Gottvater, ein Engel mit dem Flammenschwert zu Eva gewandt, ein anderer Engel mit einem Zweig zu Maria gewandt

P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
IV. Von der Übertretung der Gebote oder von der Sünde
§ 2. Von den verschiedenen Gattungen der Sünde
1. Von den sieben Hauptsünden

Wann sündigt man durch Hoffart?

Wenn man sich selbst unordentlich überhebt, Gott die schuldige Ehre nicht gibt und den Nächsten verachtet.

Der Hoffärtige überschätzt sich selbst, er bildet sich ein, durch seine Eigenschaften und Fähigkeiten oder sonstigen Vorzüge über den meisten andern zu stehen. Dementsprechend verlangt und trachtet er, auch von andern als höher stehend angesehen und behandelt zu werden. Die natürliche Folge davon ist, daß er seinen Nebenmenschen die schuldige Achtung und Ehre versagt, keinem sich unterwerfen will, alle von seinem Willen und seinen Launen abhängig machen möchte, andere im herzen verachtet und schnöde und wegwerfend behandelt. Ja, er geht in seiner törichten Selbstüberhebung zuweilen so weit, daß er, wie einstens Luzifer, Gott selbst die gebührende Ehre verweigert, dessen Gebote mit Füßen tritt, dessen Strafgerichten Trotz bietet, daß er ihn, den Allerhöchsten, nicht mehr als seinen Herrn anerkennt und sich selbst gewissermaßen vergöttert.
Aus dieser einen Quelle fließen unzählige Sünden:

a) Sünden der Eitelkeit, und zwar zunächst eitle Gedanken, indem man sich im Geiste mit seinen wahren oder vermeintlichen Vorzügen fast unablässig beschäftigt und sich ungebührlich freut über Lob und Achtung von Seiten der Menschen; – eitle, prahlerische Reden, indem man jede Gelegenheit benutzt, andere auf diese Vorzüge aufmerksam zu machen, dieselben durch offenes oder verdecktes Selbstlob heraus zu streichen; – Eitelkeit in der Lebensweise, indem man durch Kleiderpracht, glänzende Gerätschaften, üppige Tafel u. dgl. sich über andere und über seine eigenen Verhältnisse hinaus lebt; – Eitelkeit im Benehmen, indem man durch gebieterisches Wesen, geringschätzende Mienen, verächtlichen Ton und abstoßendes Vornehmtun andere seine eingebildete Überlegenheit fühlen läßt. Es entspringen aus der Hoffart

b) Sünden des Ehrgeizes: man strebt nach Ehrenstellen, nach Macht und Würden, nicht selten unter Anwendung der niedrigsten Mittel;

c) Sünden der Heuchelei und Gleisnerei: man sucht seine Unwissenheit mit dem Firnis der Modebildung zu über ziehen und seine Armut an echter Tugend durch pharisäische Scheinheiligkeit zu verdecken;

d) Sünden des Ungehorsams und der Widersetzlichkeit gegen geistliche und weltliche Vorgesetzten. Es ist dem Hoffärtigen eigen, keinen über sich anerkennen zu wollen, sich selbst Gesetz zu sein und andern seinen Willen als Gesetz vorzuschreiben. In seiner Anmaßung gibt er der eigenen Meinung vor der Meinung der Vorgesetzten von vornherein den Vorzug und greift zu allen Mitteln, um sich gegen den Willen derselben zu stemmen, schrickt selbst vor offener Auflehnung und tätlichem Widerstand nicht zurück. Aus der Hoffart entspringen

e) Sünden der Härte gegen die Untergebenen. Wie der Stolze der schlimmste Untergebene ist, so ist er auch der schlimmste Gebieter. Kalt und herzlos dringt er auf die Vollstreckung seiner Befehle, bedient sich seiner Untergebenen nur als feiler Werkzeuge seiner Launen, erkennt in ihnen nichts, was er zu berücksichtigen hätte. Herrisch und aufbrausend wie Roboam (3. Kön. 12, 10. 11), stellt er ihren Bitten und gerechten Beschwerden nur Drohungen und Unbilden entgegen.

