Der geschichtliche Abriss des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts

Das mittelalterliche Eigentumssystem nach Thomas von Aquin

Die mittelalterliche Lehre lehnte diese extreme Form des Privateigentums gänzlich ab und betonte die Grenzen, die das Naturrecht, aber auch die christliche Lehre dem Eigentumsrecht setzen. Obwohl sie das Gemeinschaftseigentum nicht ablehnte oder gar entmutigte, wo es sich als praktisches und nützliches ergänzendes und korrigierendes Element innerhalb des vorherrschenden Systems des Privateigentums erwies, lehnte die mittelalterliche Lehre und Praxis das Gemeinschaftseigentum als das gewöhnliche System der Führung menschlicher Angelegenheiten ab.

Die mittelalterlichen Ärzte behaupteten, dass das einzige System, das gleichzeitig mit dem Temperament des Menschen und den Lehren des Christentums vereinbar sei, ein System des Privateigentums sei, das durch Verpflichtungen der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe begrenzt, in angemessenem Maße der höheren Herrschaft (altum dominium) des Staates unterworfen und durch eine gewisse Beimischung von Gemeinschaftseigentum ergänzt werde, was nützlich und möglich sei.

Die Lehre des heiligen Thomas

Die christliche und mittelalterliche Lehre über Eigentum kann aus mehreren Passagen in der Summa und anderen Schriften des heiligen Thomas entnommen werden. Seine Lehre, die sich auf die Lehre des Evangeliums in der Auslegung der frühen Väter stützt, fasst die aktuellen Ansichten seiner Zeit zusammen und wurde von allen oder praktisch allen mittelalterlichen Schriftstellern als Standard angenommen. Ihm sind auch die großen katholischen Theologen des 16. und 17. Jahrhunderts gefolgt. Wir können die Lehre des heiligen Thomas kurz wie folgt zusammenfassen:

1. Gott, der allein die höchste Herrschaft und das höchste Eigentum an materiellen Dingen hat, hat letztere zum Gebrauch für alle bestimmt. Daher ist ein solcher praktischer Zugang zu diesen Dingen, der den Menschen in die Lage versetzt, seine menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, für ihn selbstverständlich und stellt das unveräußerliche Recht des Menschen dar.

2. Es ist falsch und sogar ketzerisch zu sagen, dass alles private oder ausschließliche Eigentum an materiellen Dingen gegen das Naturrecht verstößt“.

3. Das System des Privateigentums im Gegensatz zu dem des Gemeinschaftseigentums ist nicht nur rechtmäßig, sondern innerhalb gewisser Grenzen auch notwendig für die ordnungsgemäße Führung des menschlichen Lebens, zumindest solange der Mensch seine gegenwärtigen normalen Eigenschaften behält. Daher wird es dem Menschen durch das Gesetz der Nationen (Jus Gentium) auferlegt. (1)

(1) Es unterscheidet sich vom Naturrecht dadurch, dass seine Verpflichtungen nicht so dringend von der individuellen Natur und dem Schicksal des Menschen verlangt werden wie die Verpflichtungen des Naturrechts.

Dennoch ist der gefallene Mensch, so wie er tatsächlich ist und mit seinen sozialen Instinkten und Bedürfnissen, das Diktat des Jus Gentium für ihn moralisch notwendig. Unabhängig davon, ob die Verpflichtungen des Jus Gentium auf dem positiven Menschenrecht beruhen, wie einige zu glauben scheinen, oder auf fernen Schlussfolgerungen des Naturrechts, wie andere behaupten, sind sich daher alle einig, dass es in der Praxis für das Wohlergehen des Menschen notwendig ist und durch menschliches Handeln nicht geändert werden kann. Denn ein solcher Erlass, wie z.B. ein Gesetz zur Abschaffung der Institution des Privateigentums, würde dem Gemeinwohl zuwiderlaufen und wäre daher von Natur aus ungültig.

Beweise für die Notwendigkeit von Privateigentum

Dieser letzte Vorschlag des heiligen Thomas beweist aus drei Gründen.

