Gott läßt die falschen Religionen zu zur Belehrung
Man muss sich demnach nicht so darüber wundern, wie man gemeiniglich tut, daß Gott uns so viele Dinge zu glauben vorgestellt hat, die seiner so unendlich würdig und zugleich so undurchdringlich sind für den menschlichen Geist, als vielmehr darüber, daß, obwohl er den Glauben auf eine so gewisse und offenbare Autorität gegründet, es dennoch Blinde und Ungläubige in der Welt gibt.
Unsere ungeordneten Leidenschaften, unsere Sinnlichkeit und unser unbändiger Stolz sind die Ursache davon. Wir wollen lieber Alles wagen, als uns Zwang antun, lieber in unserer Unwissenheit zu Grunde gehen, als sie eingestehen; wir wollen lieber eine eitle Neugierde befriedigen und in unserem ungelehrten Geist die Willkür, was uns gefällt, für wahr zu halten, nähren, als unter das Joch der göttlichen Autorität uns beugen.
Daher gibt es so viele Ungläubige, und Gott hat es so zugelassen, zur Belehrung seiner Kinder. Ohne die Blinden, ohne die Wilden, ohne die Ungläubigen, die noch vorhanden sind, selbst noch im Schoße des Christentums, würden wir weder die tiefe Verderbnis unserer Natur, noch den Abgrund, aus dem uns Christus hervor gezogen hat, genügend erkennen. Wenn die heilige Wahrheit keinen Widerspruch fände, würden wir auch das Wunder, daß sie unter allen Widersprüchen unwandelbar fortbesteht, nicht sehen, und würden am Ende vergessen, dass wir aus Gnade erlöst sind. Jetzt aber verdemütigt der Unglaube der Einen die Anderen, und die Empörer, die sich den Absichten Gottes widersetzen, stellen nur die Macht Gottes ins Licht, durch welche er, unabhängig von allen Menschen, die seiner Kirche gegebenen Verheißungen zur Erfüllung bringt.
In vielen Dingen konnten die falschen Religionen die Kirche nachahmen, namentlich darin, dass auch sie behaupten, von Gott gestiftet zu sein; allein diese Rede ist in ihrem Munde ein leerer Schall, denn wenn Gott das Menschengeschlecht erschaffen hat, wenn er, nach seinem Bilde es erschaffend, stets sich gewürdigt hat, es zu belehren, wie es ihm dienen und ihm wohl gefallen soll, so ist notwendig jede Sekte, die nicht in ununterbrochener Sukzession bis zum Anfang der Welt hinauf geht, nicht von Gott.
Hier stürzen alle Gesellschaften und alle Sekten, welche die Menschen innerhalb oder außerhalb des Christentums je gegründet haben, vor den Füßen der Kirche zusammen.
aus: Victor Dechamps, aus der Gesellschaft des allerheiligsten Erlösers: Christus und die Antichristen nach dem Zeugnisse der Schrift, der Geschichte und des Gewissens, 1859, S. 169-170; S. 166