Worte der Liebe reden

Views: 310

Das Königliche Gebot

Worte der Liebe „Rede, und schweige nicht!“ (Apg. 18, 9)

Es ist, als ob der himmlische Vater dem Sohn unter seinen Aufträgen auch diesen mitgegeben hätte: „Rede, und schweige nicht!“ Dem Heiland begegnet kein Trauriger für den er nicht ein Wort des Trostes, kein Furchtsamer, für den er nicht ein Wort der Ermutigung, kein Verfolgter, für den er nicht ein Wort der Zusage hätte. Noch am Kreuz spricht er zu einem Menschen ein wunderbar inniges Wort der Liebe: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!“

Begegnen nicht auch wir jeden Tag einem Menschen, dem man ein Wort der Güte sagen könnte, Bekümmerten, Aufgeregten, Sorgenvollen, Ängstlichen? Wird nicht auch in unserer Gegenwart so mancher gedemütigt, angegriffen, herabgezogen – und wir schweigen. Lebt nicht in unserer Umgebung jemand, der schon längst ein Wort der Anerkennung verdient – aber wir vergessen, es zu sagen. Und wie oft könnte man jemand einen guten Wunsch aussprechen, angefangen von dem „Guten Morgen“, das wir den Begegnenden zurufen, bis zu den Segenswünschen, die uns bei großen Ereignissen gegen unsern Nächsten beseelen; aber man ist zu kühl, zu zurückhaltend.

Warum so wortkarg? Ist es etwa so schwer, das rechte Wort zu finden? – Dazu braucht es doch nicht viel Nachdenkens und lange Berechnungen, nicht große Geistesschärfe und besondere Redegewandtheit. Es müssen ja nicht tiefe, ungewöhnlich weisheitsvolle Worte sein, die wir da sprechen, um andere zu trösten, zu beglückwünschen oder zu verteidigen. Selbst die Worte Christi, seine Tröstungen und Anerkennungen und Seligpreisungen sind so schlicht und ungesucht.

Die wahre Liebe findet fast immer von selber die rechte, taktvollste Form und verleiht, da sie selber das Weiseste und Tiefste in der Welt ist, auch den schlichtesten Worten etwas Großes und Tiefes. Und wie es meist bei gutem Willen nicht schwierig wäre, das rechte Wort der Liebe zu finden, so ist es meist auch nicht sehr schwer es auszusprechen. Was sollte wohl leichter sein als ein paar Silben, ein paar Sätze auszusprechen?

Eine Tat der Liebe, selbst eine ganz kleine, kostet immer noch mehr als ein bloßes Wort der Liebe. Gewiss, es gibt dann und wann auch Widerstände zu überwinden, einmal die natürliche Trägheit oder Verschlossenheit oder die Selbstsucht, die nur fürs eigene Wohl und Wehe den Mund öffnen will, oder auch eine gewisse Abneigung gegen unsern Nächsten oder noch einen letzten Rest von Groll gegen ihn; indes diese Widerstände sind im allgemeinen doch so unbedeutend, dass man jenem Geistesmann wohl zustimmen muss, der von der Leichtigkeit des guten Wortes als von einem „Wunder“ redet.

Vollends werden wir geneigt sein von einem Wunder zu reden, wenn wir bedenken, mit welchem Segen das so leicht gesprochene Wort der Liebe die Welt zu beglücken vermag. Die Leichtigkeit eines solchen Wortes mag manchen zweifeln lassen an dessen Wichtigkeit und Nützlichkeit. Aber sicherlich gibt es kein Ding in der Welt, das weniger kosten und doch mehr wert sein könnte. Viele Dinge werden von den Menschen getan, die tausendmal mehr Mühe machen und doch nicht halb so viel Segen bringen als ein einziges Wort der Liebe.

Oder sind wir überhaupt argwöhnisch gegen das Reden und Wortemachen? Vielleicht fühlen wir, wie einer der Meister des edlen, schönen Wortes einmal gesagt hat: „Ich meinerseits möchte mir das Reden ganz abgewöhnen. Je mehr ich darüber nachdenke, es ist etwas so unnützes, so Müßiges, ich möchte sagen Geckenhaftes im Reden, dass man vor dem stillen Ernst der Natur und ihrem Schweigen erschrickt.“

Ja, wir haben vielleicht längst erkannt, wie die Worte der Menschen jedenfalls meist nicht nur nichts nützen, sondern das Gute in der Welt geradezu hemmen, stören und zersetzen, während fast alles, was schafft, schenkt und die Welt segnet, aus dem Heiligtum des Schweigens kommt. Indes Gott wollte gewiss dem Menschen die Gabe des Wortes nicht zu seinem Schaden geben. Gott hat den Menschen das Wort als eine Himmelskraft und als einen Himmelston geben wollen, und diese Absicht erfüllt nun eben jedes Wort der Liebe.

Das liebevolle Wort, das freilich nie ein schrankenloses Schwätzen ist, sondern immer auch ein Element der Schweigsamkeit in sich trägt, ist eine schaffende, am Bau des Guten mitwirkende, die Welt beschenkende und segnende Kraft. Während andere Worte so oft bittere Feindschaft stiften und Missverständnisse noch mehr verwirren, genügt manchmal ein einiges schlichtes Wort der Liebe, um ein unentwirrbares Missverständnis aufzulösen, genügt, um langjährigen Gegnern die in des Herzens Heimlichkeit längst ersehnte Versöhnung zu bringen, genügt, um eine begründete oder auch eine durch nichts erklärliche Abneigung zu zerstreuen, eine Verstimmung zu beheben – kurz ein Wort der Liebe ist wie eine Glocke, die mit ihrem weichen, klaren Ton alle finsteren Geister zu verscheuchen – und dafür alle guten Geister zu rufen vermag.

