Apokalypse – Die zwei Tiere

 Die zwei Tiere. Kap. 13 Vers 10. Unser Glaube überwindet die Welt

Nach diesem überaus traurigen Bild von der Weltherrschaft des Satans hat der Seher den Christen etwas ganz Wichtiges zu sagen. Wie in den Gemeindebriefen ruft er zum Achthaben auf diese Botschaft auf, und wir können uns leicht vorstellen, wie die Teilnehmer am urkirchlichen Gottesdienst aufhorchten, als der Vorleser zu dieser Stelle kam. (Vers 8-9, siehe den Beitrag: Lüge und Lästerung werden Grundsatz) Für uns ist der folgende Vers nicht minder bedeutsam.

Schon im 8. Vers klang leise die Mahnung an die Christusjünger mit, den Sieg des Tierdämons nicht die hoffnungslosem Pessimismus gegenüber zu stehen. Keiner soll mit dem zweifelnden Job fragen: „Was ist der Allmächtige, daß wir ihm dienen sollten? Und was nützt es uns, daß wir ihn anrufen?“ (Job 21, 15) Wird nun Johannes den Christen raten, weniger unnachgiebig zu sein, sondern den neuen Verhältnissen Rechnung zu tragen und mit dem Machthaber, der nun einmal gesiegt hat, Kompromisse zu schließen? Solche „Klugheit“ wird nirgendwo im Neuen Testament empfohlen, am wenigsten in der Apokalypse, dem Buch, das zum Martyrium erziehen will. Oder weist Johannes prophetisch darauf hin, daß den übermütigen Verfolger der Kirche einst das gleiche Los treffen wird, das er jetzt über die wehrlosen Jünger Christi verhängt? Das Blatt wird sich einmal wenden. Dann wird der Allherrscher im Himmel vor aller Welt dartun, daß er nicht auf ewig seiner spotten, noch ungestraft die Seinen ungerecht verfolgen läßt. Dann wird jeder ins Gefängnis wandern, der jetzt andere hinein führt; und jeder wird mit dem Schwert getötet werden, der es jetzt gegen die schuldlosen Gottesverehrer zieht. So deuten manche den Text; denn sie lesen: „Wenn einer in Gefangenschaft führt, so geht er in Gefangenschaft; wenn einer mit dem Schwert tötet, so muss er mit dem Schwert getötet werden.“ Das wäre ein Hinweis auf Gottes ausgleichende Gerechtigkeit, ein Gedanke, dem Laktantius um 314 beredten Ausdruck gab in seiner berühmt gewordenen Schrift „De mortibus persecutorum“. Andere deuten den gleichen Text als Warnung vor aktiven Widerstand der Christen gegen ihre Verfolger, also im Sinne von Matth. 26, 52. Was hätten Christen dadurch anderes erreicht als noch grausamere Maßnahmen der Gewalthaber, abgesehen davon, daß sie in ihrer Lage gar nicht imstande waren, ihre Feinde in Gefangenschaft zu führen?

Ein viel tieferer und zu der Schlussmahnung im Nachlass passenderer Sinn ergibt sich aus der in der Übersetzung gewählten Lesart: „Wenn einer für die Gefangenschaft (bestimmt ist), so geht er in Gefangenschaft; wenn einer mit dem Schwert getötet werden soll, so muss er mit dem Schwert getötet werden.“ Die prophetische Mahnung ist dann eine verkürzte und den veränderten Verhältnissen entsprechende Anlehnung an Jer. 15, 2. Dort gibt der Herr dem Propheten die Weisung: „Wenn sie dich fragen: Wohin sollen wir gehen? So antworte ihnen: Zum Tode gehe, wer für den Tod bestimmt ist; zum Schwert, wer für den Schwert; zum Hunger, wer für den Hunger; und zur Gefangenschaft, wer für die Gefangenschaft bestimmt ist.“ Die Christen sollen sich also nicht gegen ihre Verfolger wehren. Sie sind dem Tier unterlegen. Das Los der Besiegten wartet ihrer, also entweder Gefangenschaft oder Tod. Aber auch darin sollen sie kein blindes Schicksal sehen. Derselbe, der die Namen ihrer Feinde und der Abtrünnigen seit Erschaffung der Welt nicht ins Lebensbuch des Lammes hat aufnehmen lassen und sie so verworfen hat, der hat auch den Seinen von jeher das schwere Los der Gefangenen oder um ihres Glaubens willen Getöteten zugedacht. Mutig sollen sie sich dieser Entscheidung beugen, überzeugt, daß es ihnen zum ewigen Heil gereichen wird (vgl. Röm. 8, 28). Nicht: Selbsthilfe durch Vergeltung des Bösen mit Bösem, lautet die Parole der verfolgten Kirche, sondern: Geduldige Ausdauer und Glaube der Heiligen! In straffer Selbstzucht sollen sie alles vermeiden, was die Liebe verletzt. Ihr ganzes Vertrauen sollen sie auf den Herrn setzen. Ähnlich hatte bereits Isaias dem widerstrebenden Volk im Auftrag Gottes zugerufen, als es von kriegerischer Rüstung das Heil erwartete: „Im Stillhalten und Vertrauen liegt eure Kraft!“ (IS. 30, 15) Die schwersten Krisen und Notzeiten hat die Kirche stets dadurch überwunden, daß sie das Glaubensleben vertiefte, ihre innersten Kräfte sammelte und sie auf das Wesentliche hin ordnete, auf die Verherrlichung Gottes und die Umgestaltung in Christus. „Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und das ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube“ (1. Joh. 5, 4). –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 194 – S. 196
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