Apokalypse – Die sieben Plagen

Das Ausgiessen der Schalen. Kap. 16, Vers 17-21. Gottes Zorn hat seinen Höhepunkt erreicht

Das Ausgießen der letzten Schale in die Luft ruft Wirkungen hervor, die der siebten ägyptischen Plage (2. Mos. 9, 13ff) und der siebten Posaunen-Plage (11, 19) gleichen; sie sind aber universaler und fruchtbarer. Es gibt kein Zurück mehr. Die Würfel sind gefallen. Das bestätigt laut und feierlich eine Stimme aus dem Tempel vom Thron her. Die Bilder vom Thronsaal und Tempel des Himmels fließen ineinander. Es wird wohl dieselbe Stimme sein, die den sieben Engeln den Befehl zum Ausgießen der Schalen gegeben hat (16, 1). Gottes Zorn hat seinen Höhepunkt erreicht. Das Wort „Es ist geschehen“ (vgl. 21, 6), stellt einen Abschluss und eine Wende fest wie jener laute Ruf des Erlösers am Kreuz: „Es ist vollbracht!“ Und wie damals die Erde erbebte und die Felsen zerbarsten, so brechen jetzt Naturkatastrophen los, als wollte alles aus den Fugen gehen. Die Schrecken aller Erdbeben, seitdem es Menschen auf Erden gibt, werden in den Schatten gestellt (vgl. Dan. 12, 1). „Blickt er die Erde an, so fängt sie an zu beben; rührt er die Berge an, so stehen sie in Rauch“ (Ps. 104 [103], 32).

Die Schrecken eines Erdbebens sind am schlimmsten in den Städten. Darum berichtet der Seher zunächst die Verheerung in der „großen Stadt“. Damit ist hier nicht wie 11, 8 Jerusalem gemeint, auch nicht Rom, sondern die Hauptstadt des antichristlichen Reiches der Endzeit. Durch Bodensenkungen und Erdrisse verlieren die Straßen den Zusammenhang, und die ganze Stadt klafft in drei teile auseinander. Von den Städten der Heiden bleiben nur Trümmerfelder übrig. Darunter dürften die Städte der Könige aus aller Welt zu verstehen sein, die sich mit dem Antichristen gegen Gott verbündet haben. Am meisten bekommt Babylon, das wohl mit der „großen Stadt“ identisch ist, es zu spüren, daß Gott nur gründlich Abrechnung hält, nachdem er lange dem sündhaften Treiben der frivolen Spötter schweigend zugesehen hat, als kümmere es ihn nicht. Wie einem zum Tode Verurteilten der Giftbecher gereicht wird, so muss jetzt das stolze Babylon den Becher des grimmen Zornweines Gottes bis zur Hefe leeren, nachdem es den Völkern den Becher der sündigen Lust kredenzt hat. Das Nähere darüber berichten die zwei folgenden Kapitel. Aber schon diese kurze Vorschau gibt den Gläubigen eine prophetische Antwort auf die quälende Frage nach der Vergeltung von Gut und Bös. Nur wenn das Endgericht als letzte Phase alles Geschehens auf der sündigen Erde einbezogen wird, gilt der Satz: „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.“

Als wollte der Schöpfer den Bauplatz einebnen, ehe er den neuen Himmel und die neue Erde baut (21, 1), so räumt das Erdbeben mit allem auf, was empor ragt, mit den Inseln im Meer und mit den Bergen auf dem Festland. Kein entlegener Zufluchtsort und kein unzugänglicher Schlupfwinkel bleibt den Sündern, wo sie sich vor dem Angesicht des zürnenden Gottes und des Lammes verbergen könnten (Ps. 139 [138], 7ff; Offb. 6, 16f).

Doch die Hilflosigkeit der Menschen wird noch größer. Ein Hagel geht nieder mit Schloßen (= große Hagelkörner) von Zentnergewicht, wörtlich: „so schwer wie ein Talent“. Das attische Talent wog 36,4 Kilogramm, das äginetische 43,7 Kilogramm. Nach römischem Maß entsprachen 125 Pfund einem Talent. Als schätzungsweise Angabe entspricht der Ausdruck also etwa einem Zentner. Als schätzungsweise Angabe entspricht der Ausdruck also etwa einem Zentner. Wie sich die Menschen auf der eingeebneten Erde vor diesem Trommelfeuer zu schützen vermögen, läßt die knappe Schilderung unerwähnt. Es geht dem Seher um die moralische Wirkung. Die Menschen wissen, woher die Hagelplage kommt. Aber obwohl sie „über die Maßen groß ist“, ist die menschliche Bosheit noch größer: Die Sünder bekehren sich auch jetzt noch nicht; sie lästern vielmehr Gott und trotzen ihm ins Angesicht, machen ihm Vorwürfe., daß er eine so fürchterliche Plage über sie verhängt. Nicht einmal in den Schrecken einer Naturkatastrophe läßt der Verstockte von der Sünde ab. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 236 – S. 237
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