(a) Privateigentum liefert einen notwendigen Anreiz für menschliche Bestrebungen. – Denn Männer werden sich normalerweise nicht nach Kräften um produktive Arbeit bemühen, es sei denn, die Früchte der Arbeit sollen ihre eigenen sein.

(b) Privateigentum erleichtert die richtige Arbeitsteilung und -koordinierung, wohingegen bei Gemeinschaftseigentum die Arbeitsteilung sehr schwierig oder unmöglich wäre.

(c) Privateigentum fördert Frieden und Harmonie. Denn in diesem System hat (wenn man es richtig versteht) jeder genügend und ist mit dem Eigenen zufrieden; während Streitigkeiten unter denen, die Gemeinsamkeiten haben, häufiger auftreten. (1)

(1) Der heilige Thomas erwähnt anscheinend nicht den Grund, der von einigen als der überzeugendste von allen zugunsten des Systems des Privateigentums betrachtet wird, nämlich, dass es ein notwendiges Mittel zur Sicherung der persönlichen Unabhängigkeit und Verantwortung des Einzelnen ist.

Christliches Konzept des Privateigentums

Das System des Privateigentums, das der heilige Thomas als rechtmäßig und in der Praxis als obligatorisch verteidigt, ist jedoch nicht in dem bereits erwähnten extrem individualistischen Sinn zu verstehen. Es umfasst nur das ausschließliche Recht der Herrschaft und die Kontrolle der Produktion oder der Ausbeutung und der Verteilung der Güter (potestas procurandi et dispensandi). Nicht eingeschlossen ist das ausschließliche Recht zur Nutzung der Güter (potestas procurandi et dispensandi). Dieses Recht ist streng begrenzt und kann nicht ohne gebührende Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse anderer. In dieser Hinsicht hat der Eigentümer nur einen Prioritäts- oder Erstanspruch, soweit es seine Bedürfnisse erfordern. Die Worte des heiligen Thomas sind wie folgt:

„Im Hinblick darauf [nämlich auf die Güter] darf man materielle Dinge nicht als sein Eigentum betrachten, sondern als Gemeingut, so dass man sie frei mit anderen teilt, die sie brauchen.“ (1)

Die hier implizierte Beschränkung auf den rechtmäßigen Gebrauch von Eigentumsrechten ist eine offensichtliche Schlussfolgerung aus dem grundlegenden Prinzip, dass Gott materielle Dinge zur Befriedigung der Bedürfnisse aller bestimmt hat. Die tatsächliche Teilung dieser Dinge durch das Privateigentum, das eine menschliche Institution ist, kann weder rechtsgültig gegen dieses Dekret verstoßen, noch die Menschen daran hindern, ihre Bedürfnisse durch sie zu befriedigen. Folglich sollte das Eigentum, das die Menschen über das hinaus besitzen, was sie benötigen, dazu verwendet werden, die Bedürfnisse derer zu befriedigen, die in Not sind.

(1) Aus anderen Passagen (wie z.B. ib., a. 7) wissen wir, dass der hl. Thomas impliziert, dass die eigenen vernünftigen Bedürfnisse befriedigt werden, bevor die Verpflichtung entsteht, die Güter mit anderen zu teilen. 3 Ebd., a. 7 (Corp.).

Seine sozialen Aspekte

Nach der mittelalterlichen Lehre unterlagen die Rechte des Privateigentums daher folgenden Einschränkungen :

(a) Jeder kann im Falle eines eindeutigen und dringenden Bedarfs (evidens et urgens necessitas) rechtmäßig das Eigentum eines anderen missachten und das, was er auf diese Weise eindeutig und dringend benötigt, für seinen eigenen Gebrauch verwenden; noch kann der Eigentümer, der keinen dringenden und unmittelbaren Bedarf an der fraglichen Sache hat, ihn rechtmäßig daran hindern. Er würde damit gegen die Nächstenliebe und sogar gegen die Gerechtigkeit verstoßen.

