Apokalypse – Die sieben Plagen
Vorbereitung der Plagen. Kap. 15, Vers 1; 6-8. Das Maß der göttlichen Langmut ist voll
Was den Treuen und den Abtrünnigen bevorsteht, hat die doppelte Erntevision aufgezeigt. Solange aber noch Menschen auf Erden leben, sucht der barmherzige Gott sie immer wieder in der Absicht heim, sie zu bekehren, ehe es zu spät ist. So sendet er nun, bevor er als Richter erscheint, neue Zuchtmittel, Plagen genannt, sieben an der Zahl. Sieben Engel führen sie im Dienst Gottes herbei. Neben den sieben Siegeln und sieben Posaunen bilden sie die dritte große Siebenheit des prophetischen Teils der Apokalypse. Sie sind so gewaltig, daß der Seher diese Engel mit den sieben Plagen als „Anderes Zeichen am Himmel“ schaut (vgl. 12, 1ff). Er nennt es groß und wunderbar; die Naturgesetze reichen zur Erklärung nicht aus. Sogar seine Wundermacht stellt der gerechte, aber immer noch zum Verzeihen bereite Gott in den Dienst der Bekehrung der Sünder. Lassen sie jedoch auch diese Gnade unbenutzt, so wird ihnen keine weitere mehr angeboten; das Maß der göttlichen Langmut ist dann voll. Es sind die letzten Plagen; Gottes Zorn zieht den Schlussstrich im Endgericht. Wie sehr die Bewohner der Erde bisher schon schuldig geworden sind, haben die Visionen der Kapitel 11-14 dargetan. In der letzten Siebenergruppe von Heimsuchungen wird Gottes Zorn seinen Höhepunkt erreichen. Er „wurde vollendet“, heißt es in der Zeitform prophetischer Schau. Darum sind die Schrecken der Plagen gesteigert. Den Erfolg oder Misserfolg berichtet der Seher später (16, 9 u. 11 u. 21).
Der Seher durfte schon einmal in den offen stehenden Tempel des Himmels schauen (11, 19). Jetzt sieht er, wie der Tempel sich auftut und wie sieben Engel heraus treten. Der Herr hat sie zu Vollstreckern der kommenden sieben Plagen erwählt. Darum darf es jetzt schon heißen: „die die sieben Plagen hatten“, obgleich ihnen die Schalen nachher erst überreicht werden. Die Herkunft der Plagen wird dadurch kräftig betont. Im heiligen Zelt des Himmels gibt es keine Schergen; nur Priester dürfend darin walten. So erscheinen denn auch die mit dem Strafvollzug beauftragten Engel im priesterlichen Linnenkleid; die Gürtel aber sind golden und um die Brustgelegt, wie Könige den Gürtel tragen (1, 13).
Als die sieben Engel die sieben Posaunen erhielten, wurde nicht gesagt, wer sie ihnen reichte (8, 2). Jetzt ist es eines von den vier Wesen, also von den höchsten Thronassistenten Gottes (4, 6), das jedem Engel eine goldene Schale aushändigt. Das Bild vom Becher des Zornweines Gottes (14, 10) verbindet sich mit dem der Opferschale (8, 5). Darum sind es goldene Schalen, der himmlischen Herrlichkeit entsprechend. Randvoll sind sie mit dem Zorn Gottes gefüllt; denn in diesen Plagen wurde dieser Zorn vollendet (15, 1). Lange hat der Herr scheinbar untätig zugesehen. Als der Ewige konnte er abwarten (Ps. 14 (13), 2), bis das Maß der Frevler voll war. Er überlebt alle seine Feinde. Nun aber sollen sie erfahren, daß es „schrecklich ist, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ (Hebr. 10, 31).
Dieser „Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (Hebr. 12, 29). Als er im Feuer auf den Sinai herab stieg, wurde der Berg ganz in Rauch gehüllt, und das Volk durfte sich ihm nicht nahen. Es blieb in der Ferne stehen, während Moses an das dunkle Gewölk heran trat, in dem Gott war (2. Mos. 19, 18ff); 20, 21). Als aber das Bundeszelt fertig gestellt war, konnte nicht einmal Moses hinein gehen; „denn die Wolke hatte sich darauf nieder gelassen, und die Herrlichkeit des Herrn erfüllte die Wohnstätte“ (2. Mos. 40, 34f).Ähnlich wiederholte sich bei der Einweihung des Salomonischen Tempels (3. Kön. 8, 10f). Auch den himmlischen Tempel sah Isaias mit Rauch gefüllt (Is. 6, 4). Wenn beim feierlichen Gottesdienst der ganze Altar in Weihrauch-Wolken gehüllt wird, so soll das ebenfalls die Ehrfurcht vor der unnahbaren und unsichtbaren göttlichen Majestät erhöhen. Aus diesen biblischen Parallelen ergibt sich der Sinn des geheimnisvollen Vorgangs nach der Überreichung der Schalen an die sieben Engel: Solange die sieben Posaunen dauern, ist Gott unzugänglich, niemand darf vor sein Angesicht treten, bis sein Zorn vorüber ist. In das mit diesen Plagen eingeleitete Gerichtsverfahren duldet der Richter keinen Eingriff mehr, auch nicht zur Versöhnung. Hat die Sünde jenen Grad der Bosheit erreicht, daß sie „Sünde zum Tode“ ist, dann ist sogar das fürsprechende Gebet für die Glaubens-Verleugner und Gotteshasser umsonst (1. Joh. 5, 16f). Die Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf (vgl. Jer. 14, 11-12; 15, 1-4). –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 224; S. 227 – S. 228
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