Apokalypse – Die sieben Plagen
Das Ausgiessen der Schalen. Kap. 16, Vers 10-14. Die Verstockten bieten Gott die Stirn
In der Siebenerreihe der Schalen-Visionen tritt die Auflösung in eine Vierer- und eine Dreier-Gruppe weniger hervor als bei den Siegel- und Posaunen-Visionen. Immerhin bleibt auch diesmal das bisherige Formgesetz nicht unbeachtet, weil bei den vier ersten Schalen die Parallele zu den vier ersten Posaunen deutlicher wahrzunehmen ist als bei den drei letzten. Daß sich die vier ersten Plagen gegen die Natur, die drei letzten unmittelbar gegen die Menschen richten, ist im Text nicht ersichtlich. Natur und Menschheit sind zugleich in die Strafurteile und Heimsuchungen einbezogen. Alle sieben Schalen bilden ein letztes Menetekel an die sündigen Menschen. Der Thron des Tieres wird von der fünften Schale getroffen. Gemeint ist damit weder Pergamon noch Rom. In Pergamon steht zwar der Thron Satans (2, 13); aber die Beschränkung auf Pergamon verengt die Blickfeld zu sehr. Nicht einmal Rom und das Römerreich geben einen Rahmen ab, der weit genug wäre. Die geschichtlichen Maße sind in diesen Schalen-Visionen gesprengt, es geht um die Welt und die Menschheit. Wie bei der neunten ägyptischen Plage (2. Mos. 10, 21ff) entsteht eine unheimliche Finsternis. Sie macht die Peinen der Geschwüre, an denen die Gottesfeinde noch leiden, so unerträglich, daß sie sich in wahnsinniger Hilflosigkeit und Wut die Zungen zerbeißen. Die Kraft zum geduldigen, mannhaften Ertragen und Durchhalten, die von den leidenden Christen immer wieder geforderte „hypomonē“, fehlt ihnen. Ihr Zustand wird in Wahrheit ein verbissenes Leiden. Darum erreicht die Plage nicht ihren letzten Zweck, die Bekehrung. Statt sich von ihren gottlosen Werken, der Ursache ihrer Qualen, abzuwenden, bieten die Sünder dem „Gott des Himmels“, dem höchsten Herrn und gerechten Vergelter von Gut und Bös, frech die Stirn und ergehen sich in Lästerungen gegen ihn. Geradezu kindisch mutet dieses Aufbegehren gegen den Allmächtigen an; es fehlt ihm sogar das Tragische des Titanen-Stolzes eines gefesselten Prometheus.
Eingehender als die bisherigen Plagen schildert der Seher die sechste Plage, die den Euphratstrom zum Austrocknen bringt. Von dort sind die vier Dämonen mit dem Zweihundert Millionen Heer gekommen, als der sechste Engel die Posaune blies (9, 13ff). Bildete der breite Strom bisher einen natürlichen Grenzschutz des Mittelmeer-Raumes nach Osten hin, wo man sich das unheimliche Reich des Bösen dachte, so wird nun der Weg nach Westen für die Könige des Ostens frei. Die gefürchteten Einfälle der Parther ins Römerreich mögen das Bild mit veranlaßt haben. Sein Sinn aber ist endgeschichtlich, nicht zeitgeschichtlich.
Wer die treibende Kraft ist und wer die Könige des Ostens, aber nicht nur sie, in den Krieg hetzt, wird nun klar. Die teuflische Trias: der Drache, das Tier (der Antichrist) und der Lügenprophet, tritt wieder auf den Plan, hier zum ersten Mal unmittelbar neben einander genannt. Die drei schaffen sich eine neue Trias von Gehilfen in Gestalt dreier Frösche, die aus ihrem Maul hervor gehen. Ein widerlicher Anblick! Wenn das den Menschen gemein macht, was von innen heraus kommt (Mark. 7, 21), und wenn der Mund von dem überlauft, wovon das Herz voll ist, wie muss es im Innern der teuflischen Dreiheit aussehen, da solche Wesen aus ihr hervor gehen, die im Sumpf geboren werden und im Sumpf leben! Der Frosch und die Kröte galten bei den Persern als Geschöpfe des bösen Gottes Ahriman. Die zweite ägyptische Plage (2. Mos. 8, 1ff) ist hier in der Zahl der Frösche zwar verringert, in ihrer Wirkung aber gewaltig gesteigert. Zugleich ist die Großmauligkeit, Aufgeblasenheit und Verkommenheit der drei Helfershelfer des Teufels in dem Bild trefflich charakterisiert.
Diesen Dämonengeistern in Froschgestalt wird Wunderkraft verliehen wie sie das Tier und der Lügenprophet vom Drachen empfangen haben. Die Wunderzeichen dienen als Haupt-Propagandamittel in der Kriegstreiberei, zu der die drei Dämonengeister ausziehen. Ihre Froschkantaten allein hätten wohl ohne Blendwunder geringen Erfolg gehabt. Sie wenden sich an dieKönige der ganzen Welt, nicht an die Völker, die gewöhnlich sich nicht unmittelbar in den Krieg hetzen lassen, wenn ihre Herrscher ihn nicht wollen. Es gelingt, alle Erdenkönige zu einem Kriegsbündnis zusammen zu bringen. Ein bemerkenswerter Kontrast verdient hierbei unsere Beachtung: Christus sendet in der synoptischen Apokalypse seine Engel aus, um die Seinen aus aller Welt zu sammeln (Mark. 13, 27); der Teufel schickt in der Johannes-Apokalypse Frosch-Dämonen hinaus, um Bundesgenossen zu werben.
Die Verbündeten scheinen ihres Sieges ganz gewiß zu sein. Wie soll die verhältnismäßig kleine Zahl der treu gebliebenen Christen dieser geschlossenen Weltfront des Bösen erfolgreichen Widerstand leisten? Aber geheimnisvoll verheißend klingt die Andeutung, daß die Könige der ganzen Welt sich sammeln „für den großen Tag Gottes, des Allherrschers“. Die Leser wußten aus der Bibel, was dieser große Tag bedeutete (Joel 2, 11; 3, 4; Soph. 1, 14; Jud. 6). Also nicht der Weltbund der Dämonie, durch Teufelshetze zusammen gebracht und durch Gotteshass zusammen gehalten, wird in dem bevor stehenden Entscheidungskampf seinen großen Tag“ feiern, sondern der allmächtige Gott. Das Motiv des 2. Psalms ist hier zur Dominante geworden, wie es eines von den Leitmotiven der ganzen Apokalypse ist. Den ewigen Plan Gottes, das All in Christus zur Einheit zusammen zu fassen (Eph. 1, 10; Kol. 1, 16f), sucht der Teufel von jeher zu durchkreuzen und statt dessen sein antichristliches Weltreich aufzurichten. „daß es zu diesem Zweck einer dämonischen Kraft bedarf, die Stimmung macht, Könige und Staatsmänner beeinflußt und gleichzeitig um die Seelen der Völker wirbt, die die Atmosphäre mit Hass und Verleumdung schwängert, so daß alle vernünftigen und ethischen Erwägungen ausgeschaltet werden, ist eine tiefe Tatsache. Diese Tendenz ist der abgefallenen Menschheit immanent und tritt im Verlauf der Menschheits-Geschichte immer deutlicher hervor“ (W. Hadorn 166). –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 232 – S. 234
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