Die geheime Offenbarung des hl. Johannes – Kap. 11, 1-19
Zwei Zeugen und der Sieg des Christentums
Messung des Tempels. Die zwei Zeugen; das Tier tötet sie, aber sie stehen wieder auf. Das zweite Weh. Der siebente Engel posaunt. Sieg des Christentums.
1. Und es ward mir ein Rohr gegeben gleich einem Maßstab, und es ward mir gesagt (1): Steh auf, und miß den Tempel Gottes, und den Altar und die, so darin anbeten (2):
2. aber den Vorhof, der außer dem Tempel ist, wird hinaus, und miß ihn nicht: denn er ist den Heiden gegeben, und die heilige Stadt werden sie zertreten zwei und vierzig Monate. (3)
3. Und ich werde meinen zwei Zeugen geben (4), daß sie weissagen (5) tausend zweihundert sechzig Tage (6), angetan mit Säcken. (7)
4. Diese sind die zwei Ölbäume und die zwei Leuchter, die vor dem Herrn der Erde stehen. (8)
5. Und wenn Jemand sie beschädigen will, so wird Feuer aus ihrem Munde gehen, und ihre Feinde verzehren: und wenn Jemand sie verletzen will, so muss er gleichfalls getötet werden. (9)
6. Diese haben die Macht, den Himmel zu schließen, daß es nicht regne die Tage ihrer Weissagung, und haben Macht über die Wasser, sie in Blut zu verwandeln, und die Erde zu schlagen mit jeder Plage, so oft sie wollen. (10)
7. Und wenn sie ihr Zeugnis vollendet haben, wird das Tier, das aus dem Abgrund herauf steigt, mit ihnen Krieg führen, und sie überwinden und sie töten. (11)
8. Und ihre Leichname werden liegen bleiben auf den Gassen der großen Stadt, die da geistlicher Weise Sodoma und Ägypten genannt wird (12), wo auch ihr Herr gekreuzigt worden ist:
9. und Einige von den Stämmen und Völkern und Sprachen und Nationen werden ihre Leichname sehen drei und einen halben Tag, und sie werden ihre Leichname in kein Grab legen lassen. (13)
10. Und die Bewohner der Erde werden sich erfreuen über sie und frohlocken, und werden sich einander Geschenke senden (14), weil diese zwei Propheten die Bewohner der Erde gequält haben.
11. Aber nach drei und einem halben Tage (15) fuhr der Geist des Lebens von Gott in sie, und sie standen auf ihren Füßen, und eine große Furcht überfiel die, welche sie sahen.
12. Und sie hörten eine starke Stimme vom Himmel, die zu ihnen sagte: Steiget herauf! Und sie stiegen gen Himmel in einer Wolke, und es sahen sie ihre Feinde. (16)
13. Und in derselben Stunde ward ein großes Erdbeben, und der zehnte Teil der Stadt fiel, und im Erdbeben kamen um sieben tausend Namen der Menschen: die übrigen aber erschraken, und gaben Ehre dem Gott des Himmels. (17)
14. Das zweite Weh ist vorüber, und siehe, das dritte Weh kommt schnell. (18)
15. Und der siebente Engel posaunte (19), und es ertönten starke Stimmen im Himmel, die da sprachen: Das Reich dieser Welt ist unsers Herrn und seines Gesalbten geworden, und er wird herrschen in alle Ewigkeit. Amen.
16. Un die vierundzwanzig Ältesten, die vor dem Angesicht Gottes auf ihren Stühlen sitzen, fielen auf ihr Angesicht nieder, und beteten Gott an, und sprachen:
17. Wir danken dir, Herr, allmächtiger Gott, der du bist, und der du warest, und der du kommen wirst, daß du angenommen hast deine große Kraft, und herrschest. Ob 1, 4. 8: 4, 8.
18. Zwar die Völker haben gezürnt (20), aber es ist gekommen dein Zorn und die Zeit für die Toten, gerichtet zu werden (21), und den Lohn zu geben deinen Knechten, den Propheten, und den heiligen, und denen die deinen Namen fürchten, den Kleinen und Großen, und auszurotten die, welche die Erde verderbt haben. (22)
19. Und der Tempel Gottes im Himmel ward aufgetan, und die Lade seines Bundes ward in seinem Tempel gesehen. (23) Und es entstanden Blitze und Stimmen und Erdbeben und großer Hagel. (24)
(1) Nach einigen griechischen Handschriften: und der Engel stand und sprach zu mir.
