Die Visionen der Anna Katharina Emmerich
Deutsche Kirchenzustände zur Zeit
von Anna Katharina Emmerich
Im Herbst 1822 war Anna Katharina anhaltend mit den deutschen Kirchenzuständen beschäftigt. Sie hatte jede Nacht auf die mühseligste Weise nach Rom zu reisen. Bald musste sie die Gefahren eines Kuriers bestehen, dem Räuber und Mörder nachstellen, um seiner Brieftaschen sich zu bemächtigen; bald fand sie am Wege Kranke und Aussätzige, die Pflege verlangten und die schmutzigen Bündel ihr aufluden; bald hatte sie bei Bräuten Einkehr zu nehmen und sie gegen falsche Bräutigame zu schützen, d. h. unrechtmäßiger und schlechter Besitzergreifung bischöflicher Stühle in Weg zu treten. Diese Reisen waren mit den größten körperlichen Leiden verbunden, so daß sie nur Weniges daraus erzählen im Stande war. Aus dem folgenden Bild geht jedoch sehr deutlich hervor, daß dieselben durch die Verhältnisse in der oberrheinischen Kirchenprovinz veranlaßt waren, da gerade zu jener Zeit der hl. Stuhl überlistet werden sollte, in die Besetzung der bischöflichen Stuhle mit völliger Verzichtung auf die Rechte der Kirche einzuwilligen und Männer als Hirten anzuerkennen, welche im voraus gegen ihre Gönner die förmliche Verpflichtung eingegangen hatten, Glaube, Recht und Ordnung der Kirche als eine beseitigte Sache zu behandeln. Sie muss gegen diese Anschläge wirken als ein Werkzeug der Sühnung, das von Gott dem Geheimnis der Bosheit entgegen gestellt ist.
„Ich war“, erzählte sie am 22. Oktober 1822, „auf der Reise nach Rom und hatte Vieles mit einem wunderlichen Kind zu tun, das ich auf dem Wege an einer Heide fand. Das Kind schien nur einen Tag alt und lag in der Mitte einer dunklen Kugel, wie von Nebel; sie bestand aber aus tausend verflochtenen Fäden von den verschiedensten Gegenden her. Ich musste das Gewebe durchbrechen, um das Kind heraus zu kriegen und aufzunehmen. Es war mit einem schönen Mäntelchen mit großem ausgezackten Kragen sehr fest bekleidet; ich fühlte auf dem Rücken unter dem Mantel etwas versteckt, wie ein kleines Buch, und bemühte mich vergebens, es heraus zu kriegen; ich fühlte, es sei nichts Gutes. Das eintägige Kind lachte schon. Ich erschrak und wußte mir das Lachen nicht zu erklären. Ich habe die Bedeutung erfahren: die Urheber zweifelten nicht, daß es ihnen gelingen sollte. Sie hatten das saubere Kind so vermummt, um es heimlich nach Rom zu bringen. Ich weiß nicht mehr, wem ich das Kind übergeben musste; aber ich meine, es war ein Weltlicher. Ich sah auch mir bekannte Leute, welche sich sehr freuten, daß ich das Kind erwischt hatte; denn es seien in Rom Viele von unkatholischer Gesinnung, welche dafür wirkten, selbst unter den Prälaten. Ich sah aber, wie sich in Deutschland unter den weltklugen Geistlichen und unter aufgeklärten Protestanten ein Wunsch, ein Plan gebildet hat von Verschmelzung der Religionen, von Aufhebung der päpstlichen Gewalt, von mehreren Oberhäuptern, von Ersparung vieler Unkosten und Verminderung der Geistlichen, und daß selbst in Rom dieser Plan unter Prälaten Gönner habe. (Ich habe oft gesehen, daß C. C. nicht taugt, daß er Vieles verdirbt und seinen Vater haßt; aber er ist zu tief in den Geschäften und kann nicht fortgeschickt werden. Er ist auch von der geheimen Sekte ganz gefangen.) Es ist dies eine sehr verbreitete Gesellschaft. Sie arbeitet schneller, aber noch flacher als die Freimaurer.“
