Apokalypse – Die sieben Plagen

Das Ausgiessen der Schalen. Kap. 16, Vers 15-16. Harmagedon für die Gottesfeinde

Wann wird dieser große Tag der Entscheidung kommen? Darüber Auskunft zu erhalten, gelüstete schon die Jünger zu Lebzeiten Jesu. Aber nach dem Vorbild des Meisters will auch Johannes nicht menschliche Neugierde befriedigen. Das Wissen um den Tag könnte den bisher Eifrigen sogar zur Gefahr werden und sie lässig machen. So läßt denn Johannes den Herrn selbst auftreten und ähnlich wie 3,3 sein Wort wiederholen: „Siehe, ich komme wie der Dieb“ (Matth. 24, 42ff; Mark. 13, 33ff; Luk. 12 35ff). Auch Paulus hat dieses wichtige Herrenwort gekannt und ausgenutzt (1. Thess. 5, 2). Jedes Geschlecht muss mit der Möglichkeit der Überraschung rechnen und deshalb wachsam sein. Wer stets gerüstet ist wie einer, der nicht einmal beim Ruhen die Kleider ablegt, um jeden Augenblick den Herrn empfangen zu können, dem gilt die Verheißung: „Selig die Knechte, die der Herr bei seiner Ankunft wachend findet“ (Luk. 12, 37). Die andern dagegen werden nicht einmal mehr Zeit haben, sich anzukleiden. Vor aller Welt sind sie beschämt und im ureigensten Sinn des Wortes „bloß gestellt“. Ein echter Christ muss also stets zu den Wachen zählen, nicht zu den Schläfrigen. Die Mahnung, für das Kleid zu sorgen, erinnert zudem die Gläubigen an das Kleid der Seele, die Gnade Gottes, deren sie keinen Augenblick entbehren dürfen (3, 17f).

Die eingeschaltete Mahnung zur Wachsamkeit paßt also sehr gut in den Zusammenhang und ist kein späteres Einschiebsel. Sie läßt uns in dem prophetischen Seher zugleich den apostolischen Seelsorger erkennen, beweist aber auch, daß Johannes das geschaute erst nach den Visionen, nicht während derselben zum Besten der Gemeinden aufgezeichnet hat. Überdies bleibt durch Vers 15 die bisherige Ordnung gewahrt, wonach zwischen dem sechsten und siebten Glied der Siebener-Reihen eine Unterbrechung eintritt.

Nun fährt der Seher im Bericht über die Ausgießung der Schalen fort. Er tut es in der Zeitform der Vergangenheit, weil die künftige Entwicklung so fest steht wie etwas geschichtlich Vollendetes. Der lateinische Übersetzer hat statt dessen die Form der Zukunft gewählt, und zwar in der Einzahl, als sei es Gott selbst, der die Könige versammelt. Auch manche griechische Textzeugen haben die Einzahl „er versammelte“. In Wirklichkeit dienen ja die Frosch-Dämonen den Absichten Gottes und sind wider Willen dessen Werkzeuge, indem sie die aus allen Reichen der Welt aufgebotenen Truppenmassen bei Harmagedon zusammen ziehen. Johannes gibt keine Deutung zu diesem hebräischen Ortsnamen, wie er früher den Lesern den Namen Abaddon erklärte (9, 11). So bleibt das Geheimnis größer, und das Ereignis ist doch lokal bestimmt.

Harmagedon bedeutet „Gebirge von Magedon“. Magedon ist das alte Megiddon oder Megiddo, heute das Ruinenfeld Tell el-Mutesellim, in der Esdrelon-Ebene an den südöstlichen Ausläufern des Karmel-Gebirges gelegen. Wie bei anderen symbolischen Namen hat die heilige Geschichte Anlass zur Benennung des endgeschichtlichen Kampfplatzes gegeben: Bei Megiddo wurden einst unter Gottes offensichtlichem Beistand die Könige Kanaans vernichtend geschlagen durch Debora und Barak (Richt. 4, 4 ff; 5, 19f). Dort ist später Ochozias tödlich verwundet worden, ebenso Josias (4. Kön. 9, 27; 23, 29f). Megiddo konnte mithin als Typ einer Stätte gelten, an der König besiegt werden und umkommen. In der apokalyptischen Vision ist überdies das Gebirge von Megiddo das Gegenbild zum Gottesberg Sion, dem Standort des Lammes und seiner Streiter (14, 1). Wie einst „an den Wassern von Megiddo“, am „Kison, dem alten Schlachtenbach“, der Herr sein Volk rettete, wobei „die Sterne vom Himmel her mit kämpften, aus ihrer Bahn stritten gegen Sisara“, der „alle seine Wagen, neunhundert eiserne Kampfwagen und sein ganzes Kriegsvolk aufbot gegen Israel“ (Richt. 5, 20; 4, 13), so wird auch die vereinte Streitmacht aller Könige der Welt nichts ausrichten gegen Gott, den Allherrscher, und seine Getreuen.

Der Name Harmagedon besagt also nicht geographisch, der Entscheidungskampf werde dereinst am Fuß des Karmel bei Megiddo ausgetragen werden, vielmehr verbürgt er als Symbol von vornherein den Untergang der Gottesfeinde im Endkampf. Sie werden ein Harmagedon erleben, gegenüber dem der Untergang der Könige Kanaans ein Kinderspiel war. Die prophetischen Schlussworte des Siegesliedes, das Debora nach jener Schlacht sang, werden dann ihre letzt Erfüllung finden:

„So müssen zu Grunde gehen, Herr,
Deine Feinde allzumal.
Doch die ihn lieben,
Sind wie die Sonne,
Wenn sie aufgeht in ihrer Pracht“ (Richt. 5, 31).

Was die „Ernsten Bibelforscher“ und andere adventistische Schwarmgeister von Harmagedon zu sagen wissen, gehört ins Reich der ungezügelten Phantasie und des wilden kommunistischen Klassenhasses. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 234 – S. 236
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