Der 2. Petrusbrief
Widerlegung der Spötter über die Wiederkunft Christi und das Weltende
Der zweite Petrusbrief (Kap. 3, Vers 17): Das Bemühen in der Gnade zu wachsen
Petrus will den Brief nicht beenden, ohne in einer Schlussfolgerung aus dem bisher Gesagten nochmals liebevoll und doch ernst vor den Irrlehrern gewarnt zu haben. Noch sind diese nicht offen hervorgetreten; aber sie werden kommen. Dann sollen sich die Leser dessen erinnern und an das halten, was der um ihr Heil besorgte Apostel ihnen voraus gesagt hat. Ähnlich hatte der scheidende Meister die Seinen im voraus auf die drohenden Gefahren und Leiden hingewiesen (Joh. 16, 1ff). Der Apostel hat die Irrlehrer und Spötter so deutlich widerlegt (Kap. 2-3), daß die Leser zu gegebener Zeit unschwer die Fallstricke erkennen können. Sie dürfen sich nicht in falsche Sicherheit einwiegen, damit der Strudel des Irrwahns sie nicht unversehens mit den „Zuchtlosen“ oder „Gesetzlosen“ fortreißt ins Verderben.
Eindeutig sind die Irrlehrer mit diesem Titel als Libertinisten und Antinomisten hingestellt. Statt irgendwie von falsch verstandener Freiheit sich verlocken zu lassen, sollen die Christen unentwegt auf dem festen Boden der apostolischen Lehre stehen bleiben. In ihr finden sie den stärksten Halt und gelangen zum Heil. Keiner darf vergessen, dass er nur ein schwacher Mensch ist; er kann, falls er nicht wachsam bleibt, die erlangte Gnade verscherzen und trotz seiner Berufung durch eigenes Verschulden verloren gehen (Matth. 26, 41; Luk. 22, 31; 1. Kor. 9, 27; 10, 12 u. ö.). Beharrlichkeit und Treue sind Gnadengeschenke Gottes (1. Kor. 1, 8f; 10, 13; 1. Thess. 5, 24; 2. Thess. 3, 3; 1. Petr. 5, 10 u. ö.); sie sind aber ebenso eine Angelegenheit des Charakters. In sich selbst muss der Mensch einen festen Halt haben. Er gewinnt ihn durch stetes Eingehen auf die mannigfachen Anregungen zum Guten.
Ein echter Christ begnügt sich also nicht damit, das Empfangene treu zu bewahren und vor der Gefahr sich sorgsam zu hüten; er ist vielmehr eifrig bemüht, „in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus zu wachsen“. Was Petrus im Eingang des Briefes als Segenswunsch den Lesern erfleht hat (1, 2), das stellt er hier als von ihrem eigenen Mittun abhängig hin. Gnade besagt ja göttliches Wohlwollen und Wohlgefallen an uns sowie göttliches Leben in uns. Beides wird uns ohne unser Verdienst geschenkt, soll aber durch unser dankbares Streben sich entfalten, bis wir alle hingelangen „zur vollen Mannesreife, zum Altersmaß der Fülle Christi“ (Eph. 4, 13; vgl. Kol. 1, 6 u. 10 u. 28; 1. Petr. 2, 2). Alles Leben muss wachsen, sonst stirbt es ab; aber auch dieses Wachstum ist wieder Gnade (1. Kor. 3, 6f; 2. Kor. 9, 10). Unsere Aufgabe ist das unermüdliche Bemühen um die Erreichung des gesteckten Hochzieles (1. Kor. 9, 24-27; Phil. 3, 12 bis 16).
Wie in der Gnade, so sollen wir auch in der Erkenntnis Christi wachsen. Es gibt keinen edleren und anregenderen Gegenstand für den nach der höchsten Wahrheit suchenden Menschengeist als den Gottmenschen, in dem „alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen sind“ (Kol. 2, 3; Phil. 3, 7f). Christus selbst hat uns geboten: „Bleibet in meiner Liebe“ (Joh. 15, 9). Die Liebe aber ist nicht Statik, sondern Dynamik, und lieben können wir nur, was wir kennen. So ist die wachsende Erkenntnis Christi der Nährboden der Liebe zu Christus, diese wiederum treibt zu tieferem Verstehen an. Religiöse Weiterbildung, vor allem stetes Fortschreiten in der Erkenntnis Christi ist mithin nicht ins Belieben des einzelnen Christen gestellt. Wer nicht darin wächst, versäumt eine heilige Pflicht und wird bald zu den „Ungebildeten und Ungefestigten“ zählen und ins Verderben geraten. Wie eng aber die Erkenntnis Christi mit dem rechten Verständnis der Heiligen Schrift verknüpft ist, lehrt das bekannte Wort des heiligen Hieronymus: „Unkenntnis der Schriften bedeutet Unkenntnis Christi.“ Es ergibt sich übrigens aus Jesu eigenem Wort (Joh. 5, 39). Vor allem geben uns die Bücher der Bibel Aufschluss darüber, dass nur Jesus Christus der Heiland und Erlöser der Menschheit ist, aber auch „der Herr““ der beim Vater verklärte unumschränkte Herrscher über alles (Phil. 2, 9-11). Wer in seiner Gnade und Erkenntnis wächst, ist am besten vor dem „Irrwahn der Zuchtlosen“ gesichert.
Liegt schon in der Zuerkennung des Kyriostitels eine Bezeugung der Gottheit Christi, so verstärkt die Schlussdoxologie dieses Zeugnis bis zur vollen Gewissheit. Was sonst von Gott schlechthin ausgesagt wird, ist hier uneingeschränkt auf Christus bezogen. Die „doxa“ Gottes ist die Gott inne wohnende Herrlichkeit, seine göttliche Wesensart und die sich nach außen offenbarende Majestät des Allerhöchsten. Wie dem Vater, so eignet sie auch dem Sohn (1. Kor. 2, 8; Hebr. 1, 3; 13, 21; 1. Petr. 4, 11; Jak. 2, 1; Offb. 5, 12f). Die Aussage kann als Gebetswunsch aufgefaßt werden: „Ihm sei die Ehre.“ Bei jedem „Ehre sei dem Vater“ flehen wir darum, dass dem dreieinigen Gott die ihm allein zukommende Ehre und Verherrlichung seitens der Geschöpfe durch die Anbetung gezollt werde. Der Satz hat aber hier als Briefschluss ebenso wie 1. Petr. 4, 11 u. ö. nicht minder und wohl zunächst den Sinn der Anerkennung und des Bekenntnisses, dass unser Herr und Heiland Jesus Christus göttliche Wesensart und Majestät besitzt. Darum gebührt ihm höchste Verherrlichung durch die christliche Gemeinde in der Gegenwart wie in der Ewigkeit. Petrus spricht vom „Tag der Ewigkeit“ (vgl. Sir. 18, 10). Es ist die Ewigkeit selbst, die Unvergänglichkeit, die auf die rasch dahin eilende Zeit folgt. Der „Tag des Herrn“ (3, 10 u. 12) wird kommen und mit ihm das Gericht, trotz alles Gespöttes der Irrlehrer. Dann bricht ein Tag an, auf den kein Abend mehr folgt (Offb. 22, 5). Ob Petrus selbst das „Amen“ hinzu gefügt hat wie 1. Petr. 4, 11, oder ob es als liturgische Antwort der Gemeinde dem Text beigegeben wurde, in jedem Fall bestätigt und bekräftigt es feierlich alles, was voraus geht. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI/1, 1950, S. 327 – S. 329