Der 1. Brief des heiligen Apostels Paulus an die Korinther 11. Kapitel
Die Rangordnung in der Schöpfung (Vers 7-12)
Einen neuen Grund für das Festhalten an der bisherigen Rangordnung leitet der Apostel aus der Schöpfungsgeschichte von Mann und Frau ab (7 bis12). Auf ihr baut sich das Rechtsverhältnis zwischen beiden naturhaft auf. Als Gott den Menschen schuf „nach seinem Bild und Gleichnis“, schuf er zuerst den Mann. Der Mann stellte als das unmittelbar aus Gottes Hand hervor gegangene, von keinem andern Menschen abgeleitete Ebenbild Gottes die Herrscher-Herrlichkeit des Schöpfers über alles Geschaffene sichtbar dar. Er war der „Abglanz Gottes“. Würde er nun sein Haupt beim Gottesdienst verhüllen, so hieße das, den Spiegel verhüllen, aus dem Gottes Abglanz den Geschöpfen entgegen strahlen soll. Der Mann gäbe dadurch sinnbildlich den Vorrang preis, den ihm der Schöpfer selbst verlieh. Die Schöpfungs-Geschichte berichtet aber ebenso klar, dass die Frau an zweiter Stelle geschaffen wurde. Auch sie ist als vernunftbegabtes Leib-Geist-Wesen ein Ebenbild Gottes, genau wie der Mann. Darum sagt Paulus nicht, sie sei ein „Bild des Mannes“. Aber sie ist, eben weil an zweiter Stelle geschaffen, nicht der unmittelbare „Abglanz Gottes“, d. h. die sichtbare Darstellung der göttlichen Oberherrlichkeit, sondern der „Abglanz des Mannes“ aus dem sie hervor gegangen ist. Was die Schöpfungsordnung lehrt, das bestätigt der Schöpfungszweck für die Rangordnung der Geschlechter. Aus 1. Mos. 2, 18 geht hervor, dass die Frau um des Mannes willen geschaffen wurde, nicht der Mann um der Frau willen. Die Frau ist deshalb kein Mensch zweiter Ordnung. Nicht ihr personales Menschentum hat im Mann seine Zweckbestimmung. Als Mensch ist sie genau so auf Gott und Christus hingeordnet wie der Mann (Gal. 3, 28). Aber als Geschlechtswesen, das sich vom Mann unterscheidet, ist sie auf den Mann hingeordnet, „seine Hilfe und sein Gegenüber“. Ihre Unterordnung unter den Mann im äußeren Rechtsverhältnis, nicht im inneren Wert, soll darum äußerlich sich dadurch bekunden, dass die Frau „eine Obmacht auf dem Haupt trägt“. Im Zusammenhang und in der Weiterführung des Beweises kann damit nur der Schleier oder eine Kopfhülle gemeint sein, die als Zeichen der Unterordnung der Frau unter den Mann galt. Gerade weil der Schleier sie so sehr an ihre Abhängigkeit vom Mann erinnerte, wollten ja die Frauen von Korinth ihn nicht mehr tragen. Paulus hat ihnen zu bedenken gegeben, dass sie sich durch ihr Verhalten über die vom Schöpfer grundgelegte Ordnung hinweg setzen. Nach biblischer Lehre sind Gottes Engel die Zeugen der Schöpfung gewesen (Job 38, 7). Dieselben Engel nehmen unsichtbar am Gottesdienst teil (Ps. 137 (138), 1). Die Ehrfurcht vor ihnen und ihren eigenen Schutzengeln (vgl. Luk. 15, 10; Matth. 18, 10; Apg. 12, 15; Offb. 8, 3-4) müsste die christlichen Frauen bewegen, die gute Sitte nicht gerade dann außer acht zu lassen, wenn sie selber gleichsam Engeldienste in der Gemeinde-Versammlung verrichten, indem sie betend vor Gott stehen und durch Betätigung der Prophetengabe die Gemeinde trösten und ermuntern. Der lebendige Glaube an den uns ständig begleitenden Schutzengel ist neben dem Glauben an den allgegenwärtigen Gott eines der wirkvollsten aszetischen Mittel christlicher Jugendführung und Selbsterziehung. Das Tragen eines besonderen Abzeichens der verheirateten Frau aber entspricht uraltem Brauchtum. Bei den niedersächsischen Dithmarschen hat sich bis in die Neuzeit die Sitte erhalten, dass der Braut bei der Hochzeit der Hut des Bräutigams aufgesetzt wurde. Auf dem Hunsrück und an der Mosel trug das unbescholtene Mädchen bis zur Vermählung einen Metallpfeil im Haar. Vom Tag der Trauung an war die Haube ihr Kopfputz. Sie war „unter die Haube gekommen“. So begegnen sich altgermanische Sitte und biblische Vorschrift. Erst dem alles verflachenden und entweihenden Einfluss der letzten Jahrzehnte sind diese Bräuche zum Opfer gefallen. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XV, 1937, S. 260 – S. 261