Satan hat nicht die Macht Wunder zu wirken
1. Der Satan ist nicht ein selbständiges Prinzip mit selbständiger Macht, sondern er ist Gott unterworfen und unbedingt in diejenige Wirkungssphäre gebannt, welche Gott ihm einräumt, damit die höheren Zwecke der Weltordnung gefördert werden.
Als solche Zwecke erkennen wir z. B. die Erprobung der Guten und die Bestrafung der Bösen. Keinesfalls aber ist dem Satan Gewalt gegeben zum bloßen Spiel einer dämonischen Laune, zum bloßen Necken, Schrecken, Peinigen oder Spotten, zum bloßen Affenspiel und Spuk.
2. Der Satan hat nicht die Macht, Wunder zu wirken oder die bestehende Ordnung der Dinge zu beugen und zu durchbrechen; wenn er auf die Natur- und Menschenwelt einwirkt, so kann er es nur mit Benützung der in der körperlichen und geistigen Kreatur vorhandenen Kräfte, und seine höhere Macht besteht nur in einer tieferen Einsicht und gesteigerten Benützung dieser Kräfte. Was man darum in der theologischen Sprache das Außernatürliche (praeternaturale) nennt, ist nur eine gesteigerte, dämonisch potenzierte Anwendung von Naturkräften.
Die Natur Satans ist allerdings von der Erden- und Menschennatur verschieden und insofern praeter naturam; aber Wirkungen innerhalb dieser unserer irdischen Kreatur können nur nach den Gesetzen dieser selben Natur erfolgen, oder sie sind Wunder, Neuschaffungen, welche nur Gott möglich sind. Satan mag alle Physiker und Magiker an Kenntnis der Naturkräfte und der Blendwerke, und mag alle Psychologen an Kenntnis des Innern der Menschen übertreffen; aber sich in unserer Sinnenwelt offenbaren kann er nur durch natürliche Mittel. Wir haben es also doch mit natürlichen Phänomenen zu tun, und es muss dafür eine natürliche Ursache geben.
3. Die Manifestation des Dämonischen kann nur der direkte Gegensatz gegen alles wahrhaft Seiende und Göttliche sein, bloßer schein, Lug und Trug ohne irgend welchen Bestand. Dem Satan muss daran liegen, in den Menschen einen Glauben an seine Blendwerke zu erwecken; sein Zweck kann nicht gründlicher vereitelt werden, als wenn man ihn ignoriert, wenn man alles, was sich als dämonische Manifestation ausgibt, schlecht innige Skepsis entgegen setzt; nicht den Zweifel an den theologischen Wahrheiten, sondern den Zweifel an seinen Blendwerken.
Es ist demnach nicht im Widerspruch mit dem theologischen Glauben, wenn wir Leichtgläubigkeit auf diesem Gebiet für Sünde und für Förderung des Aberglaubens halten, dagegen die vorurteilsfreie, vernünftige Abweisung alles dessen fordern, was sich als dämonische Manifestation präsentiert. Wer dem Teufel traut und glaubt, der ist betrogen…
Sollte aber im Ernst die Meinung bestehen, daß Teufelsfurcht eine Vorstufe der Gottesfurcht sei, so muss hiergegen im Namen der christlichen Moral protestiert werden. Wer wahrhaft Gott fürchtet, braucht den Teufel nicht zu fürchten.
Die Kirche selbst befiehlt auf diesem Gebiet die strengste Zurückhaltung und die rigoroseste Untersuchung, ehe sie die Annahme einer wirklich dämonischen Infestation, einer circumsessio oder obsessio zuläßt und die Anwendung des kirchlichen Exorzismus gestattet; über die Art und Weise aber, wie wir uns den Einfluss des dämonischen Reiches auf die irdische Schöpfung zu denken haben, spricht sie sich nicht näher aus; dies ist Mysterium wie die Sünde selbst, um derentwillen der Satan Macht über die Menschen hat.
Die gewöhnlichen Wahnvorstellungen über die satanische Zaubermacht haben zweierlei Gestalten. Der Satan sucht sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen, dem Tempel Gottes seinen eigenen Altar entgegen zu stellen, und einen Kultus zu erlangen; zu diesem Zweck ahmt er Gottes Werke nach; er gibt in Orakeln Offenbarungen von sich, die aber Lügen sind; er möchte schöpferisch hervor bringen, bringt aber nur häßliche Monstra, Missgeburten zu Stande und wird schließlich in seiner Machtlosigkeit beschämt.
Sodann aber wird Satans Hilfe in Anspruch genommen, um irgend welchen Schaden anzurichten und dadurch die Menschen selbst tiefer und tiefer in Frevel, Feindseligkeit, Terrorismus und Gottlosigkeit zu stürzen (Maleficium, schwarze Magie, Schwarzkunst). Die Hilfe Satans wird nach Analogie der göttlichen Hilfe gedacht als vermittelt durch sinnliche instrumentale oder sakramentale Zeichen, …
Der satanische Kultus selbst aber erreicht seine Höhe im Hexensabbat und in der Stigmatisation mit dem Hexenmal. –
aus: F. X. Linsenmann, Lehrbuch der Moraltheologie, 1878, S. 357-359