Moraltheologie

Das Recht der Familie in Familie und Gesellschaft

Das Recht der Familie und das Recht in der Familie

Keineswegs leitet die Familie ihr Existenzrecht vom bürgerlichen Gesetz her, und keineswegs ist das Recht der Eltern auf ihre Kinder und auf deren Erziehung ein Ausfluss staatlichen Gesetzes. Gottes Autorität selbst hat am Anfang der Menschheits-Geschichte die Familie begründet mit dem Gebot: „Wachset und mehret euch“ (Gen. 1, 28). Damit war die Familie oder die häusliche Gesellschaft geschaffen, sie mag klein sein, aber sie ist eine wahre Gesellschaft, und sie ist älter als jeder Staat, deshalb müssen ihr auch gewisse Rechte und Pflichten eigentümlich sein, völlig unabhängig vom Staat, und es muss der Familie unbenommen bleiben, ihre natürlichen Zwecke selbständig zu verfolgen und zu verwirklichen, wenngleich sich die Familie, wie bereits hervor gehoben wurde, zur Erreichung gewisser höchster Zwecke irdischen und übernatürlichen Gemeinschafts-Lebens als unvollkommene Gesellschaft nicht selbst genügt.

Wollte man, dass die Staatsgewalt nach ihrem Belieben sich in die innersten Angelegenheiten der Familien einmische, so wäre dies, die Leo XIII. betont (Enz. Rerum novarum), ein großer und verderblicher Irrtum; sicherlich hat der Staat einzugreifen, wenn eine Familie sich in verzweifelter Lage befindet, aus der sie sich nicht mehr selbst befreien kann, dasselbe ist der Fall, wenn schwere Verletzung und Störung der gegenseitigen Rechte vorliegt, dort hat der Staat einzugreifen, weil die Familie als Teil des Staates sich darstellt, hier, weil es Aufgabe des Staates ist, die Rechte der Bürger zu schützen und zu sichern. Aber diese Grenzen zu überschreiten, verwehrt die Natur.

Die väterliche Gewalt ist eine derartige, daß sie vom Staat nicht vernichtet und auch nicht absorbiert werden darf, denn sie hat ein und denselben Ursprung wie das menschliche Leben selbst. Die Kinder gehören dem Vater und sind gleichsam eine Erweiterung seiner Person, sie treten in die staatliche Gemeinschaft ein und nehmen daran teil nicht selbständig für sich, sondern durch Vermittlung der häuslichen Gemeinschaft. Aus eben diesem Grund, weil nämlich die Kinder von Natur gleichsam ein Teil des Vaters sind, bevor sie den gebrauch des freien Willens erlangt haben, sind sie der Obhut der Eltern unterstellt. Wenn daher die Sozialisten unter Missachtung der elterlichen Fürsorge dafür die des Staates setzen, so verletzen sie die natürliche Gerechtigkeit und zerreißen sie das Band der Familie. (Leo XIII., Enz. Rerum novarum)

Was das Recht innerhalb der Familie betrifft, so ist das Verhältnis der Eltern zu den Kindern und die ihm entsprechende Befugnis bereits angedeutet worden. Zur Leitung der Familie erscheint der Mann berufen, so nach natürlicher Veranlagung, so auch nach christlicher Lehre (1. Kor. 11, 3; Eph. 5, 22ff. u. ö.) Doch ist die Frau seine Gehilfin, nicht seine Sklavin; dies eine Auffassung, die, wie schon Aristoteles betont, für die Barbaren charakteristisch ist. (Nik. Eth. 8, 12f)