Das Kind in der Kugel, in der Sphäre von Nebel ist der von Vielen gesponnen, mit schönen Redensarten ausstaffierte und bemäntelte Plan zur Unterdrückung des katholischen Glaubens; Nebel ist das Bild von Verheimlichung und Täuschung. Das Lachen des Kindes bedeutet das vorschnelle Frohlocken seiner (den Tafelfreuden ergebenen) Erzeuger, den Papst nun doch trotz Deklarationen und Breven hinter`s Licht geführt zu haben. Das bemäntelte Buch auf dem Rücken des Kindes, das Anna Katharina nicht loskriegen kann, bedeutet die nach Rom zu Gunsten des Planes gesandten Schriftstücke, welche ihren Weg zwar gehen, aber nicht verhüten können, daß der Plan durchschaut und Gegenwirkung gegen ihn angeregt wird. Sie sah darum auch noch, daß Beschlüsse alter Konzilien hervor gesucht wurden, und es wurde ihr Papst Gelasius in seinem Wirken gegen die geheimen Gräueltaten und Zaubereien der Manichäer und diese als ein Ebenbild der neuen Illuminaten-Sekte (**) gezeigt. Die Absicht, das Oberhaupt der katholischen Kirche und seine Gewalt zu vernichten, bestand in Wirklichkeit, wie sich dessen das tätigste und einflußreichste Mitglied der Sekte, der Kirchenrat Werkmeister, mit zynischer Frechheit laut gerühmt hat. Dieser einstiger Mönch in Neresheim und spätere Kirchenrat in Stuttgart nahm öffentlich das Verdienst für sich in Anspruch, durch seine Pamphlete gezeigt zu haben, „wie das Papsttum mit allen seinen Wurzeln ausgerissen werden könne und müsse.“ Und gerade jene Schrift, in welcher er die sichtbarsten Wege und wirksamsten Maßregeln zu Erreichung dieses Zieles den weltlichen Regierungen in Vorschlag brachte (*), wurde Punkt für Punkt in die Beschlüsse der oben berührten Frankfurter Ratsversammlung aufgenommen. Während die Gönner und Förderer des Planes im Besitz aller Mittel waren, um nicht bloß jeden Widerstand zu beseitigen, sondern auch um täglich neue Werkzeuge und Mithelfer zu gewinnen, und während sie selbst in Rom sich die Wege geebnet zu haben wähnten, um der befürchteten Verdammung ihrer Maßregeln von Seiten des heiligen Vaters zuvor zu kommen, waren es die Gebete und Leiden der Dulderin in Dülmen, welche das Werk der Zerstörung in seinem Lauf hemmten. Sie trat den Feinden Gottes so mutig entgegen und bestürmte Gott mit solchem Flehen, daß sie kurz darauf erzählen konnte:
„Gott hat gefügt, daß der Papst jetzt krank ist; dadurch ist er einer Schlinge ausgewichen. Der Feind hatte lange vorgearbeitet, aber er wird es nicht erreichen. Der Plan ist entdeckt…
…Dabei erhielt ich von meinem Führer wiederum die Mahnung, zu beten und Alle, wie ich könnte, zum Beten aufzufordern für die Sünder und besonders für verirrte Priester. Es stehe, sagte er, eine sehr böse Zeit bevor. Die Nichtkatholiken werden so viele verlocken und der Kirche Alles auf jede Weise zu entziehen suchen. Es wird eine große Verwirrung entstehen.“
(*) Entwurf einer neuen Verfassung der deutschen katholischen Kirche in dem deutschen Staatenbund. Gedruckt im deutschen Vaterland 1816. –
aus: K. E. Schmöger CSsR, Das Leben der gottseligen Anna Katharina Emmerich, Zweiter Band, 1873, S. 323 – S. 327
(**) Im Jahre 1776 wurde an der Universität zu Ingolstadt von Professor Weishaupt, einem sittenlosen Menschen, der Orden der Illuminaten (der Aufgeklärten) gestiftet. Es war dies eine förmliche, wohl organisierte Verschwörung gegen das Christentum und die auf dasselbe sich stützende weltliche Macht, die jedoch nur den Eingeweihten der höchsten Stufe bekannt wurde. „Alle Religion ist Betrug, alle Fürsten sind Usurpatoren, jeder Hausvater aber ist souverän und die Vernunft das alleinige Gesetzbuch des Menschen2; dies war ihr höchster Grundsatz. Der Plan wurde zwar entdeckt, und Weishaupt 1786 aus Bayern vertrieben; aber er fand in Gotha bei dem Herzog Ernst günstige Aufnahme. Sein gottloser Bund, welcher schon vorher eine sehr weite Verbreitung besonders im protestantischen Deutschland gefunden hatte, wirkte in Verbindung mit dem deutschen Freimaurer-Orden noch lange im geheimen fort. Seine Bestrebungen wurden besonders befördert durch die „Deutsche Bibliothek“, von Nikolai in Berlin herausgegeben, ein wahres Arsenal der Hölle, wie Kardinal Pacca sie nannte. Dieselbe hatte sich zur Aufgabe gemacht, alles, was zur Herabsetzung und Verhöhnung des Christentums getan und geschrieben wurde, zu beloben und zu empfehlen, hingegen alles, was nur halblaut für dasselbe gesprochen wurde, sofort als Zeichen von Wahnsinn und Dummheit zu brandmarken. –
Quelle: Joseph Deharbe SJ, Religionsgeschichte, 1907, S. 402 – S. 403