Der Antichrist und die Zeit der Apostasie
Der Antichrist ist ein einzige Person
So verhält es sich also mit der Empörung, die seit achtzehnhundert Jahren Kräfte sammelte, und für die Stunde heranreifte, wo sie ihren Leiter und ihr Oberhaupt empfangen soll. Die von antikatholischen Schriftstellern allgemein angenommene Auslegung, wonach erstens der Antichrist für einen Geist oder ein System gehalten wird und nicht für eine Person, und sodann für die katholische oder römische Kirche, oder für den Statthalter des fleischgewordenen Wortes ist ein Meisterzug des Betrugs. Sie schwächt alle Furcht, flößt Eigendünkel und Vertrauen ein, und richtet die Aufmerksamkeit der Menschen darauf, nach den Zeichen seiner Erscheinung überall sich umzusehen, nur nicht da, wo sie zu sehen sind, und lenkt sie von der Seite ab, wo sie bereits sichtbar sind…
1. Er wird mit allen Eigenschaften einer Person beschrieben. In jener Stelle nennt der heilige Paulus ihn jenen Bösewicht, ille iniquus, den Mann der Sünde, homo peccati, und den Sohn des Verderbens. Und der heilige Johannes spricht an vier Stellen von ihm als dem Antichrist. Die Persönlichkeit des Antichrist leugnen, heißt daher das klare Zeugnis der Heiligen Schrift leugnen, und diese persönlichen Ausdrücke und Titel, als von einem System oder Geist gebraucht, weg erklären wollen, ist ebenso rationalistisch, als die Gottlosigkeit des Strauß, wenn er den historischen, d.h. den persönlichen Christus leugnet.
Es ist ein Gesetz der Heiligen Schrift, daß wenn von Personen prophezeit wird, Personen erscheinen; dahin gehören die Prophezeiungen des heiligen Johann Baptist oder der seligsten Jungfrau oder unsers Herrn selbst. Alle Väter sowohl des Morgen- als des Abendlandes, der heilige Irenäus, der heilige Cyprian, der heilige Hieronymus, der heilige Ambrosius, der heilige Cyrillus von Jerusalem, der heilige Gregor von Nazianz, der heilige Johannes Chrysostomus, Theophylaktus, Oekumenius, – alle beziehen diese Stellen auf einen buchstäblichen und persönlichen Antichrist. Die moderne Auslegung ist häretisch, durch Kontroversen hervorgerufen, und nicht durch Vernunftgründe haltbar… Es ist allerdings wahr, daß der Antichrist viele Vorläufer gehabt hat und noch haben mag, wie auch Christus selbst sie hatte. Wie Isaak, Moses, Josue, David, Jeremias Vorbilder des einen waren, so sind Antiochus, Julian, Arius, Mohamed und viele Andere die Vorbilder des andern; denn Personen werden als Vorbilder von Personen gebraucht. Wie ferner Christus das Haupt und der Repräsentant ist, in welchem das ganze Geheimnis der Gottseligkeit kurz zusammen gefaßt ist, ebenso wird auch das ganze Geheimnis der Bosheit seinen Ausdruck und sein Haupt in der Person des Antichrist finden. Er mag allerdings einen Geist und ein System darstellen, aber ist darum nichts desto weniger eine Person. So sprechen auch die Theologen. Bellarmin sagt: „Alle Katholiken behaupten, daß der Antichrist eine einzige individuelle Person sein wird.“ (Bellarm. de Summo Pontif. Lib. III, c. 2) Lessius sagt: „Alle stimmen in der Lehre überein, daß der eigentliche Antichrist nur eine einzige Person sein wird, nicht viele.“ (De Antichristo Tertia Dem.) Suarez geht so weit, zu behaupten, daß diese Lehre von dem persönlichen Antichrist so gewiß ist wie ein Glaubensartikel. (In III. p.D. Thomae, Disp. 54) –
aus: Heinrich Eduard Manning, Kardinal, Der Antichrist oder die gegenwärtige Krise des heiligen Stuhls, im Lichte der Weissagung betrachtet, 1861, S. 33 – S. 35
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