Apokalypse – Der Ansturm der antichristlichen Mächte

Die himmlische Frau und der Drache. Kap. 12 Vers 13 – 17. Der Drache verfolgt die Frau

An das zum Himmel entrückte Messiaskind kommt der Drache nicht mehr heran. Auch die Flucht der Mutter hat der Seher schon kurz erwähnt (12, 6). Nun greift er darauf zurück. Das Schicksal der Kirche, deren Symbol die Frau ist, ging ja die Leser besonders an. Wie wird es ihr ergehen, da fortan der Drache seine ganze Wut gegen sie kehrt? „Er verfolgte sie“, heißt es in vielsagender Kürze. Diese Verfolgungen hatte Christus den Seinen wiederholt voraus gesagt, sie aber um derentwillen auch selig gepriesen (Matth. 5, 11f; 10, 16ff; 23, 34ff; Joh. 15, 18ff; 16, 20). Die Vision des Sehers deckt die Hintergründe der Verfolgungen auf. Der Drache ist die treibende Kraft. Und zwar wendet sich seine Wut gegen die Frau, weil sie den Messias geboren hat. Nur die wahre Kirche ist das Ziel der Angriffe Satans. Häresien und Sekten belästigt er nicht, sondern bedient sich ihrer zur Verfolgung der Kirche. Je toller er sich gebärdet, desto mehr verrät er, daß er selbst nicht mehr an seinen Sieg glaubt. Aber er will noch zerstören, was ihm erreichbar ist, als könnte er so wenigstens die Siegesfreude des Himmels im Anblick der Ruinen mindern. Alles ist ihm in seiner teuflischen Bosheit recht, wenn es nur der Gemeinde Gottes schadet. In ihr haßt und bekämpft er mittelbar Christus; sie ist ja der mystische Christus. Dadurch werden aber auch die Leiden der Christen ui einer Teilnahme an den Leiden Christi, ja der Christ „ergänzt an seinem Fleische das, was an den Drangsalen Christi noch fehlt zu Gunsten seines Leibes, nämlich der Kirche“ (vgl. die Erklärung zu Kol. 1, 24: Bd. XV S. 153ff).

Fällt schon aus dem Bewusstsein der Leidensgemeinschaft mit Christus ein verklärendes Licht auf die Leiden des Christen, so stärkt ihn überdies die Gewissheit, daß der Allmächtige den Seinen besonderen Schutz gewährt. Der scheinbar rettungslos dem wütenden Drachen ausgelieferten Mutter des Messias kommt Gott durch ein Wunder zu Hilfe. Hatte einst David in seiner Not auf der Flucht vor Saul den Herrn angefleht: „Im Schatten deiner Flügel laß mich Zuflucht finden, bis das Verderben sich verzieht“ (Ps. 57[56], 2), so wurden der bedrängten Frau sogar „die zwei Flügel des großen Adlers gegeben, damit sie in die Wüste flöge“. Dort hat ihr die Vorsehung eine Zufluchtsstätte bereitet und sorgt für sie, bis die dreieinhalb Notzeiten vorüber sind. Es ist die gleiche Dauer wie die zwölfhundertsechzig Tage (11, 3; 12, 6) und die zweiundvierzig Monate der Heidenherrschaft über die Heilige Stadt (11, 2), wie die dreieinhalb Zeiten der Tyrannei des Antiochus Epiphanes (Dan. 7, 25). Die Bestimmtheit, mit welcher der Adler ohne nähere Erklärung hier erwähnt wird, spricht dafür, daß die ersten Leser besser verstanden als wir, was damit gemeint sei. Die Beziehung auf den 8, 13 erwähnten Adler bringt uns dem Verständnis nicht näher. Da aber die Messiasmutter das Gottesvolk des Alten und des Neuen Bundes versinnbildet, so liefert uns die Geschichte Israels die Unterlagen der visionären Bilder: Gott hat sein Volk wunderbar aus der Verfolgung des Pharao, des „großen Krokodils“ (Ez. 29, 3), gerettet und es im Schutz der Wüste mit Manna genährt. Am Sinai aber ließ er ihm durch Moses sagen: „Ihr habt selbst gesehen, was ich an den Ägyptern getan und wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und euch hierher zu mir gebracht habe“ (2. Mos. 19, 4). Die Sicherheit und Schnelligkeit der Rettung wird durch dieses Bild der Flügel veranschaulicht.

Der Drache, als Seeungeheuer gedacht, vermag der in die Wüste entfliehenden Frau nicht zu folgen, will sie aber auch nicht ungestört entkommen lassen. Darum sucht er sie zu vernichten, ehe sie die Wüste erreicht, wie der Pharao Israel nach dem Auszug aus Ägypten vernichten wollte. Er speit ihr einen Wasserstrom nach, der sie ertränken soll. In den aus Drachenhöhlen hervor fließenden Bächen wirkt das Bild in der Sage weiter, und das symbolfrohe Mittelalter hat den Teufelsdrachen als Wasserspeiern an den Kathedralen ihren dienenden Posten angewiesen.