(2) den Tempel Gottes zu Jerusalem und zwar den inneren Vorhof, worin der Brandopfer-Altar, die Anbetenden und das Heiligtum sich befand. Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß Alles im Gesicht vorging.
(3) Sinn der Verse 1 und 2: Steck dir den Tempel ab zur Verwahrung vor den Heiden, aber nur den inneren, nicht den äußeren Vorhof; denn du der äußere Vorhof (der ganze irdische Tempel, der ein äußerer Vorhof war, wie das Judentum eine Vorstufe zum Christentum) wird von den Heiden zerstört, und Stadt und Land von ihnen drei ein halb Jahr verwüstet werden. Damit wird die Zerstörung des irdischen Tempels zu Jerusalem, die Errichtung eines neuen Tempels, wozu die Völker ungehinderten Zugang haben und die Verwüstung der Stadt und des Landes vorher sagt. – Der neue Tempel ist das Christentum, in welches Juden und Heiden auf gleiche Weise eingehen können. Unter der Stadt, welche 3 1/2 Jahre zertreten wird, ist nicht nur Jerusalem, sondern auch Palästina mit verstanden; denn häufig stehen die Hauptstädte statt ihrer Länder, und dahin führt auch auch die Zahl von 3 1/2 Jahren, indem nicht die Belagerung und Eroberung der Stadt so lange währte, wohl aber die Besetzung des Landes durch die Römer, der jüdische Krieg im Ganzen. Wie schließt sich diese Weissagung an das Vorhergehende an? Da der sechste Engel (9,13) mit seinem ersten Weh den Anbruch des jüdischen Krieges brachte, und das zweite Weh dieses Engels (11,14) deutlich die Eroberung der Stadt verhängt, so geht die obige, in Mitte liegende Weissagung die Zeit vom Ausbruch des Krieges bis zur Eroberung der Stadt an. Sie ist die drohende Warnung des barmherzigen Bundesengels, der den Untergang des Tempels noch vorher verkündigen, und seine warnenden Propheten (V. 3) auftreten läßt, eh` er das Strafgericht wirklich verhängt.
(4) Diese Zeugen sind offenbar Auserwählte, Christen; denn V. 8 heißt der Herr ihr Herr, und schon der Name „Zeuge“ führt dahin, indem Johannes an mehreren Stellen (1,9: 6,9) das Christentum ein Zeugnis nennt. Es fragt sich nur, ob unter den Zeugen zwei einzelne Personen, oder zwei Klassen von Christen zu verstehen seien. Vergleicht man mit der Weissagung die Geschichte des jüdischen Krieges, so wird man die erstere Meinung nicht wohl begründet finden können, denn von dem besonderen Zeugnis zweier Christen über die herein brechenden Gerichte des Herrn schweigt die Geschichte: wohl aber können die Christen im allgemeinen als Zeugen betrachtet werden, indem aus der Geschichte allgemein bekannt ist, daß sie nach der Weissagung des Herrn (Matth. 24) das Gericht über Jerusalem erwarteten, und sohin auch verkündigten. Unter der Zahl zwei aber werden sie aufgefaßt, weil sie eine ungleiche Gesellschaft bildeten, aus Schafen und Hirten, aus Laien und Kirchenvorstehern bestanden.
(5) den nahen Untergang der Stadt verkündigen und zugleich Buße predigen. Das Wort Weissagung faßt bekanntlich auch den Begriff des Belehrens, Ermahnens in sich.
(6) d. i. 2 1/2 Jahre. So lange dauerte der jüdische Krieg. Sobald Palästina von den römischen Heeren überzogen wurde, erinnerten sich die Christen an die Weissagung ihres Herrn (Matth. 24), und es ist gar kein Zweifel, daß sie, unter den Juden lebend, diese auf die nahe Gefahr werden aufmerksam gemacht, und sich zu bekehren ermuntert haben.
(7) d. i.: ein bußfertiges Leben damit verbindend. Die Christen erwarteten in stiller Zurückgezogenheit die Ankunft des Herrn zum Gericht.
