Pflicht des Priesters ist Opferbereitschaft

Ein schön geschmücktes Kreuz, das mit einer Dornenkrone und einem Palmzweig geziert ist

Aus dem Pflichtenverzeichnis eines Priesters

Pflicht des Priesters ist die des hirtenamtlichen Geistes…

der Opferbereitschaft

Der hl. Alfons war gewiß in jeder Beziehung und für Jedermann ein liebenswürdiger Priester, ein guter Hirt im reinsten Sinn des Wortes, beseelt von dem Opfergeist eines Vaters, ja noch mehr, von dem Opfergeist einer Mutter. Diesen Opfergeist sich zu erwerben, ist die Pflicht des katholischen Seelsorgers, der das Amt hat, „zu den gefallenen Menschen sich nieder zu beugen und sie durch die Gnade aufzurichten. Gleich dem Gott und Herrn, der ihn gesendet hat, muss er sagen: „Kommt zu mir, ich will euch erquicken“ (Matth. 11, 28); „Lasset die Kleinen zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich“ (Matth. 19, 14); noch mehr: „Wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, so will ich die Kinder versammeln“ (cf. Matth. 23, 37). Dies aber ist die Sprache des Opfergeistes aus dem Mutterherzen.

Der Priester muss seines Amtes wegen die Lebenstage hauptsächlich den Krankheiten, dem Elend und den schmerzen der Seelen widmen, er muss sie trösten, heilen, erquicken, beseligen; und darum ist seine Gegenwart bei der gläubigen Herde gleich einer Erscheinung der göttlichen Barmherzigkeit und Gnade.

An dem Tag, an welchem die Jungfrau Mutter wird, pflanzt Gott auch die Mutterliebe in ihr Herz, auf daß sie den Pflichten ihres neuen Standes genüge. Und siehe, die Mutterliebe zwingt sie mit süßer Gewalt, ihre Kinder zu reinigen, zu erwärmen, zu nähren, zu kleiden, zu schmücken, zu erfreuen, zu hüten, sie das gehen, das Reden, das Essen, das Sichankleiden, das Arbeiten, das religiöse und gesellschaftliche Benehmen und Alles zu lehren, was zu der Wohlfahrt und den edlen Sitten des Lebens gehört; und – o herrliches Wunder! – in all diesen, an und für sich beschwerlichen und verdrießlichen Dienstleistungen findet sie liebliche Wonne und freudiges Entzücken. In diesen lästigen Beschäftigungen während des Tages und oft in der Nacht opfert sie gerne die Gemütlichkeiten ihres Besitzes, die Angewöhnungen ihres Lebens, die ihrem Alter angemessenen Vergnügen, manche Rücksichten auf die Verwandten, angenehme Bedürfnisse der Freundschaft… Soviel vermag der Opfersinn einer Mutter! Darum aber auch sollte die Jungfrau, welche nicht den Opfersinn und guten Willen hat, diese schweren und lästigen Muttersorgen zu übernehmen, niemals Mutter werden wollen.

An dem Tag, an welchem der katholische Jüngling zum Priester geweiht wird, empfängt er die „Gabe Gottes, den hl. Geist, die ewige Liebe“, auf daß er den hirtenamtlichen Pflichten genüge. Und siehe, die in sein herz ausgegossene göttliche Liebe zwingt mit süßer Gewalt den Priester, seinen geistlichen Kindern eine treue Mutter zu sein, in eigener Person sie zu nähren mit dem geistigen und sakramentalen Brot des Lebens, sie zu erwärmen mit dem Feuer der Gottes- und Nächstenliebe, sie zu kleiden und zu zieren mit dem Prachtgewand der christlichen Tugenden, sie zu bereichern mit Schätzen für den Himmel, sie zu reinigen von den Makeln der Sünde und bösen Neigungen, sie zu lehren das Gehen, Reden, Arbeiten und Sicherfreuen den Geboten Gottes gemäß, sie zu überwachen in ihrem Begehren, Bedürfnissen und Gefahren. Die Unsumme dieser Sorgen und Kümmernisse, dieser Beschwerden und Verdrießlichkeiten fordert gebieterisch von dem Priester den mutigen Opfergeist mancher Bequemlichkeiten, süßer Angewöhnungen, erlaubter Erholungen, lästiger Entbehrungen, mühevoller Dienstleistungen am Tage und in der Nacht, angenehmer Rücksichten auf Verwandte und Freunde… Wenn daher ein katholischer Jüngling nicht so gesinnt ist, wie der jungeAdvokat Alfons am Tage seines mißglückten Plädoyers; wenn er fühlt, daß ihm der freudige Mut und Wille mangelt, die Arbeiten, Beschwerden und Verdrießlichkeiten des Hirtenamtes lebenslänglich auf sich zu nehmen, so denke er nicht daran, Priester werden zu wollen. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Christliche StandesUnterweisungen, 1904, S. 301 – S. 302