Jesus Christus und die Antichristen
Islam und Gegenpapst in der Zeit der Apostasie
Indien, Persien, Mittelasien, Afrika kennen keine höhere Macht als die des Islam. Es wird dies in Bezug auf Asien allgemein anerkannt, aber man ist fast eben so allgemein mit dem erstaunlichen Proselytismus unbekannt, den die Mahometaner in dem Innern Afrika ́s betätigen. Ihr Fanatismus scheint in dieser Weise den Orient auf den Kampf wider die christliche Welt vorzubereiten, und man müßte sehr leichtfertig sein, um kühn zu behaupten, daß vom Orient nimmer dem Okzident Gefahr drohe, der doch geteilt ist und geschwächt durch die Abnahme des Glaubens. Das, was sich schon einmal ereignete, kann sich in größerem Maßstabe und mit glücklicherem Erfolg wiederholen, weil die ehemals unmöglichen Verbindungen es nicht mehr sein werden zur Zeit der großen Apostasie. Es kann also die Macht, welche sich des zweiten Roms bemeisterte, eines Tages auch das erste unterjochen und dort das Reich des Antichrists aufrichten, nach den von Nicolaus von Lyra zitierten Worten des hl. Ambrosius: „Non prius veniet Dominus, quam Romani imperii (spiritualis juxta S. Thomam) defectio fiat, et appareat Antichristus qui interficiet sanctos, reddita Romanis libertate, suo tamen nomine.“ (Confr. S. Thom. De Av. Antichr. Leodii)
Nach dieser Ansicht wäre der falsche Prophet des Antichristentums, der sich dem Lamm gleichstellen, aber wie das Tier und der Drache reden wird, irgend eine abtrünnnig gewordene christliche Macht, irgend ein Priesterkönig, ein Gegenpapst, hervorgegangen aus einem der großen Schismen der Kirche, welcher die Peterskirche zu Rom dem rationalistischen und theurgischen Naturdienste überliefern würde, wie der Mahometanismus die Sophienkirche des zweiten Roms dem Naturalismus des Korans geweiht hat.
Andere aber sind vielmehr geneigt anzunehmen, daß die Wiederherstellung des antichristlichen Reiches selbst durch eine moderne Macht bewirkt werde, und daß diese den Orient gewinnen werde durch ihren Bund mit dem Islam, der daselbst der falsche Prophet der großen Einheit der in dem Antichrist personifizierten Negation würde. (s. Anm. 1)
In beiden Fällen wären das erste wie das zweite Rom wider Jesus Christus und seine Kirche verbündet, die mit ihrem Haupt in allen ihren Gliedern verfolgt würde. Der allgemeine Abfall wird in der Tat den Katholizismus nicht vernichten, und der Glaube, welchen vorher ein großer Teil der Juden angenommen hat, wird durch unzählige Blutzeugen aus allen Völkern verherrlicht werden.
Anmerkung 1:
Unbestreitbar ist dies alles geeignet, uns die Möglichkeit einer Teilung der Welt in zwei Heerlager begreifen, ja deren Wahrscheinlichkeit schon mit bloßem Auge sehen zu lassen. Während die Irrtümer aller Art mehr und mehr sich verweben, mischen sich die Nationen, schwindet die räumliche Trennung; Wahrheit und Lüge durchkreuzen sich von einem Weltende zum anderen mit der Schnelligkeit eines Blitzes, in unseren Tagen augenscheinlich im buchstäblichen Sinne. Denke man sich zu den Lehrsätzen unserer Zeit eine mächtige Verpersönlichung derselben, wie jeder große Irrtum sie in allen Jahrhunderten gehabt hat, und man kann sich von dem Auftreten dieses neuen Weltbeherrschers einen Begriff machen. „Gott ist Gott“, wird er zu den Juden sagen, „und Moses war sein Prophet“; „Gott ist Gott“ zu den Moslemin „und Mahomet war sein Prophet“; „Gott ist Gott“ zu den Indern, den Chinesen und Tartaren „und Brahma und Buddha waren seine Propheten“; „Gott ist Gott“ wird er den Christen aller Nationen zurufen, den König der Ewigkeit in schmählicher Lästerung den Kindern der Zeit gleichstellend: „und Jesus war sein Prophet. Ich bringe der Welt die Friedensbotschaft; um sie aber verwirklichen zu können, kündige ich Krieg mit allen, welche die Einheit verschmähen, deren Quelle ich bin. Ich bin der Geist aller Christus und aller Propheten; wer nicht mit mir ist, ist wider mich.“ (S. 370)
aus: Viktor Dechamps, Christus und die Antichristen nach den Zeugnissen der Schrift, der Geschichte und des Gewissens, 1859 , S. 561