Sie ruft zum Beispiel die Geister der Freude. Ebenso wie ein kleines Glöcklein einen weiten Raum in seinem Silberton hell schwingen und erklingen lässt, ebenso – ist es nicht wunderbar? – kann ein einziges gutes Wort einen ganzen Tag hindurch ein Menschenherz, selbst ein vergrämtes und verdüstertes, mit Freude erfüllen. Sprich zu deinem Nächsten ein freundliches Wort und sieh, ein Engel der Freude schwebt ihm durchs Gemüt!

Und auch den Engel, der die Herzen in Treue verbindet, den Geist der Freundschaft, ruft jener Glockenton. So manche feste, erprobte, selbst im Tod bewährte Freundschaft ist zustande gekommen durch irgend ein gutes Wort.

Und endlich das Beste von allem – selbst die Engel der Gnade, die Seelen rettenden Boten der göttlichen Barmherzigkeit, ruft der Glockenton des guten Wortes herzu. Durch nichts wurden stets und werden noch die Menschen sicherer und zahlreicher von der Sünde, vom Unglauben, vom Bösen abgelenkt und der Bekehrung, der Heiligung und der ewigen Seligkeit zugeführt als durch gute, liebevolle Worte. Sie bilden das wachsweiche Kind und erschüttern den verstockten Verbrecher.

Das gute Wort hat in seiner Macht etwas Verwandtes mit demjenigen, der in göttlicher Allgewalt das „ewige Wort“ und zugleich die große, weltgestaltende, ewige Tat ist. Johannes schrieb: „Im Anfang war das Wort.“ Ein anderer glaubte schreiben zu müssen: „Im Anfang war die Tat“ Und doch – es ist dasselbe, Wort und Tat. Das ewige Wort Gottes wie das irdische Wort eines liebevollen Menschen, es ist immer zugleich auch eine Tat.

Es geht aber vom Menschen nicht aus, ohne ihn auch selber zu segnen. Ein Wunder wirkt das gute Wort oft genug auch in dem, der es spricht.

Draußen in der Welt mag so ein gutes, liebevolles Wort manchmal zunächst sogar scheinbar erfolglos verhallen; in dem, der es gesprochen, bleibt es nie ohne göttliche Wirkung. Ein gutes Wort, wie klein und bescheiden es auch sei, erfüllt uns sofort selber mit einer Freude von jener Art, die die Seele im Innersten jubeln macht und die man sich durch alle Gewinne und Genüsse der Eigenliebe nicht verschaffen kann. Auch nicht die lieblichste Musik kann das Herz so fröhlich machen, kann es so rühren oder ergreifen wie der Ton eines einzigen guten Wortes, das der Mensch zu seinem Bruder spricht.

Diese eigenartige Freude ist sicher eine Vorläuferin und Verwandte der Gnade, wenn sie nicht selber jene Gnade ist, die immer in solchen Stunden der Seele sich naht und sie anrührt. Sicher fühlt der Mensch sich selten so einer gewissen Zerknirschung nahe und so hingezogen zu allem Edlen und Guten, wie dann, wenn er einem ein gutes Wort gegeben.

Es hat einmal jemand gesagt: „Sobald wir sprechen, sagt uns etwas in unserem Innern, dass göttliche Türen sich irgendwo schließen“ – dieses Wort ist gewiss richtig, wo immer es sich um gewöhnliche, alltägliche Reden handelt.

Aber gerade das Gegenteil ist wahr, wenn ein Mensch zu einem anderen ein Wort der Liebe spricht. Denn dann schließen sich nicht, sondern öffnen sich leise und doch merklich göttliche Türen und eintritt in die Seele Himmelsfreude, Himmelsgnade, ja – er, das ewige Wort, Gott selber. Dann erfüllt sich wieder die geheimnisvolle, der Christenseele gegebene Verheißung: „Ich werde bei ihm eintreten.“ (Offb. 3, 20) Ein Augenblick fühlbarer Gottesnähe ist fast immer der Lohn eines guten Wortes – ein Augenblick jetzt auf Erden, und eine Ewigkeit drüben jenseits des Todes. „Aus deine Worten wirst du gerechtfertigt werden.“ (Mt. 12, 37)

Und während das gute Wort die Seele des Menschen verklärt und vergöttlicht, wird von seinem Segen auch der Leib nicht vergessen. Um den Mund zeichnet es jenen gütigen, freundlichen Zug, der uns bei manchen Menschen unwillkürlich an einen Höheren, an Christus, erinnert. Auch äußerlich kann der Christ demjenigen ähnlich werden, der das fleischgewordene Wort der Liebe war. Es gilt für den Jünger wie für den Meister: „Rede und schweige nicht!“ –
aus: Bonifaz Wöhrmüller OSB, Das königliche Gebot, 1929, S. 26 – S. 30

Weitere Beiträge über die Liebe siehe unter:

katholisch glauben und leben: Kreuz mit Dornenkrone
Taten der Liebe tun
katholisch glauben und leben: Kreuz mit Dornenkrone
Gedanken der Liebe