Die Visionen der Anna Maria Taigi
Weissagungen über die Päpste Gregor XVI. und Pius IX.
Mit den Visionen waren Weissagungen verbunden. Wir wollen nur einige wenige davon hier aufführen:
1. Die Weissagung über Papst Gregor XVI.
Natali erzählt folgendes: „Während ich eines Tages mit der Dienerin Gottes das hochheilige Kreuz von St. Paul außerhalb der Mauern besuchte, kam auch der hochwürdigste Kardinal Maurus Capellari, Mitglied des Ordens der Kamaldulenser, zu Fuß dahin. Da die fromme Frau den einzigen Betstuhl der kleinen Seitenkapelle eingenommen hatte, stieß ich sie, um dem Kardinal Platz zu machen. Da sie aber schon in Verzückung war, fühlte sie den Stoß nicht. Der gute Kardinal gab mir ein Zeichen, daß ich sie in Ruhe lasse, und kniete vor die Balustrade. Als die Dienerin Gottes von ihrer Ekstase erwachte, schaute sie starr auf den Kardinal. Als wir nach Hause gingen, sagte sie mir: Dieser Kardinal ist der nächste Papst.“ Damals war Pius VIII. noch gesund. Als er nach Monaten starb und das Konklave zur Papstwahl zusammen getreten war, wurde Kardinal Capellari zum Papst gewählt und bestieg am 2. Februar 1831 unter dem Namen Gregor XVI. den Stuhl des hl. Petrus.
2. Die Weissagung über Papst Pius IX.
Der Nachfolger des Papstes Gregors XVI. war Johannes Maria Mastai Ferretti. Beim Tode der Frau Taigi, im Jahre 1837, war er noch nicht Kardinal. Er bekam den Purpur im Jahre 1840 und erst im Juni 1846 bestieg er den Stuhl Petri unter dem Namen Pius IX. Obgleich nun die Selige schon 9 Jahre vor der Wahl dieses Papstes starb, weissagte sie dennoch vieles über ihn und sein Pontifikat, was sie nur durch göttliche Offenbarung wissen konnte.
Ihre Weissagung über Pius IX. bezeugten im Seligsprechungs-Prozess eidlich: Don Natali, Kardinal Rekanati, Kanonikus Raimund Pigliacelli und Johanna Kams, Dienstmagd der Frau Taigi.
Sie lauten:
Der Nachfolger Gregors XVI. sei noch ein einfacher Priester und befinde sich zur Zeit in fernen Ländern; er werde sehr lange leben und andauernd Unruhen und Drangsale mitmachen müssen; ganze Völker werden ihre Pflichten verletzen, und Gott werde sie strafen; die Gottlosen werden in Rom Triumphe feiern; er werde manche Verwaltungsposten und Stellen im Kirchenstaat an Laien übertragen und Reformen durchführen, um sich von großen, zeitlichen Sorgen zu befreien; er werde ein heiliger, gotterleuchteter Papst sein und Wunder wirken; sein Name werde auf der ganzen Welt verbreitet sein, die Völker werden ihn loben und die Herrscher ihn ehren; der Türke werde Boten zu ihm entsenden, um ihn zu grüßen; Hilfe werde er von allen Seiten erhalten und vom Ausland mit Geld unterstützt werden; die Gottlosen werde er demütigen, viele Irrende zur Einheit der heiligen, römisch-katholischen Kirche zurück führen, welche triumphiere; nach einem langjährigen, sturmerprobten Pontifikat werde er in Rom in seinem Bett sanft entschlafen.
Wie haben diese Weissagungen sich erfüllt?
Wer den Lebenslauf des Papstes Pius IX. kennt, weiß, daß es eine Zeit gab, wo Johannes Mastai Ferretti als Begleiter des päpstlichen Gesandten in Chile weilte. Er war damals noch einfacher Priester und wurde erst drei Jahre nach dem Tode der Frau Taigi Kardinal. Ebenso behielt die Selige darin recht, daß sie Pius IX. ein langes Pontifikat voraussage. Er regierte die Kirche Gottes vom 16. Juni 1846 bis zum 7. Februar 1878; das sind 31 Jahre, 7 Monate und 23 Tage.
Was soll ich sagen von den vorher gesagten Unruhen und Verfolgungen unter der Regierung Pius IX.? Was soll ich sagen von der Gottlosigkeit, die unter seinem Pontifikat in Rom triumphiere? Der revolutionäre Sturm, welcher über Italien, dahin brauste und auf Rom sich entfesselte, – die sektiererischen Verschwörungen, welche ihr Wühlarbeit mit der Ermordung des päpstlichen Ministers Pellegrino Rossi begannen; – die Flucht und Verbannung des Papstes, der infolge der wirren Ereignisse gezwungen war, nach Gaëta zu entfliehen, – die gottesräuberischen Orgien und Verhöhnungen, mit denen die päpstliche Bannbulle angehört wurde, der an Kirchen und Klöster begangene Raub, – die unwürdige Komödie in der vatikanischen Basilika, – die Morde an Priestern und Ordensleuten im Stadtteil Travestere, – die unglücklichen politischen Ereignisse, welche bis 1870 nacheinander folgten, – der Schlag gegen den Katholizismus, der sein Echo im Parlament, in der Schule, in der Presse und den öffentlichen Plätzen hatte, das Gemetzel, welches in der verhängnisvollen Nacht vom 12. auf 13. Juli 1881 das revolutionäre Gesindel bei der Überführung der Leiche Pius IX. anzustellen suchte, – das sind die Ereignisse, welche voll und ganz dem prophetischen Wort der Seligen entsprachen.
