Apokalypse – Beginn des gerichtes
Beginn des Gerichtes. Kap. 14, Vers 17-20. Der Tag des Zornes ist angebrochen
Das zweite Gerichtsbild ist keine bloße Wiederholung des ersten. Dafür sind die Unterschiede zu groß. Wieder tritt ein Engel aus dem Tempel heraus. Auch er trägt wie vorhin der Menschensohn eine scharfe Sichel; es ist das einer Sichel ähnliche krumme Winzermesser, wie es bei der Lese gebraucht wird. Auch an ihn ergeht durch einen andern Engel der Befehl, die scharfe Sichel auszusenden und Ernte zu halten. Dennoch ist er dem Menschensohn an Rang nicht ebenbürtig, wie aus dem Verlauf der Ernte erhellt. Die Herkunft des Befehls ist genauer vermerkt, wie überhaupt das Bild der zweiten Gerichtsszene mehr Einzelheiten aufweist. Der befehlende Engel hat Macht über das Feuer wie ein später genannter über das Wasser (16, 5) und früher erschienene über den Wind (7, 1). Am Opferaltar ist sein Platz. Unter diesem Altar haben die Märtyrerseelen um das Gericht über ihre Verfolger gefleht (6, 9f). Von dort sind die Gebete der auf Erden leidenden Christen zu Gott empor gestiegen (8, 3 u. 5). Auch das Zeichen zum Loslassen der vier Engel und ihrer Reiterscharen kam von diesem Altar (9, 13).
Dem Befehl des Feuerengels gehorchend, wirft der Engel seine scharfe Sichel auf die Erde hinab. Aber anders als der Menschensohn, hält er auch selber die Ernte. Der Weinstock scheint die ganze Erde zu bedecken, wenn der Zusatz „der Erde“ nicht gleichbedeutend ist mit „irdisch“. Dadurch unterscheidet er sich vom „wahrhaftigen Weinstock“, wie Israel im Alten Testament genannt wird (Jer. 2, 21; vgl. Ez. 15, 1ff; 19, 10ff; Os. 10, 1; Ps. 80 [79], 9ff). Und wie der Ehrentitel „Volk Gottes“ auf die Kirche übergegangen ist, so hat Christus auch sich und die in innigster Lebensgemeinschaft mit ihm stehenden Gläubigen als den „wahrhaftigen Weinstock“ bezeichnet (Joh. 15, 1ff). Der „Weinstock der Erde“ (siehe den Beitrag: Gabenbereitung statt Opferung) dagegen ist die Anhängerschaft des Tieres auf Erden. Seine Beeren sind nun reif. Gott hat ebenso wie beim Weizen die Entwicklung zum Ende gelangen und alles „wachsen lassen bis zur Ernte“ (Matth. 13, 30) Mit all ihrem Wüten konnten die Verfolger das Ausreifen des Guten nicht verhindern, aber auch nicht ihr eigenes Reifwerden für das Gericht verzögern. Im Himmel wird die Stunde der Ernte bestimmt. Alle abgeschnittenen Trauben wirft der Ernteengel in die große Zornkelter Gottes (Is. 63, 2f; Klagel. 1, 15; Joel 4, 13; Offb. 19, 15).
Die Kelteranlage befand sich damals meist im Weinberg selbst, ähnlich wie die Tenne auf dem Feld (Is. 5, 2; Matth. 21, 33). Zuweilen wurde sogar die Kelter auch zum Reinigen des Weizens benutzt (Richt. 6, 11). Im Felsboden war eine „obere Kelter“, eine Grube, durch eine Rinne mit einer tiefer gelegenen „unteren Kelter“ verbunden., Die Trauben wurden in die obere Grube geschüttet und mit den Füßen darin zertreten. Der Most floss dann durch die Rinne in die untere Grube, wo er in Schläuche gefüllt und heim geschafft wurde. Die Kelter hieß auch einfach „Tretplatz“. Bei Isaias(63, 2f) ist es der Messias selbst, der in seinem Grimm die Kelter tritt, ebenso Offb. 19, 15. Christus als Keltertreter ist eine beliebte symbolische Gestalt der christlichen Kunst. Die Vorstellung vom Richter ist darin mit der vom Erlöser verbunden.
Nun geht das Bild von der Kelter ins Bild des Kampfplatzes über. Das Traubenblut wird Sinnbild des strömenden Menschenblutes (5. Mos. 32, 41ff; Is. 34, 3 u. 6f; Offb. 17, 6). Außerhalb der Stadt spielt sich das treten der Kelter als grauenvolles Blutbad unter den Gottesfeinden ab. Das Heiligtum auf dem Sion innerhalb der Stadt Jerusalem ist ja das Heerlager des Lammes und der Seinen (14, 1), weil es die symbolische Stätte der Kirche ist (11, 1f). Vor den Mauern, im Tal Josaphat (Joel 4, 12) und auf dem Ölberg (Zach. 14, 3f), am Fuß des Sion (4 Esdr. 13, 35), werden die Frevler gerichtet und nieder gemacht. Ihr Übermut im Hinschlachten der Märtyrer (6, 10; 11, 8; 16, 6; 17, 6; 18, 24; 19, 2) findet nun seine Vergeltung. Ein Blutstrom so tief, daß er den Pferden bis an die Zügel reicht, ergießt sich 1600 Stadien, mehr als 300 Kilometer weit über die sündige Erde. Das Henochbuch kennt ebenfalls dieses Bild des Grauens vom Endgericht (100, 1ff). Wohl aus 40 x 40 oder 4 x 4 x 100 entstanden, sind die 1600 Stadien Symbol des Unübersehbaren. Keiner von den Tieranbetern und Christusgegnern entgeht dem Gericht. Der „Tag des Zorns“ ist angebrochen. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 222 – S. 223
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