Der geschichtliche Abriss des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts

Das christliche Zeitalter und seine herausragenden Merkmale

Das christliche Zeitalter

Über diese Zeit, die manchmal als das Goldene Zeitalter des Christentums bezeichnet wird, schreibt Leo XIII.:

„Es gab einmal eine Zeit, in der die Weisheit der Evangelien die Staaten regierte: die Zeit, in der der Einfluss und die göttliche Kraft der christlichen Weisheit die Gesetze, die Institutionen, die Sitten der Völker, alle Ordnungen und Verhältnisse des Staates durchdrungen hatte. Es war jene Zeit, in welcher die durch Jesus Christus gestiftete Religion in der ihr zukommenden beachteten Stellung fest dastand, und dank der Gunst der Fürsten und des Schutzes der rechtmäßigen Obrigkeit überall blühte. Es war die Zeit, in welcher Eintracht und wechselseitige freundschaftliche Dienstleistung Kirche und Staat zu glücklichem Bund einte. Und ein derartig gebildetes Staatswesen hat über alle Erwartung reiche Früchte getragen. Das Andenken daran lebt noch und wird weiter leben, da es besiegelt ist durch unzählige geschichtliche Denkmäler, die durch keine Arglist der Gegner gefälscht oder verdunkelt werden können.“ (Immortale Dei)

Wieder schreibt derselbe Pontifex :

„Die Zivilgesellschaft wurde in allen Teilen durch die Lehren des Christentums erneuert. . . . In der Kraft dieser Erneuerung wurde die menschliche Rasse . . . . vom Tod zum Leben zurückgebracht, und zu einem so hervorragenden Leben, dass nichts Vollkommeneres zuvor bekannt war oder in den kommenden Zeitaltern bekannt werden wird.“ (Rerum novarum)

Die Zeit, von der die Rede ist, ist die Zeit des 12. und 13. Jahrhunderts, als der Einfluss der Kirche in Europa seinen Höhepunkt erreichte. Jahrhunderts, als der Einfluss der Kirche in Europa seinen Höhepunkt erreichte. Damals dominierten christliche Prinzipien die gesellschaftlichen Beziehungen stärker als in jeder anderen Periode vor oder nach ihr; und der christliche Staat näherte sich dann am nächsten seiner vollen Entwicklung.

Seine herausragenden Merkmale

Es war die Zeit großer Heiliger und Kirchenmänner wie Bruno, Bernard, Franz von Assisi, Thomas von Aquin, Bonaventura, etc.; großer Herrscher, die gleichzeitig christliche Ritter und Helden waren, wie der heilige Ludwig von Polen (gest. 1227), Rudolph von Habsburg (gest. 1281), der heilige Ludwig von Frankreich (gest. 1270) und sein Cousin und Zeitgenosse, der heilige Ferdinand von Spanien. Es war auch die Epoche, in der der Einfluss der christlichen Weiblichkeit im europäischen Leben am tiefsten spürbar war; als die Throne Europas den Glanz von so edlen Matronen wie Mathilde von der Toskana (gest. 1114), der heiligen Elisabeth von Ungarn (gest. 1231), der heiligen Hedwig von Polen (gest. 1245), Bianca von Kastilien, der Mutter des heiligen Ludwig, der Gräfin Sophia von Holland (gest. 1176) und sehr vielen anderen aufnahmen. Es war das Zeitalter der Kreuzzüge, der gotischen Kathedralen, der christlichen Poesie und Kunst, der christlichen Philosophie! Schließlich war es die Epoche der wahren christlichen Demokratie, die dann unter der Kontrolle der mittelalterlichen Zünfte verwirklicht wurde, vollständiger als je zuvor oder seitdem.

Sozialsystem nicht perfekt, aber auf wahren Prinzipien gegründet

Wir sagen nicht, dass der mittelalterliche Staat perfekt war. Keine menschliche Institution kann das je sein, solange menschliche Leidenschaften und menschliche Unwissenheit bestehen bleiben. Außerdem haben im mittelalterlichen Europa nicht wenige vom Heidentum geerbte Eigenschaften noch überlebt, insbesondere eine gewisse Hilflosigkeit unter den Volksmassen, die ein Erbe aus Jahrhunderten der Sklaverei war.

Friedrich Schlegel behandelt diese Epoche, wenn, wie er sagt, große Charaktere, edle Motive, erhabene Gefühle und Ideen reichlicher vorhanden waren als in jeder anderen Epoche der Geschichte. Er schreibt: „Alles, was damals groß und gut im Staat war, ging vom Christentum und von der wunderbaren Wirksamkeit religiöser Prinzipien aus. Was immer unvollkommen und schädlich war, lag im Charakter der Menschen und des Zeitalters, das noch nicht ganz auf die Ideen des Christentums eingestellt war.“

Wäre es dem christlichen Staat erlaubt gewesen, sich auf normale Weise zu entwickeln, so besteht wenig Zweifel daran, dass viele dieser Mängel allmählich beseitigt worden wären und sich in jedem Land eine Art Burgfrieden-Demokratie entwickeln würde, die den Bedürfnissen und dem Charakter der jeweiligen Nation angemessen wäre.

Dies ist im Wesentlichen die Bewertung des mittelalterlichen Gesellschaftssystem, das in den gemäßigten und sorgfältig abgewogenen Worten Pius‘ XI. vermittelt wird:

„Früher“, schreibt er, „gab es eine Gesellschaftsordnung, die zwar keineswegs in jeder Hinsicht perfekt war, aber dennoch in gewissem Maße der richtigen Vernunft entsprechend den Bedürfnissen und Bedingungen der Zeit entsprach. Dass diese Ordnung längst untergegangen ist, liegt nicht daran, dass sie nicht in der Lage war, sich zu entwickeln und an veränderte Bedürfnisse und Umstände anzupassen, sondern vielmehr am Fehlverhalten der Menschen. Die Menschen waren in übermäßiger Selbstliebe verhärtet und weigerten sich, diese Ordnung, wie es ihre Pflicht war, auf die wachsende Zahl des Volkes auszudehnen; oder aber sie wurden, getäuscht durch die Anziehungskraft falscher Freiheit und anderer Irrtümer, ungeduldig über jede Zurückhaltung und bemühten sich, jede Autorität abzuwerfen“. (Quadragesimo anno)

Einheit des Christentums

Vor dem Ende des 11. Jahrhunderts hatten praktisch alle Nationen Europas, mit Ausnahme derer an den Ostküsten der Ostsee, das Christentum angenommen. Die schlimmsten Missbräuche in der Disziplin der Westkirche – die Ostkirche hatte zu dieser Zeit ihre Trennung von Rom praktisch vollzogen -, die aus dem immerwährenden Streit des 9. und 10. Jahrhunderts entstanden waren, wurden nun größtenteils durch die Reformen geheilt, die mit dem Namen Hildebrand oder Gregor VII. verbunden sind (gest. 1085). Da alle Nationen und alle Herrscher Europas einen gemeinsamen katholischen Glauben teilten, wurde dem Papst als Stellvertreter Christi auf Erden einstimmig eine Position von überragendem Einfluss zuerkannt. Diese erreichte ihren Höhepunkt während der Herrschaft von Innozenz III. (1193-1216), als das Gefühl einer gemeinsamen Christenheit, die sozusagen ein großes Europäisches Reich bildete und durch die Bande eines gemeinsamen Glaubens zusammengehalten wurde, alle Klassen durchdrang. –
aus: E. Cahill SJ, The Framework of a Christian State, 1932, S. 24 – S. 26