Apokalypse – Die zwei Tiere
Die zwei Tiere. Kap. 13 Vers 16-17. Was ist das für ein Zeichen an Stirn und Hand
Jeder, der das, was Johannes hier schreibt, liest oder hört, wird fragen: Was ist das für ein Zeichen? Zunächst heißt es allgemein, es sei „der Name des Tieres oder die Zahl seines Namens“. Die Buchstaben des Alphabets hatten im Griechischen wie im Semitischen Zahlenwert. Sieben Buchstaben des Lateinischen dienen uns heute noch als Ziffern. Erst unter Papst Silvester II. (999-1003) wurde das indisch-arabische Zahlensystem im Abendland eingeführt. Die Addition des Zahlenwertes der Buchstaben eines Namens ergibt die Zahl dieses Namens, ist also leicht zu errechnen. Umgekehrt aber kann eine bestimmte Zahl aus der Addition sehr verschiedener Einheiten entstehen oder aus der Multiplikation und Division, so daß es schwierig ist, aus der Zahl einen bestimmten Namen heraus zu finden. Damit ist ein einfaches und damals beliebtes Mittel zur Geheimhaltung eines Namens oder Kennwortes gegeben. Nur wem der Schlüssel bekannt ist, weiß um das Geheimnis. So hat ein römischer Soldat auf eine Wand in Pompeji gekritzelt: „Ich liebe die, deren Zahl 545 ist.“ Nur die beiden Liebenden, oder wem sie es verrieten, verstanden, wer gemeint sei. Diese Art der Zahlenverwendung hieß Gematrie. Daneben wurde zu ähnlichen Zwecken das System der Dreieckszahl angewandt: Addiert man die Reihe der Einheiten bis zu einer bestimmten Zahl, so ergibt sich daraus die Dreieckszahl. 10 z. B. Ist die Dreieckszahl von 4 (1 + 2 + 3+ 4 = 10). In der kabbalistischen Geheimlehre hat später das Spielen mit Buchstaben und Zahlen den Höhepunkt erreicht.
Dem Seher geht es nicht um Spielerei. Er will seinen Lesern Antwort geben auf die Frage nach dem Namen des Tieres aus dem Meer, aber so, daß ihnen und ihm daraus keine neuen Gefahren entstehen. „Die Weisheit“ ist vonnöten, um hinter das Geheimnis zu kommen; nicht Spitzfindigkeit oder irgendwelche Weisheit, sondern jene des gläubigen, von Gott erleuchteten Menschen, „die Weisheit, die von oben kommt“ (Jak. 3, 17). Wer sie besitzt und seine natürliche Verstandeskraft gebraucht, versteht, was gemeint ist. Er vermag die Zahl des Tieres zu errechnen. „Die Gottlosen werden es alle nicht verstehen. Die Frommen aber werden es verstehen“ (Dan. 12, 10). Zur Erleichterung und Vermeidung falscher Berechnungen gibt Johannes zwei wichtige Anhaltspunkte: Es handelt sich um die Zahl eines Menschen, und die Zahl lautet 666. Also kommt für das Tier kein Tiername in Betracht, der Antichrist ist vielmehr ein Mensch, eine dämonische Inkarnation; „Mensch der Sünde“ nennt ihn Paulus (2. Thess. 2, 3).
Wie aber heißt nun der Name? Die ersten Leser besaßen noch die Schlüssel zu diesem Geheimnis. Ein Menschenalter später war er verloren gegangen; denn bereits Irenäus kennt den Namen nicht mehr (Adv. Haer. 5, 30, 3). Es wäre darum vergebliche Mühe, das Rätselraten fortzusetzen, nachdem in den verschiedensten Perioden der Geschichte eifrige Rechenkünstler bald diesen, bald jenen Namen eine berühmten oder auch berüchtigten Verfolgers der Kirche in der Zahl 666 entdeckt zu haben glaubten. Im Kampf gegen das Papsttum wurde sogar die Fabel verbreitet, die apokalyptische Zahl stehe auf der Tiara des Stellvertreters Christi. Am beliebtesten ist die Deutung auf Nero. In der Tat ergibt sich aus der Zusammenzählung des Zahlenwertes der hebräisch geschriebenen Worte Neron Qesar (Kaiser Nero) die Summe 666. Aber ist es wahrscheinlich, daß Johannes gegenüber den kleinasiatischen Christen, von denen höchsten einzelne Hebräisch verstanden, diese Schreibung des Doppelwortes verwendete, wobei übrigens noch der Buchstabe Jota in Kaisar fortfallen muss, wenn die Zahl 666 heraus kommen soll? Indes wäre dieses Fortfallen nicht ohne Beispiel. Schon früh ist, wie ebenfalls Irenäus meldet, 666 in 616 umgeändert worden, weil dies die Zahl für den Namen Gajus Kaisar = Caligula ist. Für den Namen dieses Wüstlings schien die Tatsache zu sprechen, daß er sein Standbild im Tempel zu Jerusalem aufstellen und anbeten lassen wollte. Der Plan kam aber nicht zur Ausführung. Vers 14 ist darum auf Caligula nicht anwendbar.