Familie und Gesellschaft

… Von welcher sozialethischen Bedeutung die Familie ist, wird klar, wenn man bedenkt, dass die Familie als Vorschule für das rechte soziale Verhalten in Staat und Gesellschaft erscheint; in der Familie soll das Kind Gehorsam, Pietät, Selbstbescheidung, Genügsamkeit, Arbeitsamkeit, Verantwortlichkeitssinn, Mitgefühl mit fremder Not und zarte Rücksicht lernen und betätigen, um später als Bürger dieselben Tugenden zu üben, die es zunächst in kleinem Kreis geübt. An Rang höher als die Familie steht freilich der Staat; wiewohl die christliche Auffassung der Familie unentziehbare Rechte natürlicher Art zuschreibt, so verkennt sie doch die Überordnung des staatlichen Gemeinwesens in keiner Weise; als Teilchen des Staates ist die Familie auf das Ganze zurück zu beziehen, die geordnete Eintracht des Befehlens und Gehorchens der in der häuslichen Gemeinschaft Vereinigten muss also, um mit dem heiligen Augustinus zu reden, auf die geordnete Eintracht des Befehlens und Gehorchens bei den Bürgern zurück bezogen werden, so kommt es, dass der Familienvater seine Vorschriften dem Gesetz entnehmen muss, um sein Haus so zu leiten, dass es in den Frieden des Staates sich einfügt. (Augustinus, De civ. Dei 19, 16)

Natürlich ist dabei vorausgesetzt, dass der Staat nach christlichen Grundsätzen regiert und die Gesetzgebung vom christlichen Geist inspiriert werde, deshalb ist es auch von so großem Wert, wenn die Verfassung eines Staates christlichen Geist atmet, andernfalls läßt sich die Forderung des heiligen Augustinus nur in sehr beschränktem Maße durchführen und befürworten. Wird die Gesetzgebung vom christlichen Geist beherrscht, als dann wird die Familie als Tugendquelle für das soziale und das staatliche Leben ihre ganze Bedeutung erlangen können. Diese Tugendquelle würde dagegen völlig verschüttet, sobald der Sozialismus seine verderblichen Ideen, die zum Teil bereits angedeutet wurden, zu verwirklichen ind er Lage wäre.

Man darf übrigens hier und sonst, wenn vom Sozialismus die Rede ist, nicht an die wenigen sozialistischen Schriftsteller gemäßigter Richtung denken, die sich in mancher Hinsicht der christlichen Denkweise stark annähern, jedoch auf die Massen keinen erheblichen Einfluss ausüben, sondern man hat an die Richtung und Gesinnungen eines Marx zu denken, die für die Massen der Sozialisten entscheidend sind. Danach tritt an die Stelle der christlichen Auffassung von der Ehe die freie Liebe, und dies ganz folgerichtig, denn ist nicht mehr Gott das Ziel des Lebens, sondern möglichst großer irdischer Genuss, so müssen die letzten Hemmungen des Genusses, stammend aus sittlichen Bedenken, endgültig beseitigt werden. Damit hängt zusammen, dass, wie erwähnt worden ist, die Erziehung der Kinder zur Angelegenheit des Staates gemacht wird, wieder eine Forderung, die nur konsequent ist, wenn man den höchsten Genuss und das höchste Maß an Bequemlichkeit erstrebt und für alle dieselben Existenzbedingungen und dasselbe Erdenglück sichern will. Angesichts dieser verderblichen Irrtümer, angesichts der sittlichen Verheerungen, die der Sozialismus hervor ruft oder fördert, wo er den Fuß hinsetzt, angesichts der schlimmen Zustände in Russland infolge der Herrschaft des marxistischen Bolschewismus muss man in der Tat zu dem Schluss kommen: „Der Sozialismus ruht auf unhaltbaren Grundlagen, und weit entfernt, die glänzenden Versprechungen erfüllen zu können, womit er die unwissenden Massen betört, würde er die Kultur, die uns das Christentum gebracht, zerstören und uns in die Zeiten roher Barbarei zurück schleudern.“ (Cathrein, Moralphilosophie II, S. 242) –
aus: Otto Schilling, Lehrbuch der Moraltheologie II. Band, 1928, S. 571 – S. 574