegst diese Überzeugung nicht, dass du durch die Bücher, die du gegen die Mönche und Bischöfe für die evangelische Freiheit geschrieben, zu diesem Unheil Anlass gegeben.“
Anderseits trägt der Protestantismus in seiner Entstehung und in seinem ersten Auftreten namentlich in England, ebenso gewiss den Keim und die Rechtfertigung des Despotismus in sich. Sagt doch Luther ausdrücklich in der Auslegung des Briefes an die Galater: „Weltliche Gesetze hätten mit dem Gewissen nichts zu schaffen.“ „Lasst den Bauern nur die Kugeln um die Köpfe herum sausen, das sind die Gründe, die man diesen Burschen vorhalten muss. – Tut nichts, wenn auch ein Unschuldiger darüber zu Grunde geht.“ Ein feiner Rat das.
Heinrich VIII. und Elisabeth haben sich praktisch an diese Grundsätze gehalten. „Meine Herren! Eure Unterschriften oder eure Köpfe“, so ließ Heinrich dem widerspenstigen Parlament sagen, und rieb sich dabei gemütlich die Hände. Dieser Despotismus sollte auch von Seiten der Kirche keinen Damm mehr finden, nach dem protestantischen Grundsatz: »Cujus est regio, illius est religio.« „Wer Herr des Landes ist, ist auch Herr der Religion.“
Sehen wir doch derzeit in England tatsächlich eine Königin die Kirche Englands mitsamt ihren Bischöfen und ihrem hohen Klerus regieren.
Die letzte Konsequenz jener Lehren ist endlich eine Zerstörung des Wesens der Religion und der wahren Gotteserkenntnis.
Wo es keine religiösen Pflichten gibt, da gibt es auch eigentlich keine Religion, wo aber keine eigentliche Freiheit ist, da kann auch von eigentlichen Pflichten keine Rede sein. Eine Religion ohne eigentliche Verbindlichkeiten widerspricht geradezu dem Begriff von Religion. Die Ableitung des Wortes selbst beweist dies. Religio von religare, binden, deutet auf ein Band von Wahrheit und von Pflichten des Menschen, die sich auf Gott beziehen. Dieser ursprüngliche Begriff von Religion ist durch den Grundsatz vom unfreien Willen und der Freiheit von vom Gesetz von selbst aufgehoben.
Die Lehre aber, dass Gott selbst der Urheber der Sünde sei, hebt einerseits den Begriff der Sünde, anderseits aber die Idee der unendlichen Heiligkeit Gottes auf und enthält eine wahre Lästerung gegen Gott. Ihr werdet auch da wieder entrüstet fragen: Wo ist der Beweis für diese schmähliche Anklage?
Aber lest Luthers Schrift gegen Erasmus und hört, wie kräftig sich im Sinne des Meisters dessen Lieblingsschüler Melanchthon ausdrückt, dann werdet ihr nicht mehr sagen: es ist Verleumdung.
„Es steht fest“, sagt dieser, „dass alles, was immer geschieht, Gutes oder Böses, von Gott geschieht. Wir behaupten, dass Gott nicht nur zulasse, dass seine Geschöpfe wirken, sondern dass Er selbst alles tut, so dass, wie die Berufung Pauli das eigene Werk Gottes war, so auch der Ehebruch Davids, und so wie die Bekehrung Pauli das eigene Werk Gottes war, so auch der Verrat des Judas.“ (Martin Chemn. Loc. theol. Leyser 1615. p. 1. p. 173)
Dass aber dies nicht nur die Denkweise Melanchthons, sondern noch vieler anderer Jünger Luthers gewesen, das beweist der sechste Canon der sechsten Sitzung des Conciliums von Trient, wo die katholische Kirche den Reformatoren gegenüber entscheiden musste: „Wenn jemand sagt, es sei nicht in der Macht des Menschen, seinen Weg bös zu machen, sondern Gott wirke in gleicher Weise das Gute wie das Böse, nicht nur zulassungsweise, sondern eigentlich und durch sich selbst, so zwar, dass der Verrat des Judas in gleicher Weise wir die Berufung Pauli das Werk Gottes gewesen, der sei von der Kirche ausgeschlossen.“
Calvin, Zwingli und Beza, die Urheber der Schweizerischen Reformation, äußern sich nicht anders. Calvin bedient sich in seinen Schriften unzählige Male des Ausdrucks: „Gott treibe den Menschen zum Bösen an.“ „Er ordne seinen Fall an und bediene sich dazu innerer Inspirationen im Herzen des Menschen.“ (Calv. Inst. I. IV. c. 18. §. 2. 1. III. c. 23. §. 8.) Beza, das Haupt der Calviner nach Calvins Tod, fügt noch hinzu: Gott erschaffe einen Teil der Menschen gerade dazu, dass er sich ihrer als Werkzeuge zum Bösen bediene. (Beza Aphorism. XXII.)