(8) Diese sind es, die da gesalbt sind mit dem Öl der Gnade, ausgestattet mit Kraft aus der Höhe, die da leuchten mit ihren guten Werken vor dem Herrn. Das Bild ist hergenommen von Zachar. (4,11. 14), wo der Fürst Zorobabel und der hohe Priester Jesus, der Eine Haupt der Laien, der andere Haupt der Priester so heißen.
(9) Es heißt da nicht, sie werden nicht beschädigt, nicht verletzt werden: sondern nur, daß dies nicht ungestraft geschehe. Das Bild ist hergenommen aus der Geschichte des Elias, der Feuer vom Himmel über die Boten seiner Feinde kommen ließ (4. Kön. 1, 9-12. Eccli. 48,3). Der einfache Sinn des Bildes ist: Gott wird die Feinde der Christen sehr strafen.
(10) Diese Worte drücken überhaupt im Bilde aus: sie haben Wunderkräfte, und Gott erhört sie in Allem, um was sie bitten. Dies wurde dem Christen im allgemeinen verheißen (Matth. 17, 19; Mark. 16, 17. 18; Joh. 16, 23). Die Bilder sind aus der Geschichte des Elias und Moses entlehnt. Elias bewirkte durch sein Gebet, daß es 3 1/2 Jahr nicht regnete, Moses brachte wunderbare Plagen über Ägypten (2. Mos. 7-10).
(11) Das Tier, das aus dem Abgrund herauf steigt, ist der Satan; denn der Abgrund ist die Hölle. Der Sinn des Verses: Wenn sie eine Zeitlang nach Gottes Willen von der Wahrheit Zeugnis gegeben und zur Bekehrung ermahnt haben, wird der Satan sie mit aller Macht anfeinden, und die Juden anreizen, sich ihrer zu bemächtigen und sie zu töten. In Jerusalem, wo zu Anfang des jüdischen Krieges so viele Parteien wüteten, und sich die Juden selbst einander in großer Anzahl töteten, geschah es ohne Zweifel, daß die herrschenden Parteien gegen die Christen, die ihnen unaufhörlich die Gerichte Gottes vorhielten, ihre vorzügliche Wut richteten, und sie teils töteten, teils aus der Stadt vertrieben. Wirklich war zur Zeit, da die Stadt von den Römern eingeschlossen war, kein Christ mehr darin; denn Alle, die der Wut der mörderischen Rotte der Zeloten entgingen, hatten sich teils nach Pella, teils anders wohin geflüchtet. Diese Flucht, und der Mord vieler Christen, welcher der Flucht teils vorher geht, teils sie begleitet, werden hier als Sieg des Satans vorgestellt.
(12) in Jerusalem, das seiner Lasterhaftigkeit wegen den Namen von dem wollüstigen Sodoma und dem abgöttischen Ägypten tragen kann.
(13) Wie man selbst die Leichname der Hohenpriester Ananus und Jesus, welche von der herrschenden Partei ermordet wurden, auf öffentlicher Straße liegen ließ, so konnte es um so mehr vorher schon den verhaßten Christen geschehen, deren Leichname dann von Einheimischen und Fremden gesehen, aber nicht begraben wurden.
(14) als Freudenbezeigung. In Bezug auf die geflüchteten Christen ist es Bild der höchsten Verachtung, mit der man über die sogenannten leeren Drohungen und feige Furcht triumphierte. Als nämlich schon die Stadt belagert war, glaubte die wütende Partei der Eiferer unter den Juden nichts weniger als die Einnahme der Stadt durch die Römer; vielmehr waren sie des Sieges gewiß, und träumten sich selbst übernatürliche Hilfe.
(15) kurze Zeit darauf, nachdem einige Christen getötet, und die übrigen nach Pella geflüchtet waren.
(16) Die hier beschriebene Auferweckung von den Toten und die Himmelfahrt sind Bild der Verherrlichung der verfolgten Christen. Bald nämlich wurde die Stadt wirklich eingenommen (V. 13), die Weissagung der Christen bestätigt, gleichsam auf die Füße gestellt, sie selbst als Günstlinge Gottes, Bürger des Himmels dargetan. Bemerke übrigens, daß die hier geschilderte Verherrlichung der Christen nach dem Text in Einen Moment mit dem Einbruch in die Stadt zusammen fällt; denn V. 13 heißt es, daß zur selben Stunde, zur selben Zeit, als die Verherrlichung geschah, auch der Einbruch eintrat. Das Ganze ist also in Verbindung mit V. 13 so zu fassen: Gott verherrlichte nach kurzer Zeit seine verachteten Diener dadurch, daß er die Eroberung der Stadt wirklich verhängte.