f) Sünden der Herrschsucht. Je weniger der Stolze sich selbst zu beherrschen imstande ist, desto mehr trachtet er, seine Herrschaft über andere auszudehnen. Gerne möchte er in seiner Umgebung der Sonne gleichen und sich zum Mittelpunkt all ihrer Gedanken, Reden und Bestrebungen machen; er spart weder List noch Gewalt, recht viele in die Sphäre seiner Zwingherrschaft herein zu ziehen und zu gefügigen Trabanten umzuschaffen.

g) Sünden des Streites und Zankes. Bei dem gewalttätigen Verfahren des Stolzen, bei seinem widerrechtlichen Einschreiten gegen seinesgleichen und Untergebene kann es nicht fehlen, daß er auf Widerspruch stößt. Daher liegt der Stolze in beständigem Hader mit seinen Nebenmenschen, namentlich mit seiner Umgebung, die sich seinem Willen oft nicht unterwerfen darf, oft auch nicht will.

h) Sünden des Undankes. Da der Stolze sich selbst alles zuschreibt und, was immer man ihm zuliebe tut, gewissermaßen nur als eine pflichtgemäße Dienstleistung betrachtet, so weiß er niemand Dank für empfangene Wohltaten; ja er findet es fast unerträglich, andern für etwas verbindlich zu sein.

i) Sünden der Mißgunst und der Grausamkeit. Wer anmaßend genug ist, für sich allein alle Ehre zu beanspruchen, der kann nicht gleichgültig zusehen, wie andere ebenso sehr oder noch mehr geehrt werden als er. Im Herzen eines solchen wird der Stolz dem Neide die Hand reichen, und beide Leidenschaften werden alles aufbieten, um den, an welchem er Vorzüge wahrnimmt, die ihm abgehen, oder dem Ehren erwiesen werden, nach welchen er umsonst hascht, zu stürzen, und oft durch Anwendung der grausamsten Mittel zu beseitigen. Wir sehen es an Herodes, der zum Mord der unschuldigen Kinder schritt, um sich seines vermeintlichen Nebenbuhlers, des neugeborenen Königs der Juden, zu entledigen. Desgleichen berichtet uns die Hl. Schrift im Buch Esther, daß Aman, der Günstling des Assuerus, den grausamen Befehl erwirkte, das ganze Volk der Juden zu vertilgen, weil der eine Mardochäus sich weigerte, vor ihm das Knie zu beugen.

k) Daß die Sünden des Unglaubens und der Ketzerei aus dem Stolz entspringen, ist schon gezeigt worden. (Deharbes Katechismus Gefahren des Glaubens) Erreicht der Stolz seinen Höhepunkt, so führt er sogar zur teuflischen Sünde

l) des erklärten Gotteshasses. Der Stolze sieht in Gott, dem Allerhöchsten, dem Allmächtigen, dem unendlich Vollkommenen, gewissermaßen seinen Nebenbuhler, der ihm um so verhaßter ist, je mehr dessen Hoheit gegen seine Niedrigkeit, dessen Macht gegen seine Schwäche, dessen Vollkommenheit gegen seine Schlechtigkeit hervortritt, und je weniger er demselben trotz aller Anstrengung beikommen kann.

Darf es uns nach all dem noch Wunder nehmen, daß „die Hoffart vor Gott und den Menschen verhaßt ist“; daß der hl. Geist sie als „den Anfang aller Sünde“ brandmarkt (Sir. 50, 7. 15); daß Gott selbst „den Hoffärtigen widersteht“ (1. Petr. 1, 5), wie uns dies im Beispiel des Nabuchodonosor (Dan. 4) und des Holofernes (Jud. 6, 13) anschaulich vor Augen tritt? Kann es uns befremden, daß der allerhöchste, dem allein alle Ehre gebührt, die Hoffärtigen „gänzlich zugrunde richtet“, ja selbst das „Andenken derselben vertilgt“? (Sir. 10, 15-21)

Quelle: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 346-348