Das aber dies keineswegs im Widerspruch mit der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes stehe, erklärt Zwingli in gar naiv frivoler Weise. Er sagt: „Gott stehe über dem Gesetz, mithin gebe es für Ihn keine Übertretung des Gesetzes, also auch kein moralisch Böses. Er möge tun, was Er will. Allein das Geschöpf, das auf seinen Antrieb böse handle, sündige, weil ihm von Gott ein Gesetz gegeben sei.“
Doch ihr werdet sagen: Was gehen uns Luther, Melanchthon, Calvin und Zwingli an. Wir glauben nicht so. Mag sein, allein könnt ihr leugnen, dass diese Männer, die ihr als die Urheber der Reformation verehrt, so geglaubt und so gelehrt haben?
Und auch das lässt sich, bei mildester Beurteilung nicht leugnen, dass die Urheber und ersten Beförderer der neuen Lehre von jener Heiligkeit weit entfernt waren, welche wir an den heiligen Aposteln oder auch an den Aposteln Englands und Deutschlands, einem Augustinus und Bonifatius wahrnehmen und von einem Religionsstifter durchaus fordern müssen. Diese Männer waren voll heftiger Leidenschaften und großer Fehler und haben sich auch dieses selbst zur Genüge gegenseitig vorgeworfen. Ja sie nannten sich gegenseitig: Rottengeister, Schriftverfälscher, Teufel und Erzteufel. Lest ihr so etwas von den Aposteln und den Vätern der katholischen Kirche?
Wie hat Heinrich der VIII. Luther, und Luther hinwieder diesen König verlästert? – Wahrlich, die Christen jener Zeit, die solchen Männern blindlings folgten, hätten besser getan, sie hätten von diesen Predigern des neuen Evangeliums vorerst eine höhere Beglaubigung ihrer Sendung verlangt, wie einst jene Indianer in Asien getan, welche Franziskus Xaverius zur heiligen katholischen Kirche bekehrte.
Als nämlich nach dessen Tod Emissäre der neuen protestantischen Lehre dahin kamen und diese neu bekehrten katholischen Wilden aufforderten, den katholischen Glauben mit dem protestantischen zu vertauschen, da antworteten diese ungelehrten Neulinge ganz richtig und schlagend:
Was eure Behauptungen anbelangt, die von der katholischen Lehre abweichen, so wollen wir uns die Mühe nicht nehmen lassen, weitläufig zu untersuchen, inwiefern ihr recht habt, dazu sind wir auch zu ungelehrt; allein wir wollen die Sache kürzer abmachen und euch einen Vorschlag machen, der wird die Sache leicht und sicher ins Reine bringen. Als der große Pater (so nannten sie Xaverius) zu uns kam, und uns zum katholischen Glauben bekehrte, da hat er unter uns drei Tote zum Leben auferweckt. Wollt ihr nun, dass wir diesen also bewährten Glauben verlassen und den eurigen annehmen, so müsst ihr uns zuerst sechs Tote zum Leben erwecken, damit wir Ursache haben, euch mehr zu glauben als ihm.
Amerikaner, eure Väter in England hätten wohlgetan, wenn sie etwas Ähnliches von den Predigern der neuen Lehre verlangt hätten, und zwar, dass sie nicht nur sechs Tote erweckten, sondern dass sie überdies noch einmal so viel Wunder wirkten, als alle Heiligen von England und von der ganzen Vorzeit der katholischen Kirche auf der ganzen Erde, besonders da es sich darum handelte, die Religion des Trostes gegen die der Trostlosigkeit und Verzweiflung zu vertauschen und weil dieser Tausch ihnen von gar sünd- und blutbefleckten Händen geboten ward.