(17) Das Erdbeben ist Bild des Belagerungs-Sturmes. Während in Jerusalem die größte Verwirrung herrschte, durchbrachen die Römer mit ihren Mauerbrechern die zwei äußersten Stadtmauern auf der Nordseite der Stadt, und eroberten einen Teil derselben. Wie viele Juden dabei umkamen, erzählt die Geschichte nicht, daß es aber nicht weniger als sieben Tausend waren, kann man sicher annehmen, wenn man diese Zahl nicht als eine runde fassen und überhaupt allgemein viele Getötete darunter verstehen will. – Bemerke noch: Nach einer allgemeinen Überlieferung und der überein stimmenden Erklärung der heiligen Väter erhält diese ganze Weissagung (11,1-13) noch eine weitere und bestimmtere Erfüllung am Ende der Zeiten. Wenn nämlich am Ende der Zeit das Heiligtum Gottes, die Kirche, von den widerchristlichen Rotten zum letzten Mal zertreten wird, werden die zwei Zeugen erscheinen, die Gott dafür aufbewahrt hat, die letzte Bußpredigt der Welt zu halten, die Propheten Henoch und Elias. Beide noch nicht gestorben, sondern nur dieser Welt entrückt, werden, der Eine, Elias, den Juden, der Andere, Henoch, den Heiden predigen, aber, nachdem der größte Teil der Juden in die Kirche Gottes eingegangen sein wird, von den Heiden getötet werden, so daß auch sie den Weg alles Fleisches gehen. (siehe dazu den Beitrag: Die zwei Zeugen Elias und Henoch) Hierauf wird das allgemeine Strafgericht über alle ungläubigen Juden und Heiden, die Verherrlichung dieser beiden Propheten bei der allgemeinen Auferstehung und das letzte Gericht erfolgen.
(18) Das erste Weh ist die Plage, welche der sechste Engel brachte (9,14), das zweite Weh ist der Einbruch in die Stadt (V. 13), das dritte Weh ist die Posaune des siebenten Engels, welche schnell, d. i. ohne Frist der Buße, wie diese zwischen dem ersten und zweiten Weh statt hatte, erschallen wird.
(19) Der Inhalt der siebenten Posaune wird nicht ausdrücklich angegeben, weil er sich von selbst versteht: denn da im vorher gehenden Weh (V. 13) schon die Eroberung der Stadt angezeigt war, so folgt von selbst, daß der letzte Posaunenschall ihren völligen Untergang, den Sturz des Judentums bezeichne. Das Judentum hörte nun auf, göttliche Anstalt zu sein, und so wurde das Christentum die alleinige, das Reich der Welt dem Herrn und seinem Gesalbten unterworfen. Diesen besingen nun sogleich die Auserwählten im Himmel.
(20) Anspielung auf Ps. 2,1: Warum toben die Völker? – gegen Jesum Christum. Diese Worte bezieht der heilige Petrus Apostg. 4,25 auf die Verfolgungen, welche die Christen von den Juden erdulden mussten.
(21) Unter den Toten können die geistlich toten Juden verstanden werden, man sieht aber auch, daß der Text außer der nächsten Zukunft zugleich die der letzten Zeit im Auge habe – das letzte Gericht, den Übergang der Kirche ins himmlische Reich.
(22) durch ihre Laster entweiht.
(23) Der Sinn dieses Bildes ist: Der irdische Tempel hört auf, der geistige Tempel, die Kirche, die durchaus himmlisch ist, tritt an seine Stelle, und in diesem himmlischen Tempel ist keine hölzerne Lade, wie die des alten Bundes war, Jesus Christus selbst ist darin leibhaft gegenwärtig. Man sieht übrigens auch aus diesen Worten, wie sie in die letzte Zeit hinüber spielen, und die Kirche hienieden zugleich als Himmelreich auffassen.
(24) d. h. Gottes Allmacht und Strafgerechtigkeit schützen diese Kirche, Weh dem, der sie antastet! –
aus: Joseph Franz Allioli, Die Heilige Schrift des alten und neuen Testamentes. Aus der Vulgata, 6. Bd. 1838, S. 460 – S. 464