Gottvater, ein Engel mit dem Flammenschwert zu Eva gewandt, ein anderer Engel mit einem Zweig zu Maria gewandt

P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
IV. Von der Übertretung der Gebote oder von der sünde
§ 1. Von der Sünde überhaupt

Über Begehungssünden und Unterlassungssünden

Auf wie vielerlei Wiese kann man sich versündigen?

Man kann sich versündigen 1. durch böse Gedanken, Begierden, Worte und Werke; 2. auch durch Unterlassung des Guten, das man zu tun schuldig ist.

Der hl. Kirchenlehrer Augustin stellt in seinem Buch von der vollkommenen Gerechtigkeit die Frage: „Auf wie vielfache Weise erkennt man, daß etwas Sünde sei?“ und fügt sogleich die Antwort bei: „Auf zweifache Weise, wenn nämlich geschieht, was verboten, oder nicht geschieht, was geboten ist.“ Die Sünden der ersteren Art nennt man „Begehungssünden“, die der letzteren „Unterlassungssünden“.

1. Die Begehungssünden unterscheiden sich in solche, die durch Gedanken, Begierden, Worte oder Werke begangen werden. Wie man sündigen könne durch Gedanken, durch Worte oder durch Werke ist aus der Erklärung der Gebote Gottes und der Kirche hinreichend klar; nur über die sündhaften Begierden ist noch einiges zu bemerken, da dieselben vielfach verwechselt werden mit bösen Gedanken oder auch mit ungeordneten Gefühlen und Regungen. Unter Begierde versteht man den Wunsch oder Willen, etwas zu tun. Man sündigt demnach durch Begierden, wenn man etwas Böses zu vollbringen wünscht oder gar zu vollbringen sich vornimmt und Mittel und Wege dazu aufsucht. Bleibt es beim bloßen Wunsch, so heißt die Begierde unwirksam; tritt hingegen der Vorsatz und das Bestreben hinzu, das gewünschte Böse ins Werk zu setzen, so heißt sie wirksam und enthält einen höheren Grad von Sündhaftigkeit. Man würde sich auch durch Begierde versündigen, wenn man bei sich dächte: „Das und das Böse möchte ich tun, wenn es keine Hölle gäbe; daß es an sich verkehrt und Gott mißfällig ist, danach würde ich nichts fragen.“ Eine derartige Begierde setzt offenbar ein böses Herz voraus, ein Herz ohne alle Liebe zu Gott und zur Tugend. Daß man die Hölle fürchtet, ist recht; aber gegen Gott und die Tugend völlig gleichgültig sein, ist durchaus verwerflich.

2. Eine Unterlassungssünde begeht jemand, so oft er etwas freiwillig und mit Bedacht unterläßt, was er zu tun verpflichtet ist. Wer das Gesetz, welches irgend eine Handlung vorschreibt, unverschuldeter Weise nicht kennt, der sündigt durch Unterlassung derselben nicht, weil er nicht den Willen hat, das Gesetz zu übertreten. So würde derjenige, welcher an einem gebotenen Feiertage die hl. Messe zu hören versäumte, nicht sündigen, wenn er nicht wüßte, daß es gebotener Feiertag ist, oder wenn er dies zwar wüßte, aber aus unverschuldeter Unachtsamkeit die Zeit die Zeit der Messe verstreichen ließe und später keine mehr hören könnte. –
Besonders häufig sind die Unterlassungssünden, deren man sich schuldig macht aus sträflicher Unachtsamkeit gegen die Pflicht, leibliche und geistliche Werke der Barmherzigkeit zu verrichten, sowie auch jene, die man durch Vernachlässigung der besonderen Standes- und Berufspflichten begeht. So verfehlen sich Eltern und Dienstherrschaften, die es unterlassen, das Verhalten ihrer Kinder und Dienstboten zu überwachen, dieselben auf ihre Fehler aufmerksam zu machen, sie zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten anzuhalten; so die Beamten, welche es versäumen, zur gerechten und gemeinnützigen Verwaltung ihres Amtes sich zu befähigen, oder die aus Unachtsamkeit, Schwäche oder Menschenfurcht Mißbräuche einschleichen und öffentliche Ärgernisse um sich greifen lassen; so die Gastwirte, die es unterlassen, in ihren Gaststuben Zucht und Ordnung aufrecht zu erhalten u. dgl. m.

Quelle: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 326-327