Die Auserwählten sind der Heilsvollendung gewiss (Römerbrief, Kap. 8, Vers 18-30)
Das Seufzen der Schöpfung nach ihrer Vollendung
(18) Ich schätze, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit in keinem Verhältnis stehen zu der künftigen Herrlichkeit, die sich an uns offenbaren wird. (19) Denn das sehnsüchtige Harren der Schöpfung wartet auf das Offenbarwerden der Kinder Gottes. (20) Wurde doch die Schöpfung der Nichtigkeit nicht mit freiem Willen unterworfen, sondern nur um dessentwillen, der sie unterwarf, mit der Hoffnung, (21) dass auch sie, die Schöpfung, von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werde zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. (22) Wir wissen ja, dass die gesamte Schöpfung bis zur Stunde seufzt und in Wehen liegt.
Die Passionsgemeinschaft mit Christus ist die Voraussetzung für die himmlische Erbgemeinschaft, für die ewige Teilnahme an der unaussprechlich großen Herrlichkeit Christi. Wenn dieser Zusammenhang besteht, was sollte da noch vom Leiden zurückschrecken? Etwa seine Schwere oder seine lange Dauer? Es wäre ein schlechter Tausch, auf die himmlische Erbgemeinschaft mit Christus zu verzichten, um der irdischen Leidensgemeinschaft mit ihm zu entgehen. Wägt man Leid und Seligkeit gegeneinander ab, dann ergibt sich, dass diese alle irdische Drangsal nicht nur ein Vielfaches übertrifft, sondern dass, wegen des gewaltigen Unterschiedes ein Vergleich überhaupt nicht möglich ist.
Schon die Tatsache allein, dass alles Erdenleid nur eine begrenzte Zeit dauert, die himmlische Herrlichkeit aber kein Ende kennt, nimmt jede Möglichkeit, sie gegeneinander abzuwägen. Das ist auch die feste Überzeugung des Apostels. Ja, wäre es ungewiss, ob sich die Herrlichkeit wirklich an denen einmal offenbart, die in der Christusgemeinschaft leben, dann könnte man noch verstehen, wenn auch der Christ sich entschieden gegen das Leiden wehrt. Aber die Heilsvollendung ist für die Auserwählten gewiss. Diese Gewissheit begründet der Apostel in den folgenden Versen aus dem Seufzen der Natur nach der Vollendung (19-22), aus der im Christen lebenden Hoffnung (23-25), aus der Gebetshilfe des Heiligen Geistes (26-27) und aus dem ewigen Heilswillen Gottes (28-30).
Die den Christen innewohnende Herrlichkeit der Gotteskindschaft ist jetzt noch vor der Welt verborgen. Sie wird erst am jüngsten Tag offenbar, wenn der Leib aufersteht und von übernatürlicher Schönheit verklärt und von dem Glanz der Seele durchflutet wird. Nach diesem Tag sehnt sich unbewusst die ganze vernunftlose Schöpfung. In einer tiefsinnigen Naturbetrachtung vernimmt und deutet Paulus dieses Klagen und Harren. Sie klagt über ihre Hinfälligkeit, nicht über den Missbrauch, den der Mensch mit ihr begeht.
In der paradiesischen Natur gab es auch ein Gehen und Kommen, ein Entstehen und Vergehen, aber dies alles vollzog sich nach den Gesetzen, die Gott schon von Anfang an in die vernunftlose und leblose Schöpfung hineingelegt hatte. In den jetzigen Zustand aber ist sie nicht freiwillig, nicht infolge der in ihr wirkenden Kräfte hineingeraten, sondern infolge der Sünde Adams, an dessen Geschick nach Gottes Ratschluss auch ihr Schicksal gebunden sein sollte. Um des Menschen willen lastet der Fluch auf der Schöpfung, darum soll sie auch um des Menschen willen einst verklärt und in den paradiesischen Zustand zurückversetzt werden.
Wenn am Ende der Zeiten die Kinder Gottes in ihrer übernatürlichen Herrlichkeit erscheinen und das Erlösungswerk vollendet ist, dann wird auch die übrige Schöpfung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit, von dem Unterworfensein unter die Hinfälligkeit, befreit werden. Gott wird nicht wieder in das Nichts zurücksinken lassen, was er am Anfang aus dem Nichts ins Dasein gerufen hat. Die sichtbare Schöpfung wird in irgendeiner verklärten Form weiterbestehen. Darum reden die Propheten von einem neuen Himmel und einer neuen Erde.
Von dieser Verklärung spricht Chrysostomus in seinen Homilien zum ersten Buch Mosis: „Wenn ihr Zustand sich durch deine Schuld, o Mensch, verschlechtert hat, so bedenke, dass sie auch um deinetwillen unverweslich sein wird. Nicht du allein, sondern auch die dir unterworfenen Schöpfung, obwohl ohne Erkenntnis und Empfindung, wird zugleich mit dir an jenen Gütern teilhaben. Sie wird dann nicht mehr verweslich sein, sondern deinem herrlich umgestalteten Leib entsprechen. Denn wie sie dir in Tod und Verwesung nachfolgen musste, so wird sie dir auch in der Unverweslichkeit nachfolgen“ (8, 2).
Das Klagen und Seufzen der Natur nach jener Zeit der Verklärung vergleicht der Apostel mit den Schmerzen einer Geburtsstunde. Wie die Geburt eines Menschenkindes durch schmerzvolle Wehen angekündigt wird und die Mutter unter Schmerzen einem neuen Leben das Dasein schenkt, so kündigt sich auch die Geburtsstunde der neuen Zeit, der die Schöpfung entgegen harrt, nicht ohne Schmerzen an und wird sich nicht ohne heftige Erschütterungen vollziehen. Gott hätte dieses Sehnen nicht in die Natur hineingelegt, wäre es nicht sein Wille, es durch die himmlische Verklärung der Gotteskinder auch zu stillen. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XIV, Der Römerbrief, 1937, S. 73 – S. 75
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