Auch die von Anna Maria voraus gesagten Reformen im Kirchenstaat führte Pius IX. durch. Er war überzeugt, daß das absolutistische Regierungssystem mit dem Geist der neuen Zeit nicht mehr vereinbar sei. Darum gewährte er der Stadt Rom Stadtrat und den Senat, dem Staat gab er die Abgeordnetenkammer oder die nationale Vertretung. Mit solchen Zugeständnissen war das Land berufen, durch erwählte Vertreter am öffentlichem Wohl mitzuarbeiten.
Die andern Weissagungen über Pius IX. bewahrheiteten sich buchstäblich. Wer erinnert sich nicht an die große Verehrung, die dem bedrängten und verfolgten Papst in allen Teilen der Welt zuteil wurde? Wer denkt nicht an die Furcht, die er durch seine Worte und seine unerschrockene Haltung den Regenten Europas einflößte, besonders jenen, welche ihn seiner Macht und der Güter der Kirche beraubten? Auf die Nachricht von der Einnahme Roms entstand ein Wettstreit von Protesten, Adressen, von Pilgerfahrten, von Kongressen und von Angeboten der verschiedenen Nationen. Dem arm gewordenen Papst sandte Belgien in den Jahren 1871 und 72 die Summe von 285000 Franken. Als man im Jahre 1877 das goldene Bischofsjubiläum des Papstes Pius IX. feierte, herrschte eine wunderbare Begeisterung. Völker und Herrscher beteiligten sich an der gewaltigen Kundgebung. Die bei dieser Gelegenheit dem hl. Vater überreichten Gaben betrugen in Geld umgerechnet10 Millionen Lire, während der Peterspfennig auf mehr als 16 Millionen Franken stieg.
Ann Maria Taigi nennt Pius IX. einen heiligen und wundertätigen Papst. Die hierüber unterrichtenden Prozeßakten, die schon abgeschlossen und der Ritenkongregation eingehändigt sind, um den Seligsprechungs-Prozess des Papstes zu beschleunigen, werden uns auf Grund der Dokumente und der eidlichen Zeugenaussagen zeigen, wie seine Heiligkeit beschaffen war, und welche Wunder Gott auf seine Fürbitte hin gewirkt hat. Überdies versichert uns der öffentliche Ruf der Heiligkeit und der Wunder dieses unbescholtenen Papstes, daß die Weissagungen wahr sind, welche die Selige über sein Pontifikat gegeben hat.
3. Weissagung über den Bischof Vinzenz Maria Strambi
Als Pius VII. aus der französischen Gefangenschaft nach Rom zurück gekehrt war, reichte der selige Bischof von Macerata, Vinzenz Maria Strambi, seinen Verzicht auf sein Bistum ein. Durch Don Natali bat er Frau Taigi um ihr Gebet in diesem Anliegen. Aber sie ließ ihm durch eben denselben antworten: „Sagen Sie dem Monsignore, daß der Papst ihn morgen sehr herb empfangen, seinen Verzicht nicht annehmen und ihm befehlen werde, sofort in seine Diözese abzureisen!“
Beim Anhören dieser Nachricht sprach der selige Strambi lächelnd: „Dieses Mal hat die hl. Grille sich geirrt. Denn Sie wissen, mein Sohn, daß ich alles mit dem hochwürdigsten Herrn Kardinalstaatssekretär Pacca besprochen habe, welcher seine Heiligkeit dafür gewonnen hat; ich gehe jetzt, mehr um mich zu bedanken, als um zu bitten.“
Don Natali begleitete am andern Tag Bischof Strambi zur Audienz. Kaum hatte der Papst den Bischof erblickt, da sprach er zu ihm folgende ernste Worte: „Wir wissen schon, wozu Sie hierher gekommen sind. Alle schützen als Grund ihre Gesundheit vor. Auch wir sind krank, und die ganze Welt lastet auf uns. Wen sollen wir als Bischof senden? Etwa die geheimen Verschwörer… Sie reisen ab! Sie reisen jetzt sofort ab!“ Und barsch ließ er ihn stehen. Die heilige Grille hatte sich also nicht geirrt.
Auf dem Heimweg sprach der selige Bischof zu Natali: „Haben Sie es gehört, mein Sohn? Ich wollte mir Ruhe gönnen, aber ich denke nicht mehr daran.“
Als Frau Taigi diese Ergebung des hl. Bischofs in den Willen Gottes vernahm, ließ sie ihm sagen, er werde seine letzten Tage in Rom verleben, aber nur um seine Gebeine dorthin zu bringen.
So kam es auch. Der Nachfolger Pius VII., Papst Leo XII., berief ihn als seine Berater nach Rom und gab ihm eine Wohnung im päpstlichen Palast auf dem Quirinal. Monsignore Strambi kam am Abend des 23. November nach Rom. Bald darauf erkrankte der Papst, so dass man am 24. Dezember seinen Tod erwartete. Als der selige Strambi Anna Maria um ihr Gebet für den kranken Papst bat, sagte sie ihm, der Papst werde gesund werden, aber Gott verlange dafür das Opfer seines Lebens, er (der Bischof Strambi) werde in wenigen Tagen in der Kirche aufgebahrt sein. Tatsächlich wurde er am 28. Dezember von einem Schlaganfall überrascht, und am 1. Januar 1824 flog seine Seele in den Himmel. Er war wirklich von Macerata nach Rom gekommen, um seine Gebeine dahin zu bringen.
Die Weissagung der Frau Taigi hatte sich voll und ganz erfüllt.
aus: Wilhelm Kirchgessner, Das Leben der seligen Familienmutter Anna Maria Taigi, 1928, S. 94-99