Die Apokalypse des hl. Johannes – Kap. 16, 1-21

Die Verhängung der sieben Strafgerichte

1. Die große Stimme, die vom Tempel ausgeht, gefüllt mit der göttlichen Gegenwart, scheint die Stimme Gottes Selbst zu sein, obwohl der Wortlaut des Befehls eher dieser Interpretation widerspricht: „Gieße die Phiolen des Zornes Gottes aus.“ Wahrscheinlich ist es die Stimme des lebenden Wesens, die den Engeln die Phiolen gab, und zeigt damit, dass sie von der Autorität der Kirche beauftragt werden.
2. Die erste Phiole wird auf die Erde ausgegossen, um diejenigen, die dem Antichrist folgen, bösartige Wunden zuzufügen. Dies ähnelt der sechsten Plage, die auf Ägypten geschickt wurde, bei der „es in Menschen und Tieren Eiterbeulen mit anschwellenden Geschwüren gab.“ (1) Gott bedrohte auch die untreuen Juden in der Wüste mit einer ähnlichen Strafe. „Schlagen wird dich der Herr mit bösen Geschwüren an den Knien und an den Waden, daß du nicht kannst geheilt werden von der Fußsohle bis zu deinem Scheitel.“ (2) Herodes Arippa war in ähnlicher Weise betroffen, als er sich als Gott feiern ließ. (3)
In moralischer Hinsicht bezieht sich diese Plage auf die Schande und die Verwirrung derer, die ihr Herz verhärten und ihre Ohren gegenüber der Stimme der Kirche verschließen. In diesem Sinne bezieht es sich insbesondere auf die Juden, die den wahren Messias abgelehnt haben und in den Tagen des Antichristen Führer gegen Seine Kirche werden.
3. Die zweite Plage verwandelt das Wasser des Meeres in Blut und zerstört alle Lebewesen darin. Dies kann wörtlich genommen werden wie bei der ersten ägyptischen Plage, als Moses das Wasser von ganz Ägypten in Blut verwandelte. Das Meer repräsentiert im übertragenen Sinn die Völker, die sich gegen die Kirche auflehnen. Sie sollen durch Krieg und Revolution gezüchtigt werden, fast bis zur Vernichtung. Aber wenn die Zerstörung „jeder lebenden Seele“ wörtlich genommen wird, muss sich das Meer auf bestimmte Nationen oder Völker beziehen.
4. Die Ströme und ihre Quellen werden ebenfalls in Blut umgewandelt. In symbolischer Bedeutung besagt dies, dass die Lehrer des Irrtums und der Blasphemie getötet werden sollen.
5. 6. Die Kirche lehrt, dass sowohl Völker wie auch Einzelne Engel haben, die sie führen und beschützen. Die Bibel spricht von den Schutzengeln der Perser und Mazedonier. (4) Der hier erwähnte Engel der Gewässer muss der Hüter der der Kirche feindlichen Nationen sein. Er ist gezwungen, die Gerechtigkeit von Gottes Gericht gegen sie anzuerkennen. Es ist nur eine Vergeltung für das Blut der Märtyrer, das sie vergossen haben. Was sie an andere ausgeteilt haben, wird jetzt an sie selbst gemessen. (5)
7. Eine Stimme vom Altar verkündet die Gerechtigkeit von Gottes Umgang mit diesen bösen Völkern: „Gerecht und wahrhaftig sind Deine Urteile, o Herr, o allmächtiger Herr Gott.“ Dies ist wahrscheinlich die Stimme der Märtyrer, die die Manifestationen der Gerechtigkeit gutheißen, für die sie gebetet hatten.
8, 9. Die vierte Phiole wird in der Sonne entleert, die darauf ihre sengenden Strahlen aussendet, um die Gottlosen zu foltern; aber Pharao-artig, anstatt sich zu bekehren, verhärten sie ihr Herz und lästern Gott.
Im übertragenen Sinne sind die brennenden Sonnenstrahlen die Strenge der Gerechtigkeit Gottes. Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, ist ein leitendes Licht für die Gläubigen, aber ein verzehrendes Feuer für die Gottlosen.
10, 11. Die fünfte Plage richtet sich gegen Jerusalem, die Residenz des Antichristen und die Hauptstadt seines Königreichs. Dieses Reich der Finsternis wird durch die Verwirrung und das Verderben noch finsterer gemacht. Die Feinde der Kirche beißen sich vor Zorn und Verzweiflung in die Zunge, aber sie bereuen ihre Sünden nicht.
12. Wie in 9, 14 symbolisiert der Euphrat Völker, die sich gegen die Kirche auflehnen. Hier sind sie die Heidenvölker, die dem Antichristen unterworfen sind. Die Vision bedeutet wahrscheinlich, dass diese Völker durch die sechste Plage so stark reduziert werden, dass Könige aus dem Osten nicht zögern werden, gegen sie zu marschieren. Diese östlichen Könige repräsentieren wahrscheinlich Nationen, die der Kirche treu bleiben und nun zu ihrer Verteidigung kommen.
