Katholische Dogmatik
Die erste Pflicht des Hirten an Christi Statt
Was Christus bei Cäsarea Philippi dem Petrus verheißen, hat der Auferstandene nach jenem wunderbaren Fischfang und jenem geheimnisvollen Mahl am See Genesareth vollzogen, indem er in der feierlichsten und förmlichsten Weise Petrus, nach dem dreimaligen Bekenntnis seiner Liebe, an seiner Statt zum Hirten seiner ganzen Kirche einsetzte. In dieser Tatsache, mit welcher Johannes sein und das ganze Evangelium beschließt (1), ist Alles von sonnenklarer Evidenz. Christus ist nach der Vorherverkündigung der Propheten (2) und seiner eigenen Erklärung der Hirte seiner Herde (3), d. h. das Haupt seiner Kirche. Es ist nur Ein Hirte und Eine Herde, der Alle einverleibt werden sollen. Dieser Eine und große (4) Hirte und Bischof unserer Seelen (5), der Fürst der Hirten, der Erzhirte (6) Christus, setzt den Simon Petrus und ihn allein, im Unterschied von allen anderen Aposteln (7), einfach und schlechthin zum Hirten seiner ganzen Herde ein, indem er ihm in dreimaliger feierlicher Wiederholung aufträgt und befiehlt, seine Lämmer und Schafe zu weiden. Es kommt nichts darauf an, ob man mit nicht wenigen heiligen Vätern, die Lämmer von den einfachen Gläubigen, die Schafe von den Priestern und Bischöfen auslegt, oder ob man Lämmer und Schafe gleichbedeutend nimmt: denn immer steht fest, daß Alle, die zur Herde Christi gehören, d. h. jede Seele (8), die mit seinem Blut erkauft und in seine Kirche durch die Taufe aufgenommen ist, Petrus als ihrem Hirten an Christi Statt (9) unterstellt ist. Wohl sind auch die übrigen Apostel und sind die Bischöfe bezüglich ihrer Diözesen (10), ja sind Alle, denen irgend eine Seelsorge anvertraut ist, Hirten, aber nur in Unterordnung unter den Einen Hirten, dem die ganze Kirche und sie selbst vom Heiland anvertraut sind.
Die erste und wesentlichste Pflicht des Hirten an Christi Statt ist es aber, die Gläubigen auf die Weide der gesunden Lehre zu führen und von den giftigen Pflanzungen der Irrlehren ferne zu halten.
Es heißt daher das Wesen des Christentums und der Kirche gänzlich verkennen, wenn man mit den Febronianern das höchste Hirtenamt Petri auf ein Verwaltungs- und Oberaufsichtsrecht beschränkt und diesem höchsten Hirten nicht das Recht zugesteht, bindende und definitive Glaubens-Entscheidungen zu geben. Nicht minder steht es mit den klaren und kategorischen Worten Christi in vollem Widerspruch, wenn man mit den Gallikanern annehmen wollte, daß dieser Eine und höchste Hirte seine Herde durch irrige Glaubens-Entscheidungen auf die vergifteten Weiden der Häresie führen könne und daß er dann von seiner Herde, insbesondere von den Bischöfen, auf den rechten Weg zurück geführt werden müsse; da doch Christus den Petrus zum Einen und höchsten Hirten seiner ganzen Herde eingesetzt, Alle zum Gehorsam gegen ihn verpflichtet und gerade die Folgsamkeit gegen die Stimme des Einen Hirten zum Merkmal gemacht hat, woran man die Seinigen erkennt.
Anmerkungen:
(1) Wer in der heiligen Schrift nicht zufälliges Menschenwerk, sondern das Werk des heiligen Geistes erblickt, wird gewiß die Bedeutung des Umstandes nicht verkennen, daß das ganze Evangelium mit der Einsetzung Petri zum Stellvertreter des guten Hirten abschließt. Daran reiht sich dann die Apostelgeschichte, welche vorzugsweise das Wirken des Apostelfürsten und seines großen Gehilfen Paulus schildert und in Rom schließt. Was kann auch charakteristischer sein, als daß Johannes, wie er zur Ergänzung der Synoptiker der ewigen Geburt des Logos den Prolog, dem Geheimnis der Wiedergeburt aus dem Wasser und heiligen Geist das 3. Kap., der Eucharistie das 6., dieses letzte Kapitel ganz dem Geheimnis des Primates Petri weiht? Auf jenen drei Zentralgeheimnissen des Glaubens beruht das ganze innere Leben, auf diesem der ganze äußere Bestand der Kirche und ihres Glaubens. Johannes ist es auch, der die Passionsgeschichte durch die Einsetzung der schmerzhaften Mutter Jesu zu unserer Mutter ergänzt hat. Auch alle Umstände des großen Ereignisses am See Genesareth sind von tiefster Bedeutung. Es wiederholen sich zuvor die großen Typen der Kirche und ihres Oberhauptes, ihres Lebens und ihrer Geschichte: das mühselige und scheinbar vergebliche Arbeiten in der Nacht, der reiche Fischzug auf Christi Wort am Morgen, das Hineilen Petri zu Jesus durch die Fluten und das Folgen der Anderen, das die Eucharistie sinnbildende Mahl.
(2) Is. 40, 11; Ezech. 34, 23. 37; 24. Ps. 23 etc.
(3) Joh. 10, 30. Auch das ist charakteristisch, daß Johannes, der am Schluß seines Evangeliums die Einsetzung des Stellvertreters des guten Hirten schildert, allein unter den Evangelisten diesen Lehrvortrag Christi vom guten Hirten und so ausführlich mitteilt.
(4) Hebr. 13, 20.
(5) 1. Petr. 2, 25.
(6) 1. Petr. 5, 4.
(7) Wie Matth. 16, 18, auch Luk. 22, 32 und überall mehr oder weniger in der heiligen Schrift, wird besonders Joh. 21 der ausschließliche Vorrang Petri in der nachdrücklichsten Weise hervor gehoben. Alles, was hier Christus zu ihm sagt, kann nur auf ihn, nicht auch auf die anderen anwesenden oder abwesenden Apostel bezogen werden.
(8) vgl. 1. Petr. 1, 25
(9) Dieses ist denn auch nach dem Zeugnis der Väter eine offenkundige katholische Lehre.
(10) 1. Petr. 5, 2 cf. Act. 20, 28.
aus: J. B. Heinrich, Dogmatische Theologie, Bd. 2, 1876, S. 286-289