Vom Manichäismus zur Freimaurerei
Von den geheimen Gesellschaften.
Nur zu gewöhnlich denkt man sich unter dem Worte: geheime Gesellschaften, gewisse Vereine und Verbindungen von Menschen, welche durch unter ihnen festgesetzte Statuten zu gewissen angeblichen Zwecken zusammen getreten sind, und durch mancherlei Vorfälle auch wieder sich trennen. Allein dieser Begriff von geheimen Gesellschaften entspricht nicht der Wirklichkeit des Gegenstandes. Das Dasein solcher Verbindungen beschränkt sich heutzutage nicht mehr bloß auf die zufällige Vereinigung einer Anzahl unruhiger, ränkesüchtiger und ehrgeiziger Köpfe, noch in den engen Raum einer Loge. Die Anhänger der Grundsätze, welche allerdings daher stammen, sind zahlreicher, als man glaubt, und wie Viele derselben sind nicht einmal eigentliche Mitglieder irgend einer Loge? Wie Viele dienen als Werkzeuge der Gesellschaft, ohne es selbst zu ahnen ?
Wenn man aber auf den Ursprung der geheimen Gesellschaften zurückgeht, so findet man, dass eigentlich immer zwei Prinzipien in der Welt waren, die in unausgesetztem Streit mit einander alle Begebenheiten veranlaßten, welche die Geschichte des Menschengeschlechts ausmachen. So lange es Menschen gibt, besteht der Kampf zwischen dem Irrtum und der Wahrheit, oder dem Bösen und Guten um die Herrschaft. Wie eigentlich im Menschen zwei einander bekämpfende Wesen: ein gutes und ein böses, vorhanden sind; so hat auch die menschliche Gesellschaft zwei solcher Prinzipien. Besitzt nun eines derselben ausschließlich in der öffentlichen Gesellschaft die Herrschaft, so zieht sich das andere zurück, sucht sich durch gleichgesinnte Mitglieder zu verstärken, und insgeheim die Mittel zu bereiten, durch welche es sich wieder der Herrschaft bemächtigen zu können glaubt. Es geschieht sogar manches Mal, dass beide Prinzipien, vermittelst derselben geheimen Gesellschaften, um die Übermacht gegen einander ringen; welches dann eintrifft, wenn beide Teile einander an Macht gleich, in der öffentlichen Gesellschaft vorhanden sind.
In jedem Staat befinden sich zwei Verbindungen, die religiöse und die politische. Beide sind der Gegenstand der Anschläge der geheimen Gesellschaften, weil keine getrennt von der andern gedacht werden kann. Es konnte zu allen Zeiten besondere Vereine von einzelnen Menschen zu einerlei Zwecken geben, sie fanden zur Beförderung ihrer gemeinsamen Absichten die geheime Verbindung vorträglich, und erleichterten sich das durch die Erkenntnis der Mitglieder und der wechselseitigen Unterstützung. Überhaupt geraten solche Vereine immer früh genug ehrgeizigen Ränkeschmieden in die Hände, welche mit Anschlägen gegen die religiöse und politische Ordnung sich tragen, und allemal am Ende diese zum Gegenstand ihrer besondern eigennützigen Zwecke machen.
Eine richtige Übersicht der Geschichte der s. g. geheimen Gesellschaften führt uns zu drei hervorstehenden Epochen derselben. Wir finden die mysteriösen Verbindungen des Altertums, die im Mittelalter, und die der neueren Zeit…
Die im Mittelalter bestandenen geheimen Gesellschaften erhalten für den Beobachter von mehr Wichtigkeit durch ihre Berührung mit den neuen geheimen Verbindungen. Man ist dermalen völlig überzeugt, dass von der Zeit, wo der Manichäismus entstand, und so fort bis zum Ausbruch des Protestantentums, geheime Gesellschaften ihr Wesen trieben, und der Freimaurerei die Entstehung gaben, das gestehen selbst unterrichtete Glieder des Ordens. Wir führen hier zum Beweis dieser Tatsache bloß Condorcet’s Geständnis aus seinem Entwurf über die Fortschritte des menschlichen Geistes an. Er sagt darin: die in den finstern Jahrhunderten entstandenen geheimen Gesellschaften hätten den Zweck gehabt, unter einem Häuflein Vertrauter im Stillen, und ohne Aufsehen zu machen, einfache Wahrheiten zu verbreiten und zu gründen gesucht gegen die herrschenden Vorurteile, gegen welche jene Grundsätze als sichere Verwahrungsmittel dienen sollten.