Am besten dürfte es sein, mit Irenäus zu gestehen: „Doch wir wollen uns weder in die Gefahr begeben, noch den Anschein erwecken, als ob wir über den Namen des Antichristen etwas Bestimmtes wüßten.“ Anders steht es um die Symbolik der geheimnisvollen Zahl mit der dreifachen Sechs. Die Zahl 6 ist die verminderte Sieben oder die halbierte Vollkommenheits-Zahl 12. Sie gilt deshalb als Sinnbild des Mangelhaften, Schlechten. Auf die Schöpfungswoche bezogen, fehlt zu sechs Tagen der Gott geweihte Sabbat. Ein Schöpfungswerk ohne Gott, eine Welt ohne Religion! Das entspricht ganz dem Antichristen und seinem Reich. Schon Irenäus hat in ähnlichem Sinne auf die Symbolik der Zahl 666 aufmerksam gemacht. Seine Ausführungen sind in mehrfacher Hinsicht besonderer Beachtung wert. Er verzichtet bewußt auf die Ermittlung des Namens des Antichristen mit Hilfe der Zahl dieses Namens. Er lehnt sodann die Versuche der Häretiker ab, die Zahl des Namens Jesus, nämlich die der Zahl 666 ähnliche Zahl 888, als Symbol der Fülle, des göttlichen Pleroma nachzuweisen. (Siehe den Beitrag: Die gnostische Zahl 888) Irenäus vermag in dem Zahlenwert 888 = Jesus kein Walten der Vorsehung zu erkennen und verurteilt die entsprechenden Berechnungen als „schamlose Klügelei“ (Adv. Haer. 2, 24, 1-2). Bei 666 als Zahl des Antichristen liegt dagegen Offenbarung, also kein Zufall vor. Was aber besonders wichtig ist zur Beurteilung seiner symbolischen Auslegung, ist die Berufung des Irenäus auf das Zeugnis derer, die den Verfasser der Apokalypse noch persönlich gekannt haben. Ob diese Berufung auch für die Einzelheiten der Erklärung gilt, ist nicht von Belang. Auch wenn die erste Sechs keine Beziehung zu den sechshundert Jahren Noes vor der Sintflut hat, die zweite Sechs nicht auf die sechzig Ellen hohe und die dritte Sechs nicht auf die sechs Ellen breite Götzenstatue Nabuchodonosors hinweist, bleibt das Resultat richtig, daß nämlich 666 die Namenszahl dessen ist, in dem alle Apostasie, Ungerechtigkeit, Bosheit, Pseudoprophetie und List rekapituliert wird, die es je auf Erden gab und geben wird, bis „die Feuerflut herein brechen wird“. Dann fährt Irenäus fort: „So also verhält sich die Sache, und in allen bewährten und alten Handschriften findet sich diese Zahl; und die, welche Johannes von Angesicht zu Angesicht gesehen haben, bezeugen es, und die Rechnung lehrt es, daß die Namenszahl des Tieres nach griechischer Zählung in den einzelnen Buchstaben die Zahl 666 ergibt, in der die Zehner gleich den Hunderten und die Hunderte gleich den Einern sind. Die Zahl 6 dreimal wiederholt stellt die Rekapitulation der gesamten Apostasie im Anfang, in den mittleren Zeiten und am Ende dar“ (Adv. Haer. 5, 29, 2 bis 5, 30, 1: Ausg. Kösel II 229f.). Auf diese Tatsache, daß „der Zahl 666 ein symbolischer Charakter, und zwar ein schlechter, anhaftet“ (I. Sickenberger 131), zu achten, dürfte für uns wichtiger sein, als die vergeblichen Versuche fortzusetzen, einen bestimmten Namen heraus zu rechnen. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 204 – S. 206
siehe auch die Beiträge zu: Themenbereich Apokalypse