13, 14. Der Antichrist und sein Prophet bereiten sich darauf vor, diesem Angriff zu widerstehen, indem sie Botschafter mit der Macht von Scheinwundern aussenden. Mit Hilfe dieser Wunder werden Könige und Menschen für die Sache des Antichristen gesammelt und marschieren zu seiner Verteidigung gegen die einmarschierenden Armeen.
15. Dieser Vers ist eine Warnung an die Gläubigen, auf den großen Konflikt vorbereitet zu sein. Sie müssen ihre Gewänder der guten Werke gut schützen, damit sie an diesem bösen Tag nicht ohne Gottes Gnade gefunden werden. Unser Herr gab eine ähnliche Warnung, als Er die Zerstörung Jerusalems voraussagte: „Darum wachet; denn ihr wisset nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommen wird.“ (6)
16. Die Armeen aus dem Osten werden den Truppen des Antichristen nahe Jerusalem begegnen. (7) Die darauffolgende Szene des Gemetzels macht das Schlachtfeld zu einem weiteren Mageddo, wo die einmarschierenden Armeen völlig siegreich sind. Eine weitere Beschreibung der Schlacht findet sich in Kap. 19. Es scheint, dass es nach dem Fall von Rom geschehen wird.
Armagedon ist der Griechische Name für Har-Mageddo (Berg Mageddo), ein oft mit Israels Blut durchtränkter Ort. (8) Die Niederlage des Antichristen kann auf diesem Schlachtfeld vollzogen werden.
17. Als der siebte Engel seine Phiole über die Luft ergießt, schreit eine große Stimme aus dem Tempel. „Es ist vollbracht.“ Diese Stimme, in Vers 1 (9) erwähnt, ruft jetzt die Niederlage des Antichristen und die Zerstörung seines Reiches aus.
18. Die leuchtenden Blitze und die im Himmel rollenden Donner sind Symbole der göttlichen Gerichte. Das große Erdbeben ist der soziale Umbruch nach dem Fall des Antichristen.
Vielleicht sollten Donner und Blitz und der unten erwähnte Hagel wörtlich genommen werden wie die in Exodus beschriebene Aufruhr der Elemente: ‚“Der Herr sandte Donner und Hagel und Blitze über die Erde: und der Herr regnete Hagel auf das Land Ägypten. Und es fuhr Hagel und Feuer zugleich untereinander: und es war von solcher Größe, wie es noch nie im ganzen Land Ägypten zu sehen war.“ (10)
19. Die große Stadt (Jerusalem) ist durch gähnende Spalten in drei Abschnitte unterteilt, die durch das Erdbeben verursacht wurden. Eine ähnliche Bestrafung ereignete sich in Jerusalem nach dem Tod der Zwei Zeugen, als ein Zehntel der Stadt zerstört wurde und siebentausend Menschen umkamen. Das Spalten der Felsen durch ein Erdbeben zum Zeitpunkt des Todes unseres Herrn am Kreuz rechtfertigt den Glauben, dass diese späteren Unruhen tatsächliche Umwälzungen der Erde sein werden.
Im übertragenen Sinn kann sich die Teilung der Stadt auf rivalisierende Interessengruppen beziehen, die untereinander streiten. Während der Belagerung Jerusalems durch die römische Armee im Jahre 70 n. Chr. wurden die größten Leiden durch die sich bekriegenden Interessengruppen innerhalb der Mauern der Stadt verursacht. (11)
Rom, das große Babylon, wird auch zerstört und die Städte der Heiden sind verwüstet. Diese Städte sind wahrscheinlich die Hauptstädte jener Nationen, die sich der Herrschaft des neo-paganischen Reiches von Rom unterwerfen und so Teile des Imperiums des Antichristen werden.
20, 21. Die Schwere der göttlichen Gerichte gegen alle untreuen Nationen wird durch die symbolischen Ausdrücke dieser Verse grafisch dargestellt. Die Zerstörung des antiken römischen Reiches wird in fast identischer Sprache beschrieben. (12)

Anmerkungen:

(1) Exodus 9, 10.
(2) Deut. 28, 35.
(3) Apg. 12, 23.
(4) Dan. 10, 13; Apg. 16, 9
(5) Matth. 7, 2.
(6) Matth. 24, 42.
(7) Cf. Kap. 19, 20
(8) Cf. Richter 5, 19; 4. Kön. 9, 27; 23, 29; Zacharias 21, 11
(9) Cf. auch Kap. 21, 3
(10) Exodus 9, 23, 24; cf. Josue 10, 11
(11) Josephus, „Der jüdische Krieg“, Buch V.
(12) Kap. 6, 14, 15; siehe auch Isaias 13; Ezechiel 10, 22; Joel 2 –
aus: Rev. E. Sylvester Berry, Die Apokalypse des heiligen Johannes [The Apocalypse of St. John, Columbus, OH: John W. Winterich, 1921], S. 153-160; mit Imprimatur; eigene Übersetzung