Wo Menschen nicht mehr helfen können, verbündet sich die unbeseelte Natur mit den Auserwählten Gottes und schützt sie vor den Nachstellungen des Bösen. Wie vorhin der Himmel half, so hilft nun die Erde. Sie tut sich auf, und der gefährliche Wasserstrom des Drachen verschwindet in der Tiefe, ehe er die Frau erreichen kann. Die kühnen Bilder dieser Vision wollen den Gedanken, der auch in der Szene von der Messung des Tempels Ausdruck gefunden hat, vertiefen und dem Bewusstsein der Christen unvergesslich einprägen: Während der Endzeit hat die Kirche Christi auf Erden kein friedliches, geruhsames Dasein. Der Teufel tut, was er nur kann, um sie zu vernichten. Aber Gottes schützende Hand waltet über ihr. Wenn nötig, greift Gott wunderbar ein, um die Seinen vor dem Drachen zu retten. Er nimmt sie nicht aus der Welt fort (Joh. 17, 15). Auch die Wüste liegt auf Erden. Das innerste Leben der Kirche aber vermag der Teufel mit seinen Helfershelfern nicht zu zerstören, soviel er sich auch von außen plagen und schädigen kann. Sogar in der Wüste sorgt der Herr dafür, daß sein Volk am Leben bleibt. Das offensichtliche Walten der Vorsehung darf aber die Kinder der Kirche nicht in den Irrtum falle lassen, als bedeute die Auserwählung einen Freibrief gegen die Nachstellungen des Teufels. Im Gegenteil! Weil der Drache weder dem Erlöser, dem Erstgeborenen Israels, noch der himmlischen Frau (= Israel) etwas anhaben konnte, richtet er seinen ganzen Grimm gegen „die übrigen ihrer Nachkommenschaft“. Damit sind die auf Erden lebenden Kinder der Kirche gemeint, aber nur jene, die wirklich Ernst machen mit ihrem Christentum, nicht bloß äußerlich zur Kirche gehören. Sie befolgen treu Gottes Gebote und halten unentwegt fest am Zeugnis Jesu, bekennen sich also zu seinem Wort und richten ihr ganzes Leben danach ein. Solche Bekenner und Tatchristen bekommen ständig den Hass des Teufels zu spüren; feige Verleugner und Namenchristen läßt er in Ruhe, denn an ihnen hat er nichts zu bekämpfen. Im Lichtkegel dieser Vision leuchtet die für das Schicksal der Kirche und des Einzelchristen maßgebende Wahrheit auf: Unangefochten zu bleiben, ist kein Grund zur Beruhigung, sondern mahnt zur Gewissens-Erforschung darüber, wie es mit der Beobachtung der Gebote Gottes und mit dem Festhalten an der Lehre Jesu steht. Jeder echte Christ teilt Christi Los, ein Zeichen zu sein, dem widersprochen wird (Luk. 2, 34). Die Christen sind hier als Nachkommen der himmlischen Frau bezeichnet. Da nun diese Frau nur im übertragenen oder angewandten Sinne, nicht aber im eigentlichen Wortsinn Maria, die Mutter Jesu, darstellt, so läßt sich aus dieser Bezeichnung der Christen kein strenger Schriftbeweis für die wahre geistige Mutterschaft Mariens gegenüber allen Gläubigen erbringen (vgl. M. Scheeben, Dogmatik III, 616f).

Sicher wäre es verkehrt, für alles Widrige, das den Christus-Gläubigen hienieden widerfährt, nur den Teufel als Ursache anzunehmen; aber das Wehe, das wegen seiner Wut nach dem Sturz vom Himmel über die Erde und das Meer ausgerufen wird, verbietet ebenso sehr die Unterschätzung der teuflischen Macht und ihres Einsatzes gegen das Reich Christi. Diese Macht wächst in dem Maße, wie das Leben der Völker sich vom Gottesglauben und von der Bindung an das unabänderliche Gottesgesetz löst. Nicht ein Theologe, sondern ein führender Volkswirtschaftler bemerkt dazu: „Nur wer an die Macht des Teufels glaubt, kann verstehen, was sich in den letzten anderthalb Jahrhunderten in Westeuropa und Amerika zugetragen hat. Denn nur als Teufelswerk kann gedeutet werden, was wir erlebt haben. Deutlich lassen sich die Wege verfolgen, auf denen Satan die Menschen auf seine Bahnen gelockt hat: er hat in immer weiteren Kreisen den Glauben an eine jenseitige Welt zerstört und hat damit die Menschen mit aller Wucht in die Verlorenheit der Diesseitigkeit geworfen. Er hat die eitlen Menschen bei ihrem Wahn der Gottähnlichkeit gepackt – eritis sicut Deus – und hat ihnen die Überzeugung beigebracht, daß jeder einzelne genug Vernunft besitze, um durch sein willkürliches Handeln das Wohlergehen der Gesamtheit herbei zu führen und das Zusammenleben sinnvoll zu gestalten. Rausch der ‚Freiheit‘! Ideologie des Liberalismus!“ (Werner Sombart, Deutscher Sozialismus [Charlottenburg 1934] 3) –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 185 – S. 188
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