(b) Der Eigentümer ist zumindest aufgrund einer Wohltätigkeitsverpflichtung verpflichtet, die Güter, die er nicht für seinen eigenen angemessenen Bedarf benötigt, an diejenigen zu verteilen, die sie benötigen. Daher beschränkt sich sein ausschließliches Recht an diesen Gütern auf die Kontrolle über die Arbeit oder die Ausbeutung des Kapitals und auf die Lenkung der Verteilung des Erlöses (potestas procurandi et dispensandi). Letztere muss er in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichen Einschränkungen je nach den Umständen den Bedürftigen geben. Wenn aber nicht alle Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden können, kann der Eigentümer die Personen auswählen, mit denen er die Güter teilen will.

(c) Auch wenn sich ein Einzelner außerhalb der Leichtigkeit klarer und dringender Bedürfnisse nicht einmal die überflüssigen Güter seines Nachbarn rechtmäßig für seinen eigenen Gebrauch aneignen kann, hat er in der Rechtsprechung das Recht, dass die öffentliche Behörde, sei es die Zunft oder die Gemeinde oder der Staat, dafür sorgen sollte, dass er eine faire Gelegenheit erhält, für alle seine angemessenen Bedürfnisse zu sorgen, auch wenn es zu diesem Zweck notwendig wäre, das Eigentum eines anderen, d.h. seine überflüssigen Güter, aufzuheben.

Erweiterung des Kommunalen neben dem Privateigentum

Die Tendenz der mittelalterlichen Lehre und Praxis bestand darin, eine vernünftige und freiwillige Ausdehnung des gemeinschaftlichen Eigentums an Eigentum zu fördern, als Ausgleich für die Gefahren und Mängel eines exklusiven Systems des Privateigentums. Denn die Kirche hat immer erkannt, dass Privateigentum allein nicht ausreicht, um die Bedürfnisse der Volksmassen zu befriedigen. Es wird immer einige geben, die nicht in der Lage sind oder in der Praxis nicht in der Lage sein werden, Privateigentum zu erwerben, das für ihre Sicherheit ausreicht. Daher ist in der Regel irgendeine Art von kommunalem oder quasi-kommunalem Eigentum erforderlich, um das Privateigentum zu ergänzen. (1)

(1) Vergleiche auch die Worte des Comte de Mun, des Führers der katholischen Sozialbewegung in Frankreich: „‚Während wir verkünden, dass das Recht auf Privateigentum ein natürliches Recht ist, fordern wir nur, dass neben dem Privateigentum eine gewisse Menge an kollektivem [oder kommunalem] Eigentum frei festgelegt wird, um es [für kommunale Zwecke] freien Vereinen, Gemeinden und Körperschaften zu übertragen‘ (zitiert nach Garriguet, a.a.O., S. 163, 164). Auch deshalb hat die Kirche immer so nachdrücklich auf die Erhaltung des kirchlichen Eigentums bestanden, das zum großen Teil das “Erbe der Armen“ ist. Vgl. Meyer ct. Ardant, a.a.O., und Sanderson, a.a.O.

Besonderes an Grund und Boden

Außerdem gab es in jedem Land große Landflächen, die „‚Commons“ genannt wurden und sich im kommunalen System befanden. Auch hier waren die Turbaryrechte, Fischereirechte, Jagdrechte usw. in der Regel ebenfalls kommunal geregelt. Es entsprach dem allgemeinen Brauch im Mittelalter, wenn nicht sogar einem anerkannten Prinzip, dass nicht der gesamte Boden angeeignet werden durfte, und selbst in dem, was angeeignet wurde, sollten bestimmte Rechte immer der Gemeinschaft vorbehalten bleiben.

Schlussfolgerung

All diese Bräuche und anerkannten Prinzipien, die die Eigentumsrechte einschränken und das System des Privateigentums ergänzen, hatten in Verbindung mit dem Einfluss der Lehre der Kirche auf die öffentliche Meinung während dieser ganzen Zeit einen immensen Einfluss darauf, den Zustand der Menschen auszugleichen und die Extreme von Armut und Reichtum zu mildern. –
aus: E. Cahill SJ, The Framework of a Christian State, 1932, S. 38 – S. 42

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Bildquelle

  • Andrea_di_Bonaiuto._Santa_Maria_Novella_1366-7_fresco_0001-e1578951374271-1024×578: wikimedia