Waren es denn nicht Heinrich der VIII. und Elisabeth mit ihren Freunden und Günstlingen, welche England von der katholischen Kirche losgerissen? Dass diese Tote zum Leben erweckten, davon lese ich nichts, aber dass dieselben hunderte von Priestern und eifrigen christlichen Laien auf die entsetzlichste Weise hinrichten ließen, um den Protestantismus einzuführen, das ist so wahr, als die Geschichte.
Wer sich über diesen Charakter der englischen Reformation genauer unterrichten will, der lese, was ein wahrheitsliebender Protestant und berühmter Publizist, das langjährige Parlamentsmitglied William Cobbet (1) darüber schreibt.
(1) Geschichte der protestantischen Reform in England und Irland; in einer Reihe von briefen an alle verständigen und billigen Engländer. Aus dem Englischen übersetzt. Vierte verbesserte und vermehrte Auflage. Mainz, Verlag von Franz Kirchheim, 1862)
Der erste Protestant in England war ein König, der früher selbst ein Buch gegen den Protestantismus geschrieben und der denselben späterhin nur aus ehebrecherischen Gelüsten annahm, um sein eigener Papst zu werden, da der römische Papst sein Verbrechen rügte und verdammte. Nicht freiwillig angenommen haben eure Väter von seinen Händen die neue Religion, sondern aufgedrungen wurde sie denselben von diesem König und seiner Tochter. –
Bedenkt es, Amerikaner. Sympathisiert ihr wirklich mit solchem Ursprung? Euch gilt der freie Volkswille als Palladium des Rechtes. Nun aber, so wahr die Geschichte ist, so wahr ist es auch, dass der Protestantismus nicht vom Volk, sondern von abtrünnigen Priestern und despotischen Fürsten ausging.
Weit entfernt, dass der Protestantismus vom Volk ausgegangen wäre, so wurde er im Gegenteil von herrschsüchtigen Fürsten nur deshalb so gierig erfasst und genährt und groß gezogen, um in dem Besitz der zeitlichen und geistlichen Macht zugleich sich festzusetzen und auf solche Weise, ohne irgendeine Schranke, die Freiheit der Völker zu knechten. –
Wenn ihnen dies nicht überall und immer gelang, so geschah es nur, weil ihre Untergebenen den Stock gegen sie selbst gewendet und die Grundsätze des Protestantismus im gleichen Maße für sich selbst in Anspruch genommen und durch gerechte Zulassung Gottes gegen ihre Unterdrücker selbst in Anwendung gebracht haben. Amerikaner! Eure eigene Geschichte beweist euch dies. –
Was hat euch zum Befreiungskampf aufgefordert und ermutigt? Gewiss eben das Gefühl der Knechtung. Ihr habt diese Bande mutig zerrissen, aber frei seid ihr deshalb doch noch nicht geworden. Im Zeitlichen habt ihr das Joch, das euch gedrückt, abgeworfen, im Geistlichen seid ihr durch England noch immer gebunden, seid nach wie vor dessen Untertanen. Ihr seid Protestanten – warum? Weil England einst protestantisch geworden – und ihr bleibt es, weil England annoch protestantisch ist.
Würde England katholisch, ihr würdet nicht lange auf euch warten lassen. Für euch ist England, was China für Japan so lange gewesen. In neuester Zeit hat Japan in politischer Beziehung die Initiative ergriffen. Tut ihr es in religiöse Beziehung und kommt England zuvor. Das schuldet ihr eurer Freiheit in Dingen der Religion, dies eurem Charakter, dies eurer Stellung in der Welt. –
aus: F. X. Weninger, Katholizismus, Protestantismus und Unglaube. Ein Aufruf an alle zur Rückkehr zu Christentum und Kirche, 1869. S. 55 – S. 66
Überschriften hinzugefügt.
Folgebeitrag: Die Göttlichkeit der katholischen Kirche
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- F. X. Weniger, Katholizismus, Protestantismus und Unglaube – Inhaltsangabe des Buches
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