Apokalypse – Beginn des gerichtes
Beginn des Gerichtes. Kap. 14, Vers 14-16. Das Gericht als Doppelernte
Die Vision 14, 14-20 ist ähnlich wie jene vom Fall Babylons (14, 8) und von den Höllenqualen der Verdammten (14, 9-11) eine dem geschichtlichen Ablauf der Dinge voraus eilende Schau auf das Ende hin. Später kommt der Seher darauf zurück (19, 17ff; 20, 7ff). Die geduldige Ausdauer der Heiligen, ihre Beobachtung der Gebote Gottes und ihr Beharren im Glauben an Jesus (14, 12) will Johannes erleichtern, indem er den Schleier der Zukunft ein wenig lüftet und den Blick aufs Ende frei gibt. So erfüllt sich in prophetischer Tröstung der Wunsch der Bedrückten und Verfolgten: Wenn man nur wüßte, wie alles ausgeht, wäre es weniger schwer, durchzuhalten. Die Bilder sind in der Linienführung klar wie Holzschnitte. Die Sprache ist voll Einfachheit und Wucht. Die johanneische Färbung ist unverkennbar. Eine fremde Quelle kommt nicht in Betracht.
Drei Engel haben soeben ihre Botschaft über das Gericht vom Zenit herab verkündet, drei weitere folgen gleich (14, 15-20). Dazwischen erscheint als beherrschender Mittelpunkt „einer gleich einem Menschensohn“. Sein Thron ist eine leuchtend weiße Wolke. So hat Daniel den Messias voraus gesagt (7, 13). So hat auch Christus sein Kommen zum Gericht vorher gesagt (Mark. 13, 26; 14, 62) und den Jüngern bei der Himmelfahrt es in Erinnerung rufen lassen (Apg. 1, 9 u. 11). Es besteht darum kein berechtigter Zweifel, daß der auf der Wolke Thronende Christus ist. Die goldene Krone oder der goldene Kranz ist das Zeichen seiner Königsmacht. Die scharfe Sichel in seiner Hand weist auf das Gericht hin. Noch hat es nicht begonnen; aber es naht, denn der Richter wird erst sichtbar für den Seher, noch nicht alle für alle Menschen. Das Gericht spielt sich in der Vision als Doppelernte ab, als Weizenernte und als Traubenlese, ähnlich wie bei Joel (14, 13). Der Vorläufer hatte schon den Messias mit der Wurfschaufel in der Hand als Richter dargestellt, ein Bild der abschließenden Weizenernte (Matth. 3, 12).
Es könnte auffallen, daß der Menschensohn nicht aus eigener Initiative zu ernten beginnt; aber gerade dieser Zug verrät, wie Johannes im Geist der Lehre Jesu schreibt. Oft hat Christus erklärt, er handle nicht nach eigenem Ermessen; vielmehr sei der Wille des Vaters für sein Tun und Lassen maßgebend (Matth. 26, 45; Joh. 2, 4; 5,19 u. 30; 6, 38; 7, 30; 8, 20; 12, 31; 13, 1; 17, 1). Auch den Zeitpunkt des Gerichts bestimmt der Vater, nicht der Sohn (Matth. 24, 36; Apg. 1, 7). So wartet denn auch hier Christus, auf der Wolke thronend, den Befehl des Vaters ab. Er wird ihm durch einen Engel erteilt, der aus dem Tempel kommt, wo Gott zugegen ist (7, 15; 11, 19). Das widerspricht nicht der Erklärung zu 6, 1-2; dort ist die Situation ganz verschieden. Als Zeichen des Erntebeginns soll der Menschensohn „die Sichel aussenden“. Das gleiche Bild findet sich öfter (Joel 4, 13; Is. 17, 5; Mark. 4, 29) Wo die Dreifelder-Wirtschaft noch besteht, darf bis zur Gegenwart, darf bis zur Gegenwart das Mähen des Getreides erst beginnen, wenn das Betreten der Felder frei gegeben wird. Keiner darf nach Belieben mit der Ernte beginnen. Noch strenger ist es mit der „Öffnung“ der Weinberge zur Lese. Während die Trauben ausreifen, ist „der Wingert geschlossen“. Auch der Besitzer darf ihn nicht betreten, es sei denn, daß er an keinen andern grenzt. Überreif, wörtlich: „vertrocknet“, wird die Ernte der Erde genannt. Kein Leben ist mehr in den dürren Halmen, die Körner sind voll entwickelt, das Schneiden duldet keinen Aufschub mehr.
Der Thronende steigt nicht selbst zur Erntearbeit auf die Erde hinab. Er wirft nur seine Sichel als Signal hinunter. Wer erntet, das wird nicht mitgeteilt, ist aber im Gleichnis vom Lolch unter dem Weizen gesagt: „Die Ernte ist die Vollendung der Zeit, die Schnitter sind Engel“ (Matth. 13, 39). In der Knappheit der Darstellung erhöht sich die Wirkung der Vision. Von einer Vernichtung des geschnittenen Weizens ist keine Rede. Unkraut erwähnt das apokalyptische Erntebild gar nicht. Im Gegensatz zur folgenden Traubenlese geht es um das Schicksal der Guten; sie werden heim geholt in die himmlischen Scheunen. Gottes Engel „werden seine Auserwählten sammeln von den vier Winden her, von einem Ende des Himmels bis zum andern Ende hin“ (Matth. 24, 31) So wird „die Erde abgeerntet“. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 220 – S. 222
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