Unter der Hülle des Geheimnisses schlichen sich aus dem Orient manichäische Ansiedler nach Europa, und streuten da den Samen des Widerspruchsgeistes gegen Kirchen- und Staatsverfassungen aus. Diese bösen Grundsätze wurden weiter verbreitet, und gaben im Mittelalter den Anlass zu den geheimen Gesellschaften. Die Wirkungen ihres Vorhandenseins erzwangen diejenigen Maßregeln, welche der Einführung des Ketzergerichts oder der Inquisition ihre Entstehung gaben. Diese Anstalt hatte in ihren polizeilichen Verhältnissen zugleich den Auftrag, die Komplotte der Gottlosigkeit und der Meuterei aufzudecken. Sie war deshalb mit richterlicher Gewalt versehen, um gegen die Verbrecher strafend einzuschreiten. Sie sollte nicht allein als Strafanstalt, sondern auch als Einrichtung dienen, welche jenen Verbrechern entgegen arbeitete. Dies ist der allein richtige Gesichtspunkt , unter welchem man diese Anstalt betrachten muss. Von diesem Standpunkte aus ist man auch erst im Stande, sich den Hass begreiflich zu machen, welchen alle geheimen Verbindungen, und alle Verschworenen gegen Religion und Staat derselben widmen zu müssen sich berechtigt erkennen.
Bossuet beschreibt in seiner Geschichte der Veränderungen (I. 9) die Sekten des Mittelalters, welche sich als geheime Gesellschaften dem Glauben der Kirche entgegen setzten. Er macht bei diesem Gegenstand eine Bemerkung, die für uns noch viel merkwürdiger ist, als sie ihm sein konnte. Nachdem er bemerkt hat, daß der Manichäismus, von dem diese Sekten nur die Fortsetzung waren, die einzige Irrlehre sei, welche der heil. Apostel Paulus in seinem ersten Brief an Timotheus (K. IV, 1, 23, 45) vorher gesagt, und so deutlich bezeichnet habe, setzt er hinzu: „Warum wollte der heilige Geist unter so vielen Ketzerlehren nur diese ausdrücklich andeuten? Die heiligen Väter drückten ihr Erstaunen darüber aus, und legten ihre Gründe hierüber, so gut sie es in ihren Zeiten vermochten, vor; uns aber hat die Zeit, diese getreue Erklärerin der Weissagungen, die verborgene Ursache vor Augen gelegt so daß wir nicht mehr darüber erstaunen werden, warum der heilige Geist so vorzüglich uns gegen diese Sekte zu warnen und zu verwahren, veranstaltete. Wir wissen nun, daß gerade dieselbe am längsten und furchtbarsten das Christentum anfeindete. Sie war Jahrhunderte hindurch mitten im Schoß der Kirche verborgen, und darum desto gefährlicher, weil sie geräuschlos Böses wirkte, und so lange unbemerkt blieb. Seit Marcions und Manes Zeiten waren die Wirkungen dieser abscheulichen Sekte immer sichtbar. Sie ist ganz eigentlich die Irrlehre der letzten Zeiten, und jenes Geheimnis der Bosheit, wie der heilige Paulus sie bezeichnet. Als sie im ganzen Abendland vertilgt war, sah man endlich den schrecklichen Zeitpunkt der Freilassung des Satans sich annähern. Die Überbleibsel des Manichäismus, welche der Osten aufbewahrt hatte, stürzten sich auf die lateinische Kirche. Ein Funke entzündete einen Brand, der beinahe über die ganze Erde sich ergoss.“
Setzen wir zu diesen Bemerkungen Bossuets: warum wollte der heilige Geist unter so vielen Irrlehren nur den Manichäismus ausdrücklich bezeichnen? Bossuet äußert sein Erstaunen darüber, und führt die Gründe an, die er in seiner Zeit vorliegen hatte; aber die Zeit, diese so richtige Dolmetscherin der Weissagungen, ist erschienen, und wir sind nun belehrt, dass dieser Manichäismus, der im Grunde barer Atheismus ist, immer seinen schrecklichen Fortgang hat. Ihm gehört die Ehre, vermittelst der Sekten, die im Mittelalter ihr Wesen trieben, die geheimen Verbindungen erzeugt zu haben. Sie entwickelten sich so furchtbar, dass die Welt gegenwärtig von ihrem Höllengewebe ganz umsponnen ist. Unsere Zeit ist es demnach ganz eigentlich, die uns den tiefen Grund aufdeckte, und durch jene besondere Weissagung vornämlich sie als die Zeit des Geheimnisses der Bosheit bezeichnete. Wir sind Augenzeugen der Wirkung dieser Bosheit, welche die ganze Erde mit ihrem Gewebe umstrickt hat.
Von dem gegenwärtigen Zustand der geheimen Gesellschaften, gewöhnlich unter der Benennung der Freimaurerei bekannt, werden also folgende Blätter handeln. Die Kenntnisse über diese Orden sind aus den Schriften derselben geschöpft. Dieselben sind zweierlei Art. In der einen Gattung, welche bloß das Zeremoniell der Logen, und den Katechismus der Auszunehmenden enthalten, findet man keine Aufschlüsse. Die Einfältigen im Geist begnügen sich damit. Die andere Gattung von Schriften geht nur durch die Hände der wahren Eingeweihten. In diesen findet man den eigentlichen Geist, der diese Orden leitet. Zuweilen fällt eine solche Büchersammlung nach dem Tode eines Eingeweihten in die Hände eines Profanen. Besitzt er Kraft zum Nachdenken, und Mut zum Sprechen oder zum Schreiben, so wagt er sich an dieses Werk der Finsternis, und scheut nicht, das Gewebe derselben aufzudecken. –
aus der Zeitschrift „Der Katholik“ Bd. 13-14, 1824, S. 129 – S. 135